: Dumpfe Leadership
Theater Michael Thalheimer reduziert Schillers Warlord-Drama "Wallenstein" an der Schaubühne auf eine Schrei-Oper
Michael Thalheimer muss mit Queen, Pink Floyd und Sonic Youth sozialisiert worden sein. Jedenfalls beginnt sein „Wallenstein“ als ein Cross-over aus Bombast-Rock, Elektronik-Experimenten und Noise.
Die Bässe wummern, Nebelschwaden hüllen Bühne und Zuschauerraum ein, zwei Lichtfinger nur schneiden durch das Dunkel. Der eine zeigt den Feldherrn sitzend, nein, breitbeinig fläzend; hinter ihm, als Strich in der Landschaft, sein Sternendeuter Seni. Der zweite Lichtfinger hebt ein hängendes Objekt aus dem Dunkel heraus. Es mutet zunächst wie ein Pferdetorso mit Reiter an, wirkt später aber eher wie ein nach unten hängender Kopf einer Hirschkuh mit etwas Hals. Wir sind also im Universum mythischer Jäger angekommen.
Dies Bild bleibt lange stehen. Es hätte noch viel länger stehen bleiben können, und man hätte, sparsam bedient mit Fetzen aus Schillers aphorismenreichen Text, eine Assoziationswanderung vollführen können – durch Kriege, loyale Bindungen an Feldherren und politische Auftraggeber, Zerstörungen und algorithmischen Erkenntnisüberschwang (die Sternendeuterpraxis als frühes big data). Zu solcher Radikalität hat Thalheimer aber nicht den Mut. Er macht das Konventionelle und lässt seine Darsteller erst Körper zeigen und dann die Münder auftun.
Die Körper sind halb nackte, fleischfarbene, oft mit Original- Speckrollen ausgerüstete Männerkörper, die sich um den hängenden Tierkörper drängen wie Maden ums faulige Fleisch. Sehr existenziell ist es also im zweiten Bild. Eigentlich keine schlechte Idee, ein guter Bruch – nur besteht Thalheimers Ensemble eben weitgehend aus Mimen des Stadttheaters: hüftsteifen Gesellen also, die gerade nicht kreatürlich kriechen können, wie es hier angesagt wäre, sondern nur herumstaksen im Dämmerlicht. Ein guter Chef arbeitet mit den Stärken seiner Leute; Thalheimer entscheidet sich, sehr früh schon, deren Schwächen auszustellen. Leadership geht anders.
Richtige Leadership geht auch anders, als Ingo Hülsmann als Wallenstein sie vorführt. Denn er kennt nur zwei Modi: stoisch still sitzen oder brüllend Worte spucken. Lange sitzt er im Zentrum der Bühne; ein Koloss, schweigend, drohend, in sich verschoben mit der einen, nach oben zeigenden Schulter mit der großen Epaulette. An ihm perlt ab, was drum herum tobt: das hochangestrengte Rufen der Mit- und Gegenspieler, die wie auf Schienen geführt zur Rampe drängen und dort in einer, wirklich nur einer und immer gleichen Tonart ihren Text erbrechen, als messe sich Schauspielkunst in erreichter Phonzahl.
Dass Hülsmann sich lange dieser Stimmbandathletik verweigert, rechnet man ihm hoch an. Seine Figur macht das Schweigen auch stark. Er ist der Kraftquell, der Mittelpunkt, der Magnet allen Treibens. Denn was die Feldherren Piccolomini (Peter Moltzen interpretiert den Vater Octavio als glatten Realpolitiker, Laurenz Laufenberg Sohn Max als Idealisten), die Getreuen Terzky und Illo (Felix Römer und Andreas Schröders) und der immerhin ein wenig ambivalent gezeichnete Buttler (Urs Jucker mit schönem bösen Lachen) um ihn herum veranstalten: Es bezieht sich ja doch alles auf ihn.
Wenn Hülsmann dann ins Geschehen eingreift, dann allerdings stellt er das Gebrüll nicht etwa mit einer herrlichen Handbewegung ab. Nein, er brüllt noch lauter, ist der dickste Gorilla in diesem Primatenzirkus.
Natürlich darf man Landsknechttreiben so erzählen. Männerkultur, Männerunkultur kann derb, dumpf und trostlos sein. Schillers Kriegsdrama allerdings hat Potenzial zu mehr. Ohne es mühsam aktualisieren zu müssen, würde es die Warlord-Szenerien in Afghanistan und im Irak, in Syrien und Somalia treffend widerspiegeln. Es könnte etwas erzählen von dem (in europäischen Medien eher selten ausgeleuchteten) Konflikt zwischen den Soldaten, die gegen die Gefahr „da draußen“ sich zusammenschweißen und den Politikern misstrauen, die sie beauftragt haben; denn diese schneiden die Aufträge nach politischem Tageskalkül und nicht nach der Lage vor Ort zu. Und, klar, „Wallenstein“ könnte ein prima Abend über die Gefahren der Verselbständigung militärischer Macht sein.
Alle diese Aspekte gehen im Dauergebrüll unter. So sind die drei Stunden Feldlager am Ku’damm nicht Weltenbrandtheater, sondern kaum mehr als der drastisch ausgemalte Besuch einer Hell’-Angels-Kommandozentrale, die sich, den Verräter suchend, auf die Polizeirazzia vorbereitet. In diesem Kontext sind dann auch Queen, Pink Floyd und Sonic Youth missbraucht. Tom Mustroph
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