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Glücksritter in Istanbul

Kino In seinem grandiosen Dokumentarfilm „Remake, Remix, Rip-Off – Kopierkultur und das türkische Pop-Kino“ erzählt Cem Kaya eine unglaubliche Geschichte von einem etwas anderen Exploitation-Kino

von Thomas Groh

Auch Träume werden an eindeutig adressierbaren Orten hergestellt, deren Bezeichnungen mit den Träumen dann irgendwann in eins fallen. Hollywood etwa: um 1900 ein Dörfchen vor Los Angeles ohne eigene Wasserzufuhr, 20 Jahre später die Traumfabrik schlechthin.

Ähnlich verhält es sich mit der Yeşilçam-Straße, die von der İstiklal abgeht, dem pulsierenden Zentrum des Istanbuler Stadtteils Beyoğlu. Hier, nahe den Kinopalästen, dem unter Protesten abgerissenen Emek und dem Atlas, siedelten ab den 50ern Produktionsfirmen, die unter widrigsten Umständen, aber mit regem Eifer, hohem Tempo und viel Einfallsreichtum hochfrequent Nachschub in die Kinos schaufelten, um den Hunger der kinovernarrten Bevölkerung auf landeseigene Produktionen zu stillen.

Erst 1980 kam die Produktion mit dem Militärputsch nahezu zum Erliegen, und Fernsehen und Video machten dem Kino seine privilegierte Position streitig. An die goldenen Zeiten erinnert in der Yeşilçam heute fast nichts mehr. Als Bezeichnung für das landeseigene Unterhaltung- und Trivialkino hat es seinen nostalgisch-sentimentalem Glanz bis heute behalten.

Der ziemlich unglaublichen Geschichte dieses Kinos hat der in Deutschland aufgewachsene Filmemacher Cem Kaya mit seinem Essay- und Interviewfilm „Remake, Remix, Rip-Off“ nun ein bezauberndes und verdienstreiches Denkmal gesetzt. Der abenteuerliche Name kommt nicht von ungefähr: Ähnlich wie die (auf Export ausgerichtete) italienische Filmproduktion der 50er bis 80er Jahre orientierte sich der türkische Trivialfilm an Trends des internationalen Unterhaltungskinos, dessen Vorgaben und Muster eingemeindet, umgedeutet und reißerisch aufbereitet wurden: Neben den aufs große Publikum zielenden Melodramen versprachen Tausende von Superhelden-, Action- und Westernfilme größte Sensationen.

Beherzter Zugriff

Mangels Urheberrecht griffen die türkischen Produzenten beherzt zu. Nicht nur in Anverwandlung von Stoffen und Figuren: So ziemlich jeder große Erfolgsfilm in dieser Phase (von „Zwei glorreiche Halunken“ über „Star Wars“ bis „Superman“ und „E.T.“) liegt in mindestens einer türkischen Variante vor. Sondern auch bei der musikalischen Untermalung: Günstiges Vinyl ersetzte das teure Orchester – Nino Rotas schwermütiges Thema aus „Der Pate“ begegnet einem im türkischen Kino daher genauso oft und lizenzrechtlich unerwartet wie John Williams’ wuchtige Melodien aus „Star Wars“ und „Indiana Jones“.

Das hohe Produktionstempo, die defizitäre Technik und die erschwerten Bedingungen – Filmmaterial war selten, zweite Takes nicht möglich – führten zu einem ruppig-ungestümen, abenteuerlich unbeschlagenen Erscheinungsbild, das heute eher an Experimental- und Undergroundfilme als an dröges Formelkino denken lässt. In diesem wunderbar dreisten Zugriff auf Stoff und Material liegt der immense Reiz, den der türkische Trivialfilm auf Filmwissenschaftler und Exploitationkino-Archäologen ausübt.

So ziemlich jeder große Erfolgsfilm liegt in einer türkischen Variante vor

Das internationale Exploitationkino hat sich in den letzten Jahren als dankbarer Stoff für viele Dokumentarfilme erwiesen. Meist zielen diese jedoch auf nostalgische Emblematisierung und bonmot-schwangeres Amüsement – Futter für „So bad, they’re good“-Zyniker. Cem Kaya hat dagegen anderes im Sinn: Sein auf jahrelanger Recherchearbeit fußender Film liest die verstreuten Partikel einer vom Verwehen bedrohten, aber unbedingt erzählenswerten Filmgeschichte auf (viele Filme liegen heute tatsächlich nur noch als für den deutschen Migrantenmarkt produzierte Tapes vor).

Zu dem großen Reichtum von „Remake, Remix, Rip-Off“ tragen insbesondere auch die über hundert geführten Interviews mit den damaligen Protagonisten bei, die sympathisch verschmitzt von ihren teils haarsträubenden Zeiten als Glücksritter beim Film erzählen. Auf unterhaltsame, den Gegenstand aber nie preisgebende Weise wird das Phänomen des farbenfrohen türkischen „PopCinema“ im Zuge daher vor allem auch im Horizont seiner sozialen und politischen Einbettung begreiflich.

Kaya lässt einen wieder staunen über die abenteuerlustige Unbekümmertheit dieser fragilen, quasi-folkloristischen Nationalkinematografie, nicht ohne sie dabei rückzubinden an die enormen Risiken bei der Produktion (die Stunts fanden mehr oder weniger ohne Absicherung statt), die politischen Kämpfe der Zeit und die Orte ihrer Entstehung und Rezeption. Ganz nebenbei werden verschüttete Genre-Auteurs geborgen: Çetin Inanç etwa, Regisseur des berüchtigten, als „Turkish Star Wars“ gehandelten „Dünyayi Kurtaran Adam“, ein melancholischer Maverick, den die Filmgeschichtsschreibung nicht kennt, dessen einfallsreiche Filme, mit hochdynamisierten Kameraeinstellungen und Schnittgewittern, aber auf einen Geistesverwandten von Sam Fuller schließen lassen.

Überzeugen Sie sich selbst: „Vahşi Kan“, seine Variante des ersten Rambo-Films, findet man – legaler Status ungewiss – auf YouTube.

„Remix Remake Rip-Off“. Regie Cem Kaya. Deutschland/Türkei 2014, 96 Min. Ab 5. Mai im Brotfabrik-Kino

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