Achtung Kunst!

Ausstellungsparcours Alle Jahre wieder verfällt Berlin zum Gallery Weekend in einen Kunstrausch. Zu entdecken gibt es viel. Viel zu viel. In den eingesessenen Galerien, aber auch an neuen, ungewöhnlichen Orten

Fast ebenso entscheidend wie die Kunst selbst ist die Inszenierung

von Beate Scheder

Dass Kunst die Menschen zusammenbringt, ist wahrscheinlich niemals so wahr wie am Wochenende rund um den 1. Mai in Berlin. Das Gallery Weekend, 2005 aus einer Initiative Berliner Galeristen heraus selbst organisiert und selbst finanziert entstanden, ist das wichtigste Datum im Kunstkalender der Stadt – und längst nicht nur hier. Auch internationale Gäste, Sammler und Kuratoren zieht es dann nach Berlin, das Konzept wurde vielfach in anderen Ländern und Städten kopiert. Und es funktioniert, weil alle davon profitieren: Für die mitunter durchaus kaufkräftigen Besucher ist es viel charmanter, von Galerie zu Galerie zu ziehen als über die xte Messe, für die Galeristen hat es den Vorteil, ihre Künstler in den eigenen Räumlichkeiten besser in Szene setzen zu können als in irgendwelchen Kojen, und die Berliner können sich über feine Ausstellungen und Partys freuen. Damals im Gründungsjahr waren es nur 20 offizielle Teilnehmer. Mittlerweile hat sich die Zahl der Galerien mehr als verdoppelt. 54 Galerien stehen im offiziellen Programm, und alle warten sie mit ihren stärksten Positionen auf. Neuzugang ist unter anderem die Charlottenburger Galerie Mathew, die auf den Fotorealisten Richard Phillips setzt, wieder dabei etwa die Galerie Nagel Draxler, die pünktlich zum Kunstmarathon einen neuen Raum, das Kabinett, eröffnet.

Fast ebenso entscheidend wie die Kunst selbst ist nämlich die Inszenierung. Im vergangenen Jahr übertrumpfte Johann König alle mit der Einweihung der zur Galerie umgebauten St.-Agnes-Kirche in Kreuzberg, einem brutalistischen Kleinod, 1967 von Werner Düttmann erbaut. Auch in diesem Jahr hat er wieder ein Ass im Ärmel: Zum Gallery Weekend beginnt die erste Gartenschau. Früher, als die St.-Agnes-Kirche tatsächlich noch eine Kirche war, fanden im Kirchgarten Gemeindefeste statt, dann verwilderte er. Ihn für Kunst zu nutzen lag im Grunde nahe, hat doch die Galerie König einige Künstler im Programm, die skulptural arbeiten, Überfliegerin Camille Henrot etwa, Alicja Kwade oder Michael Sailstorfer. Noch dazu gibt es in Berlin kaum andere Skulpturenparks.

Angelegt hat den Garten die Königliche Gartenakademie nach dem Vorbild der Gärten des venezianischen Architekten Carlo Scarpa, jedoch mit ausschließlich hiesigen Gewächsen. Geometrische Formen, Betonelemente und ein treppenartiger Aufbau sollen eine Verbindung zum Kirchenbau schaffen, aus dessen Schiff wiederum besonders hübsch eine Außentreppe in den Garten führt. Und die Skulpturen? Sind so zwischen Heckenriegeln verteilt, dass man stets nur eine davon sieht. Fünf menschengroße Gurken von Erwin Wurm stehen da wäldchengleich herum. Tatiana Trouvés Brunnen ist eine Bronzematratze, aus der Wasser tropft, Elmgren & Dragsets „The Critic“ ein bronzener Geier, der die Besucher belauert.

Der Garten ist ab Freitag, dem großen Eröffnungstag des Gallery Weekend, zu besuchen. Später dann immer nach Voranmeldung. In den Innenräumen der Kirche sind indes Fotografien von Annette Kelm und Installationen von Claudia Comte zu sehen und in den ehemaligen Räumen der Galerie Malerei von K. H. Hödicke.

Mit großen Namen fahren auch andere auf: Crone zeigen Hanne Darbovens akribische Zahlenarbeiten, Michael Haas Malerei von Paula Modersohn-Becker. Keramikkünstler Edmund de Vaal bespielt beide Räume von Max Hetzler. Düster-Surreales von Victor Man gibt es sowohl bei MD72, dem zweiten Raum der Galerie Neu, als auch bei Plan B zu sehen. Liebhaber von Fotografie können sich auf Wolfgang Tillmans bei Buchholz, auf Michael Schmidt bei Nordenhake oder Tobias Zielony bei KOW freuen. Isabella Bortolozzi präsentiert den kolumbianisch-britischen Jungstar Oscar Murillo. Bei Arratia Beer setzt sich Ed Fornieles mit dem Selbst­optimierungswahn aus­ein­ander. Unter anderem.

Längst sind es jedoch nicht nur die offiziellen Teilnehmer des Programms, die den Reiz ausmachen. Ungezählt all die Galerien und Projekträume, die sich mit dranhängen. Auch da gilt: Wer aus der Masse der Veranstaltungen herausstechen will, muss sich etwas Besonderes einfallen lassen. Räumlich zum Beispiel. Siehe oben.

Die New Yorker Ausstellungsplattform Sorry Archive und Kuratorin Elena Oughia etwa bespielen den Spätkauf P71 (in der Potsdamer Straße 71) mit einer Gruppenausstellung, die am Donnerstag um 19 Uhr eröffnet wird. Zuckerschock! lautet der Titel, es geht um Konsum und Stimulation, um Functional und Trash Food, süße Laster und Selbstoptimierung. Was könnte im Späti auch besser passen? Über den Flatscreen laufen Videoarbeiten, zwischen Schnapsflaschen und Chipstüten sind Objekte platziert, Arbeiten junger Künstler aus Berlin und New York – unter anderem Nicholas Sullivan, Allison Brainard, Julian Stahlbohm und Constantin –, die sich erst beim zweiten Hinsehen als solche enttarnen.

Das Gallery Weekend lebt von diesem Mix aus schnieken White-Cube-Galerien und solchen überraschenden Projekten aus der Szene für die Szene, die meist noch nicht einmal eine Wegbierlänge voneinander entfernt liegen. Und von seinem Überangebot. Alles wird keiner sehen können, deshalb besser einfach irgendwo anfangen und sich dann treiben lassen.

Gallery Weekend Berlin

Bronzematratze, aus der Wasser tropft: Tatjana Trouvés „Waterfall“, 2013 Foto: Tatjana Trouvés / Galerie König

Im Rahmen des Gallery Weekend laden insgesamt 54 Galerien der Stadt zu Vernissagen und einem umfangreichen Rahmenprogramm ein – zahlreiche Institutionen nutzen außerdem die Gelegenheit, um ihre Sammlungen einem interessiertem Publikum zu präsentieren. Am Wochenende gibt es verlängerte Öffnungszeiten. Eröffnungen am Freitag: 18–21 Uhr, Öffnungszeiten Samstag & Sonntag 11–19 Uhr.

Gallery Weekend: Verschiedene Orte, 29. 4.–1. 5., Infos: www.gallery-weekend-berlin.de