: Mein Leipzig lob’ ich mir …
Urbane Legenden Nicht Goethe, sondern ein versoffener Frosch steckt hinter dem demnächst wiederbelebten Leipzig-Slogan
aus Leipzig Otto Werner Förster
Wie schon Goethe sagte …“ Da darf man nicht widersprechen! Ein Heiliger. Aber wenn er’s gar nicht gesagt hat, der gute Goethe, sondern eine seiner literarischen Figuren? Da fängt das Missverständnis an. Man wird sich gedacht haben, das ist dann wohl wurscht, die Leute merken es doch sowieso nicht. So mögen in der Mitte der 60er Jahre die Leipziger Stadtlenker agiert haben, als sie sich etwas ganz Schlaues einfallen ließen zwecks Stadtmarketing. 1967 kam eine riesige Leuchtschrift auf ein Haus am Leipziger Brühl mit dem Zitat „Mein Leipzig lob’ ich mir …“. Und dazu eine Goethe-Silhouette.
Nun kommt man als Leipziger bis heute nicht umhin, seine alte Kulturstadt zu mögen und zu loben: eine Universität von 1409, ein Zentrum der Aufklärung im 18. Jahrhundert neben Hamburg und Zürich, die Stadt der Philosophen Leibniz, Wolff, Thomasius, Fichte, Nietzsche und ein Ort der Dichter Lessing, Klopstock, Schiller, Goethe, Jean Paul usw.
Aber in der Leipziger Geschichte gab es durchaus auch die andere Seite, die der Dumpfen, schnell und rücksichtslos reich Gewordenen, die der Maßlosigkeit, der Kriminellen und Huren. Deshalb auch das „Klein Paris“. Die Stelle in Faust I, die Fasskeller-Szene, geht wie folgt.
Mephisto: Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest. / Mit wenig Witz und viel Behagen / Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz / Wie junge Katzen mit dem Schwanz. / Wenn sie nicht über Kopfweh klagen, / So lang der Wirt nur weiter borgt, / Sind sie vergnügt und unbesorgt.
Brander: Die kommen eben von der Reise, / Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise; / Sie sind nicht eine Stunde hier.
Frosch (bezieht sich auf die Worte Mephistos): Wahrhaftig, du hast recht! / Mein Leipzig lob’ ich mir / Es ist ein klein Paris und bildet seine Leute.
Kein Goethe also, sondern der versoffene Frosch lobt dieses Leipzig. Schon kurz nach der Installation hat es damals Warnungen an die städtischen Marketing- „Experten“ seitens der Universität gegeben. Der Germanistikprofessor Walter Dietze spricht in einem Aufsatz zu den Erstsemestern: „Sollte die tiefe, ja zähneknirschende Ironie wirklich so schwer zu verstehen oder im Laufe der Zeit ganz verlorengegangen sein, die allein darin liegt, dass es der dümmsten und schlimmsten Philister einer ist, der solchermaßen zu Worte kommt?“
Der kleine Goethe, gerade erst 16 geworden, kommt am 3. Oktober 1765 in Leipzig an, mit einem gewissen Grad von Arroganz. Am 18. Oktober schreibt er an seine Schwester in Frankfurt: „Ich habe etwas mehr Geschmack und Kenntniss vom Schönen, als unsere Galanten Leute und ich konnte nicht umhin, ihnen offt in großer Gesellschafft das armseelige von ihren Urteilen zu zeigen … Ich habe einen Freund an dem Hofmeister des Grafen von Lindenau … Wir trösten uns mit einander, indem wir in unserm Auerbachs Hofe, dem Besitztume des Grafen wie in einer Burg sitzen, über die Leipziger lachen, und wehe ihnen, wenn wir einmahl unversehns aus unserem Schloß auf sie mit mächtiger Hand einen Ausfall tuhn …“
Auerbachs Keller war da übrigens nur während der drei Messen geöffnet. Goethe kann also nicht ständig dort gesessen haben, zumal Freund Behrisch als Hofmeister entlassen wird und nach Dessau geht. Erst 1850 wird es reguläres Weinlokal. Faust I erscheint 1808 als Buch, vier Jahrzehnte nach Goethes Leipziger Zeit. Im gleichen Jahr schreibt der 59-Jährige an seinen studierenden Sohn August nach Heidelberg: „Die guten academischen Jahre auch in einer herrlichen Gegend und merkwürdiger Nachbarschaft zuzubringen, ist ein Glück, das ich nicht genossen habe, da ich drey Jahre in dem steinernen, auf der Fläche, wo nicht im Sumpf, doch am Sumpfe liegenden Leipzig zubrachte.“ Das zunächst anonym erschienene Buch von August Maurer „Leipzig im Taumel“ aus dem Jahr 1799 ist da noch drastischer …
„Mein Leipzig lob ich mir“ – das sehr missverstandene Zitat soll demnächst wieder auf die Dächer …
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