piwik no script img

Ein Gleiten zwischen den Zeiten

Film In „Briefe aus der Fremde“ verknüpft Maja Weyermann eine Recherche über Teppiche mit dem Völkermord an den Armeniern. Am Sonntag ist der auch poetische Film im Kino Arsenal zu sehen

von Katrin Bettina Müller

Ihr Blick ist ein vorsichtiger, zaudernder, tastender. Kein Eindringling. Er verharrt auf Fenstern, schaut durch Türen und Tore, nähert sich Schwellen und Treppen, sieht in Hauseingänge und auf Hausnummern, Stromzähler und Kabel. Diese visuelle Zurückhaltung in Maja Weyermanns „Briefe aus der Fremde“ ist ungewöhnlich für einen Film, der von einer historischen Recherche erzählt und von einem Aufenthalt in Istanbul. Aber in dem tastenden Gestus liegt eine besondere Qualität der Ästhetik der Künstlerin, die in vielen Arbeiten Wege der Annäherung, dem Verknüpfen von visuellen Informationen mit Erinnerungen und Gedanken nachgeht.

In „Briefe aus der Fremde“ hat dieses Vorgehen aber auch noch einen anderen Grund. Maja Weyermann war 2015 mit einem Stipendium des Berliner Senats in Istanbul, und sie wollte über kleinasiatische Teppiche forschen, welche Geschichten und Erinnerungen mit deren Mustern verknüpft sind.

Sie erzählt einer Freundin in Briefen von diesen Recherchen, die erst nicht recht vorankommen, bis sie auf die Spur der Rolle der Armenier in der Teppichindustrie stößt und damit auch auf die Vertreibung und den Völkermord an den Armenier im Osmanischen Reich 1915.

Der Film, das Buch

Der Film „Briefe aus der Fremde“, Maja Weyermanns Spurensuche nach armenischen Hinterlassenschaften in Istanbul, ist am Sonntag um 18 Uhr im Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, zu sehen

„Maja Weyermann“, die im vergangenen Jahr erschienene Monografie, fasst die Werke der Künstlerin der letzten Jahre erstmals zusammen: Kerber Verlag Berlin-Bielefeld, 35 Euro

Bei Spaziergängen durch die Stadt wunderte sie sich immer wieder über verfallende und leer stehende Häuser, erzählt sie, und entdeckt, dass es sich dabei oft um ehemalige Schulen, Krankenhäuser und Waisenhäuser handelte, die Eigentum armenischer Stiftungen waren und vom türkischen Staat enteignet wurden. Während sie diese, oft unbetretbaren, Häuser von außen zeigt, berichtet sie der Freundin immer mehr von den allmählich herausgefundenen Details über Teppichknüpferinnen und Händler armenischer Herkunft, die bis 1915 einen großen Anteil an der Teppichproduktion hatten.

Man sieht alte Fotografien von Frauen in Teppichfabriken in Ostanatolien, wo bis zu 40.000 Knüpferinnen beschäftigt waren, und hört, dass ein Grund für den großen Anteil an Armenierinnen in dieser Produktion auch darin lag, dass Makler und Händler muslimische Frauen nicht hätten zu Hause besuchen dürfen, um die Qualität der Ware zu begutachten.

Weyermanns knapp 40-minütiger Film ist anders als viele Dokumentarfilme. Denn obwohl ihre vorgelesenen Briefe und auch ihre Bilder viele Informationen enthalten, nimmt sie dazu das Nichtwissen mit hinein, ihre Fragen als die eines Außenseiters, ihre Begegnung mit einer verdrängten Geschichte. Jedes Bild ist auch eine Vermessung der Distanz zur Geschichte und der Versuch, in die materiellen Zeugnisse hineinzuhören. Was geben sie preis, was verbergen sie, die verwitterten Hausfassaden hinter Bäumen in großen Gärten oder die schönen Muster alter Teppiche, die schon Spuren der Abnutzung und des Verschwindens ihrer Muster zeigen.

Die letzten Bilder ihres oft auch poetischen Films zeigen einen alten, prächtigen, gründerzeitlichen Bau in Istanbul, den Bahnhof Haydarpaşa, von dem aus die Deportationen der Armenier 1915 begannen. Man sieht in leere Wartesäle, die Ornamente der Wände, man sieht auf Schienen und hört dabei Gedichte von Günter Eich und Ilse Aichinger, die in der Nachkriegszeit den Schrecken des Holocaust reflektieren und die Furcht vor der Wiederholung. Es sind sehr große historische Echoräume, die Maja Weyermann mit diesen Bildern und Texten aufmacht, aber sie tut es sehr behutsam.

Nicht allein Information In ihre Bilder nimmt sie auch das Nichtwissen mit hinein, ihre Fragen als die eines Außenseiters, ihre Begegnung mit einer verdrängten Geschichte

Vergangenes Jahr hat Maja Weyermann, die 1962 in der Schweiz geboren ist und seit 1989 in Berlin lebt, ein Buch über ihre Arbeit herausgebracht. Fast immer geht es in ihren Bildern um Räume und Architekturen und das, was sie an Geschichte und Erinnerung aufrufen. Ihr Medium sind dabei meist „renderings“, an Fotografien erinnernde Bilder, die aber am Computer erzeugt werden.

Die Visionen einer lichtdurchlässigen Architektur der frühen Moderne, die in der Innen- und Außenwelten ineinanderfließen, sind dabei ebenso ein Referenzpunkt wie Kinofilme. Als ob man mehrere Dias hintereinander schichtete, legen sich bei Maja Weyermann transparente Bildelemente übereinander. Das erzeugt beim Sehen auch die Suggestion einer Bewegung, einer langsamen Annäherung an die Orte. Das filmische Erzählen, das Gleiten von einem Bild zum nächsten, scheint in ihnen oft schon angelegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen