Debatte Fragwürdige Sichtweisen zu den Vorfällen in Köln überschatteten eine Podiumsdiskussion über sexualisierte Gewalt: Dankbarkeit für Übergriffe
„Frauen in Bremen erleben häufig sexualisierte Übergriffe. Sie leben damit. Und die Polizei ist die letzte Instanz, die davon erfährt.“ Dieses alarmierende Fazit zog Polizeikommissarin Astrid Gaede auf der von den Jusos initiierten Diskussionsrunde am Donnerstagabend im Kulturzentrum Kukoon.
„Sexualisierte Gewalt stoppen – nur nach Köln ein Thema?“ lauteten Titel und Ausgangsfrage der Veranstaltung. Außer der Kripobeamtin saßen die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Sascha Karolin Aulepp sowie die Rechtsanwältin und Terre des Femmes-Aktivistin Jutta Bahr-Jendges auf dem Podium. Die Veranstaltung war mit etwa 70 Teilnehmern gut besucht: Offensichtlich ist das Thema auch vier Monate nach „Köln“ hochaktuell.
Jedoch ging es nicht um die massenhaften und gemeinschaftlichen Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht, sondern um sexuelle Gewalt im sozialen Nahbereich. Denn das ist nach wie vor der Ort, an dem die meisten Übergriffe geschehen. Sascha Karolin Aulepp kritisierte, dass in der öffentlichen Debatte nach „Köln“ ausgerechnet dieser Punkt ausgeblendet blieb.
Die Anwältin Jutta Bahr-Jendges erläuterte die juristische Dimension und betonte, dass betroffene Frauen durch die Mühlen eines Strafprozesses oftmals erneut zum Opfer würden. Sie erinnerte daran, dass Bremen bereits 1984 als erstes Bundesland ein interdisziplinäres Sonderderzernat zur Bearbeitung von Sexualstraftaten geschaffen hat, das sogenannte ‚Bremer Modell‘. Und plädierte für die längst überfällige Reform des Sexualstrafrechts. Bahr-Jendges kritisierte, dass die Istanbul-Konvention gegen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen von Deutschland nach wie vor nicht ratifiziert worden ist.
Die nach den Kölner Ereignissen öffentlich vieldiskutierte Frage nach den kulturellen Hintergründen der Täter wurde an diesem Abend ausgeklammert. Erst gegen Ende der Veranstaltung meldete sich aus dem Publikum eine türkischstämmige Sozialarbeiterin zu Wort und wies darauf hin, dass es ihrer Erfahrung nach durchaus einen kulturellen Unterschied im Umgang mit Frauen gebe. Sie machte dabei auf ein weiteres großes Problem aufmerksam: Migrantinnen aus streng religiös geprägten Familien, die Opfer sexueller Gewalt werden, hätten aufgrund mangelnder Partizipationsmöglichkeiten häufig kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren.
Alle waren sich einig darüber, dass das Thema sexuelle Gewalt in der öffentlichen Debatte unterrepräsentiert ist. Vielleicht ist die Unzufriedenheit darüber der Grund dafür, dass sich zwei der Expertinnen in der ansonsten ruhig und kenntnisreich geführten Diskussion noch um Kopf und Kragen redeten: Sascha Karolin Aulepp bezeichnete es als „ein Glück, dass auch mal so etwas wie in Köln passiert, denn so fassen Frauen Mut, das auch anzuzeigen“. Jutta Bahr-Jendges formulierte es so: „Es klingt zwar zynisch, aber ich als Feministin musste sagen: Danke, Köln, dass das Thema endlich mal auf die Tagesordnung kommt.“
Karolina Meyer-Schilf
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