heute in hamburg: "Es gibt Grenzfälle"
BÖHMERMANN Rechtswissenschaftler diskutieren über die gesetzlichen Grenzen der Satire
taz: Herr Thiele, die Böhmermann-Affäre ist einen Monat alt. Gibt es immer noch was dazu zu sagen?
Alexander Thiele: Eigentlich scheint die Debatte sich gelegt zu haben. Ich glaube aber schon, dass sie in den nächsten Monaten wieder aufkommen wird, wenn die Staatsanwaltschaft in Mainz ihre Entscheidung treffen muss. Sie soll entscheiden, ob sie tatsächlich Jan Böhmermann anklagt oder die Anklage fallen lässt.
Was halten Sie von Paragraf 103, „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“?
Ich glaube, dass der nicht so pauschal abgelehnt werden sollte. Ich halte es schon für sinnvoll, dass man zumindest darüber nachdenkt, ob er nicht weiterhin ein sinnvolles Instrument ist.
Sinnvoll wofür?
Die Idee dahinter ist, dass man die diplomatischen Beziehungen zu anderen Staaten auch strafrechtlich schützt.
Wo liegt die Grenze zwischen Satire und Schmähung?
Das ist genau der Punkt. Ich glaube, dass Böhmermanns Gedicht für sich genommen zweifellos eine Schmähkritik ist. Aber, wenn wir den gesamten Kontext berücksichtigen, haben wir dann eine zulässige Satire. Der Kern ist tatsächlich nicht die Diffamierung, sondern die Botschaft: „Was geht genau in der Türkei ab? Wie verhält sich eigentlich Erdoğan?“ Das steht im Vordergrund.
Ist die Meinungsfreiheit hier infrage gestellt?
Nein, aber die Meinungsfreiheit hat Grenzen – in diesem Fall die der Persönlichkeitsrechte Dritter. Und es gibt auch Grenzfälle, das ist ganz normal. Manchmal geht man über eine Grenze und etwas ist dann verboten.
Welches Urteil wäre gerechtfertigt?
Ich glaube, dass die Staatsanwaltschaft in Mainz gar keine Anklage erheben wird. Aber selbst wenn, haben wir hier einen Grenzfall. Wir reden also über eine sehr geringe Geldstrafe. Interview: ANNA DOTTI
Podiumsdiskussion „Der Fall Jan Böhmermann“: 16 Uhr, Hörsaal des Rechtshauses, Rothenbaumchaussee 33
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