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Von Karachi nach Berlin

AustauschEin dreitägiges Festival im Hebbel am Ufer bringt die Kunst- und Musikszene Pakistans mit Berliner Künstler_innen zusammen. Und erschüttert damit die gängigen kulturellen Zuschreibungen und Klischees

Wir wollen vermeintlich klare Identitäten anzweifeln

von Carolin Weidner

Eine gewisse Scheu ist auszumachen, geht es um das Thema Pakistan. Hannes Teichmann, Teil des Musikerduos Gebrüder Teichmann und Mitorganisator des Festivals „From Inside to Way Out – Perspectives from Contemporary Pakistan“, das zwischen dem 13. und 15. Mai im HAU stattfindet, erzählt: „Während der Vorbereitungen zu „Begum Tonight: Late Night Show“ hatten wir wirklich Probleme, Gäste zu finden. Die Talkshow wird von der Drag Queen Begum Nawazish Ali präsentiert und lief im pakistanischen Fernsehen. Es wurde immer mit der Begründung abgesagt, dass man über Pakistan nicht viel sagen könnte. Dabei handelt es sich ja um eine ganz normale Late Night Show, wo eigentlich gar nichts über Pakistan gesagt werden müsste, sondern wo jemand über sein Leben reden kann oder ein aktuelles Projekt.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Andi und Hannes Teichmann Künstler nach Berlin einladen. „Ten Cities“ etwa, das sich einige Jahre lang über zehn Städte und zwei Kontinente erstreckte und mehrere Dutzend Musiker zusammengeführt hatte, fand einen Niederschlag 2014 mit seiner Abschlussveranstaltung im Ritter Butzke. „From Inside to Way Out“ markiert nun eine neue Stufe: ein ganzes Festival haben die Gebrüder gemeinsam mit HAU-Musikkuratorin Zuri Maria Daiß konzipiert. Es basiert auf einem Soundcamp in Pakistan, das 2015 mithilfe des Goethe-Instituts in Karachi realisiert werden konnte, und dessen Spiegelung und Erweiterung „From Inside to Way Out“ nun ist.

Als ein Höhepunkt darf in jedem Fall also das Konzert am Samstagabend im HAU2 gelten, das vielleicht am direktesten mit dem Aufenthalt in Karachi kommuniziert. Das Album „Karachi Files“, in Kooperation mit pakistanischen Musikern während des Soundcamps entstanden, feiert seine Veröffentlichung. Gleichzeitig wird das neue Label der Gebrüder Teichmann, Noland, gelauncht, auf dem „Karachi Files“ als Katalognummer Eins erscheint. Alien Panda Jury, Arttu (aka Lump), Dynoman, Menimal, Natasha Humera, rRoxymore und weitere Musiker werden anwesend sein. Hannes Teichmann ist stolz: „Alle Künstler, die auf der CD als Hauptkünstler vertreten sind, kommen auch nach Berlin.“ Doch das Festivalprogramm weist über das Musikalische hinaus. Wie könnte es auch anders? Andi Teichmann erklärt: „Wenn man in Karachi ist und dort Musik macht, dann findet die Musik natürlich in keinem isolierten Kosmos statt. Sie ist Teil von etwas, das viel weitreichender ist.“ Ein Gespräch vor dem Konzert, dem eine Multimedia-Präsentation über „The Second Floor“ vorangeht, verdeutlicht das: „„The Second Floor“ ist ein ganz bedeutungsvoller Ort für die gesamte Kunst- und Musikszene in Karachi, wo auch unser Kennlernkonzert 2015 hätte stattfinden sollen. Eine Woche vor unserer Ankunft wurde die Leiterin, Sabeen Mahmud, jedoch aus politischen Gründen ermordet“, sagt er. „The Second Floor war sehr nah dran an unserem Projekt in Pakistan. Andere Künstler, wie den Filmemacher Till Passow, haben wir aber erst in Berlin kennengelernt.“ Und Hannes Teichmann ergänzt: „Viele Puzzleteile hat auch Zuri hinzugegeben.“

Zum Beispiel das Filmprogramm. Parallel zur Festivaleröffnung am Freitag mit dem „Karachi-Files“-DJ-Team und einem pakistanischen BBQ im Garten des HAU2, beginnt die Veranstaltung „Bigger Pictures: Geschichte(n) des Pakistanischen Kinos“. Peter Pannke wird sich mit Salmaan Peerzada unterhalten, zudem sind zwei Kurzfilme zeitgenössischer pakistanischer Filmemacher zu sehen. „Wir haben einen der wichtigsten Film- und Theaterregisseure – Salmaan Peerzada aus Lahore – eingeladen. Er ist so etwas wie die lebende Legende des pakistanischen Kinos, obwohl alle seine Filme in Pakistan verboten sind. Seine Familie ist auch in der Berliner Theater- und Filmgeschichte verwurzelt: Sein Vater Rafi Peer war in den 20er Jahren Regieassistent von Max Reinhard und auch Beleuchter bei Fritz Langs „Metropolis“. Ich freue mich auf das Gespräch mit ihm und den Berliner Autoren Peter Pannke über Film, Storytelling und den kulturellen Wandel in Pakistan.“, sagt Zuri Maria Daiß. Außerdem würde die Leiterin der Filmabteilung des pakistanischen National College of Arts, Shireen Pasha, erwartet. Genauso wie die Dokumentarfilmemacherin Fouzia Usufzay.

Am Sonntag dann präsentieren Till Passow und Sadaat Munir ihre Filme im Programm „Between Identities“. „Chuppan Chappai / Hide & Seek“ (PAK/DK 2013) von Sadaat Munir gewährt Einblicke in die pakistanische LGBT-Community mit besonderem Fokus auf den Alltag der Hijiras, dem „dritten Geschlecht“. Passows „Mast Qalandar – Der Ekstatische“ (D 2005) ist ein Dokument mystischen islamischen Lebens, das Anhänger des Sufi Mast Qalandar zeigt. „From Inside to Way Out“ spannt ganz offensichtlich einen weiten Bogen. Ein Zentrum gibt es dennoch. Andi Teichmann meint: „Eigentlich passen die Themen alle total gut zusammen, weil die Fragestellung im Prinzip immer eine sehr ähnliche ist: Es geht darum, Bilder aufzubrechen und diese Wahrnehmungsgrenzen und Exotisierungen des Anderen von verschiedenen Seiten her zu hinterfragen. Da existiert ein gemeinsames Fundament an Bezugspunkten, so unterschiedlich alle auch aufgewachsen sein mögen und leben. Wir wollen vermeintlich klare Identitäten anzweifeln, die sehr abgrenzend wirken und zudem häufig auch einfach nicht stimmen.“

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