: Genscher redet, Diepgen schläft
Genscher tritt ans Pult, oszilliert, staatsmännisch steifleinen wie stets, von Hülse zu Platitüde, flockt Floskeln („Das Werk ist groß!“) – und von Weizsäcker schickt sich an, in ein Nachmittagsnickerchen zu fallen, Diepgen dann auch. Wach werden sie erst, als das Übersetzungsgerät am Verleger-Ohr Wolf Jobst Siedlers klemmt und aufs Parkett knallt, denn Gorbi stellt sich und seine 1.232 Seiten „Erinnerungen“ vor, Wohnzimmerschrankwandschmuck für 78 Mark das Stück. Duzfreund Genscher läßt in puncto Konvolut, gedruckt auf babyblauem Papier, den einzig möglichen Satz fallen: „Wahrscheinlich sind der Lektor, Gorbatschow und ich die einzigen, die das Buch schon gelesen haben.“ Womöglich werden sie die einzigen bleiben.
Thorsten Schmitz, taz v. 5. 4. 1995
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