: "Der neue Kalte Krieg wird gefährlicher als der alte"
Militär Der russische Journalist Alexander Golts über gegensätzliche Pole, die Weltmachtrolle Russlands und Nachgeben als Beweis der Schwäche
ist stellvertretender Chefredakteur des kremlkritischen Portals „jeschedewnij schurnal“ und Militärexperte.
taz: Herr Golts, der Russland-Nato-Rat tagte zum ersten Mal seit zwei Jahren. Ursprünglich verfolgte der Rat das Ziel, Russland langfristig zu integrieren. Welche Funktion wird er in Zukunft erfüllen?
Alexander Golts: Der Russland-Nato-Rat wird sich in ein Instrument eines neuen Kalten Kriegs verwandeln. Der Kalte Krieg beruhte damals jedoch nicht nur auf Konfrontation, er war auch mit der Idee der friedlichen Koexistenz beider Systeme verknüpft. In jenen Bereichen, an denen beiden gelegen war, funktionierte die Kooperation sogar recht gut. Langsam gelangen beide Seiten wieder zu der Einsicht, dass Gespräche geführt werden müssen. Damals ging es um den Grad des Vertrauens und Rüstungsobergrenzen. Dahin kehren wir zurück. Der Rat könnte dafür das entscheidende Gremium werden.
Russische Flieger sind letzte Woche in der Ostsee US-Schiffen gefährlich nahe gekommen. Was bezwecken solche Eskapaden?
Vermutlich passte der russischen Seite die Tagesordnung des Russland-Nato-Rats nicht. Um die Ukraine, Afghanistan und den Kampf gegen Terror sollte es gehen. Durch die Störmanöver wird die Nato nun gezwungen, über die Zwischenfälle zu reden. Im Herbst war die Lage schon einmal ähnlich. Washington wollte nicht mit Moskau reden, woraufhin Russland die Luftwaffe nach Syrien entsandte. Um Kollisionen in der Luft zu vermeiden, mussten beide Seiten dann notgedrungen Absprachen treffen. Der Kreml ist immer bereit, den Einsatz zu erhöhen, während die USA die Sicherheit ihrer Piloten nicht ganz ignorieren können.
Die Taktik war erfolgreich: durch Intervention in Syrien die internationale Isolation zu durchbrechen.
Die Rechnung ging auf. Der Westen muss wieder mit Moskau reden. Das wird im Russland-Nato-Rat geschehen, wo demnächst wohl erneut sehr langwierige Verhandlungen über alle möglichen Sicherheitsthemen stattfinden könnten. Bis zu solch alten Fragen, welche „heißen Drähte“ geschaltet werden.
Dann wäre Moskau doch in seinem Element …
Bei uns heißt das: „Man achtet uns wieder.“
Moskau hat erreicht, was es wollte: die Anerkennung als Weltmacht.
Das wichtigste Ziel der Außenpolitik ist die Wiedererlangung der Weltmachtrolle. Wenn 28 Staaten des Westens Russland gegenübersitzen und darüber verhandelt wird, wie sich das Leben auf dem Planeten erhalten lässt, dann unterstreicht dies: Moskau hat sich den Platz der Supermacht zurückgeholt …
… durch die Schaffung künstlicher Konflikte. Verfügt Moskau nur noch über zwei Exportartikel, um sich Anerkennung zu verschaffen – Waffen und militärische Konflikte?
Klar ist, der neue Kalte Krieg wird gefährlicher als der alte. Russland verfügt nicht mehr über die Ressourcen der Sowjetunion. Um das zu kompensieren, wird es versucht sein, den Westen von seinem eigenen Irrsinn zu überzeugen. Nach dem Motto: Fasst uns nicht an, wir sind „Psychos“.
Nicht wenige im Westen glauben, Russland lasse sich durch Zugeständnisse noch vom aggressiven Kurs abbringen.
Wer das behauptet, versteht die Logik des Konflikts nicht. Nachgeben wird als Beweis von Schwäche und Einladung zum Weitermachen verstanden.
Aus Russland wird in absehbarer Zeit kein verlässlicher Partner mehr?
Der Westen darf sich dieser Hoffnung nicht weiter hingeben. Bei grundsätzlichen Fragen zur Sicherheit und Weltordnung vertreten Russland und der Westen gegensätzliche Pole. Die Gesellschaft im Westen muss das erst noch verstehen. Die europäischen Staaten waren Nutznießer des Zerfalls der Sowjetunion. Sie lebten in den vergangenen 25 Jahren mit einer Friedensdividende, einem sehr niedrigen Verteidigungshaushalt. Ihnen klarzumachen, dass die Rüstung aus Sicherheitsgründen angekurbelt werden muss, dürfte nicht einfach werden.
InterviewKlaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen