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Alle oder keiner

Integration In vielen Fußballklubs wie dem Hellersdorfer FC ist die Aufnahme von Flüchtlingen zur Normalität geworden. Auch in anderen Sportarten engagiert man sich – trotz Mangel an Sportstätten und fehlenden Trainern

Shakehands muss sein: Die D-Jugend des Hellersdorfer Fußballclubs mit Edis (5. Spieler von rechts) empfängt den Fußballgegner SC Bomani aus Moabit

Von David Joram (Text) und Joanna Kosowska (Fotos)

Der giftgrüne Kunstrasenplatz des Hellersdorfer Fußballclubs (HFC) ist verdammt hart. Aber Edis ist das egal. Er möchte einfach nur Fußball spielen. Sein Traum wäre es, bei Real Madrid zusammen mit seinem großen Vorbild Cristiano Ronaldo zu kicken. Mit seinen Eltern flüchtete der 13-Jährige 2015 aus dem Kosovo nach Deutschland. Sein neues Zuhause wurde Hellersdorf.

Im Bezirk reiht sich Plattenbau an Plattenbau, mal gelb, mal rosarot, mal grau. Und hier steht auch das kleine, in den Farben Blau und Gelb gehaltene HFC-Vereinsheim. Es wirkt ziemlich verloren, umgeben von so viel Beton. Und dennoch ist dieser Ort für Edis das Fußballparadies schlechthin, ein Stück Normalität jenseits des Alltags im Flüchtlingswohnheim. Der HFC ist einer von zahlreichen Berliner Klubs, die es Flüchtlingen ermöglichen, am Vereinssport teilzuhaben. In anderen Sportarten tut man sich damit bisweilen schwerer.

DFB-Geld für Materialien

24 Berliner Fußballvereine sind bisher vom Deutschen Fußball-Bund für gelungene Integrationsprojekte prämiert worden. „1:0 für ein Willkommen“, so nennt sich das DFB-Projekt, das anerkannten Klubs einmalig 500 Euro für Materialien zahlt. Zu den Preisträgern gehören Vereine wie der SV Rot-Weiß Viktoria Mitte 08 oder der SV Pfefferwerk, wahrlich keine Branchenriesen.

Der kleine, 1993 gegründete HFC mit seinen 150 Mitgliedern, darunter 70 Kinder, gehört nicht zu den DFB-Prämierten. Sieben interessierte Jungen aus dem nahe gelegenen Flüchtlingswohnheim in der Maxie-Wander-Straße hat man trotzdem gerne in die Jugendabteilung geholt. Edis ist einer von ihnen.

Der Kontakt kam über einen Schulfreund zustande, schnell wurde mehr daraus – auch dank Michael Sielaff, Edis’ heutigem Trainer. „Ich bin quasi selbst ein Flüchtling“, sagt Sielaff, der in Grünau aufwuchs und mit seinem Leben in der DDR nie wirklich zurechtkam. Ein Fluchtversuch endete im Gefängnis, am 4. Mai 1984 kaufte ihn die BRD frei. „So etwas prägt einen, das vergisst man nicht.“

Sportlich, sportlich

Landessportbund: 66 Berliner Sportvereine engagieren sich laut LSB für Flüchtlinge. Besonders gefragt ist Fußball. Mit 140.000 Euro unterstützte der Verband die Sportart in diesem Jahr. Mit dem Geld werden unter anderem Sportgeräte angeschafft. Wegen der hohen Nachfrage hat der Senat vor einer Woche entschieden, die Summe auf 300.000 Euro aufzustocken.

Fußball: 24 Berliner Klubs sind bereits vom DFB für ihre Flüchtlingsarbeit prämiert worden. Die DFB-Stiftung "1:0 für ein Willkommen" vergibt 500 Euro pro Verein. Die Aktion hat einen symbolischen Charakter und erfasst nicht alle Initiativen. (djo)

Für ihn steht fest, dass Menschen in Not geholfen werden muss. Er fuhr also in Edis’ Flüchtlingsunterkunft, brachte Bälle, Trainingsanzüge, Trikots und Hosen mit. „Wir wurden sehr gastfreundlich empfangen“, erinnert sich der Trainer. Und: „Die Jungs sind doch alle gleich, ob das Syrer, Kosovo-Albaner oder Deutsche sind. Ich sehe da keinen Unterschied.“

Andere differenzieren indes schon, und das bedrückt „Herrn Sielaff“, wie ihn seine Spieler nennen. Eine Freundschaftsspielreise ins polnische Posen musste der Verein absagen, weil sie gegen Edis’ Aufenthaltsbestimmungen verstoßen hätte. Vereinsausfahrten gelten – anders als etwa Schulausflüge – als Privatfahrten. Also blieb der HFC zu Hause. Entweder alle oder eben keiner, lautete die Devise. Stattdessen schrieb Michael Sielaff einen Brief an Bundespräsident ­Joachim Gauck. Weil er nicht begreife, was das mit Integration zu tun habe, sagt der Trainer. „Das ist Ausgrenzung.“ Gaucks Antwort steht noch aus.

Seine zwölf jungen Mitspieler haben Edis sofort aufgenommen. Das beweist der Samstag, an dem die D-Jugend des HFC den SC Bomani aus Moabit empfängt. Die Vorbereitung auf das Duell beginnt um halb zehn mit einem Mannschaftsfrühstück: Gekochte Eier, Schinken, Gurken, Tomaten und Brötchen stehen auf einem großen Tisch. Edis hat an diesem Samstag Geburtstag. Doch wirkt es so, als werde ihm dies erst jetzt bewusst, da aus zwölf Kinderkehlen ein lautstarkes „Happy Birth­day“ ertönt. Edis vergräbt den Kopf in seiner blau-gelben Trainingsjacke. Er weint, scheint gerührt. Willkommen in der Normalität.

Ganz so einfach scheint es aber nicht immer zu sein. Schon gar nicht außerhalb des Fußballs. Die finanziellen Ressourcen sind knapp – auch wenn der Landessportbund (LSB) teilweise Abhilfe schafft. Im September 2015 erhielten 22 ausgewählte Vereine 35.000 Euro. Frank Kegler, LSB-Abteilungsleiter für Bildung, sagt, welche Initiativen vor allem berücksichtigt werden: „Wir legen besonders Wert auf ein breites Sportangebot. Spezielle Anreize für Mädchen und Frauen wollen wir ebenfalls besser fördern. Wenn Vereine Förderanträge stellen, haken wir da noch mal nach.“ Von Hilfsmüdigkeit könne keine Rede sein, meint Kegler. „Ein Großteil der Vereine, die ihr Engagement 2015 begonnen haben, machen weiter.“

Zahlen belegen, dass sich die Berliner Vereine längst mit den veränderten gesellschaftlichen Strukturen auseinandersetzen. So gingen beim LSB bis letzten Monat 52 Förderanträge mit einem Gesamtvolumen von 290.000 Euro ein. Die Vereine wollen eingliedern, nicht ausgrenzen. Damit ist auch die Hoffnung auf einen langfristigen Mitgliederzuwachs verbunden.

Zur Ankurbelung müssen deshalb kurzfristig finanzielle Mittel fließen. Bislang verfügte der Verband lediglich über 140.000 Euro, die er verteilen konnte. Kegler forderte daher: „Wir müssen weitere Gelder beantragen und den Topf auf mindestens 280.000 Euro verdoppeln.“ Der Ruf wurde erhört. Vor einer Woche stockte der Senat die Summe sogar auf 300.000 Euro auf.

„Die Jungs sind doch alle gleich, ob das Syrer, Kosovo-Albaner oder Deutsche sind. Ich sehe da keinen Unterschied“

Trainer Michael Sielaff

Sportstätten fehlen

Bei zwei Problemen, die Berlins Vereine plagen, helfen die zusätzlichen Euros aber wenig. Es mangelt an Sportstätten und an ehrenamtlichen Kräften. Das war schon bekannt, bevor die Flüchtlinge kamen. Spätestens jetzt offenbart sich das Ausmaß des Mangels.

Dort, wo Vereine „ihre“ Hallen nun Flüchtlingen überlassen müssen, sind die Konflikte also vorprogrammiert. Zwar dienen nur 63 von 1.000 Hallen als Unterkunft – den betroffenen rund 100 Vereinen nützt diese Statistik freilich wenig.

Im Berliner Südwesten können die Hockeyspieler des Steglitzer TK und die Fechter des FCB Südwest seit Oktober 2015 nicht mehr in ihrer Halle trainieren. In der Sochos-Sporthalle in Steglitz-Zehlendorf wurden im großen Hallenteil 150 Männer untergebracht, hauptsächlich Syrer. Ein Bett reiht sich an das nächste, selbst unter den Basketballkörben sind Schlafplätze eingerichtet worden. 162 Neonröhren beleuchten den Raum mit grellem, weißem Licht. Überall riecht es nach abgestandener Luft, die dringend mal ausgetauscht werden müsste. Vor den sanitären Anlagen aber stinkt es nach Urin. Neben dem Männerquartier, im kleineren Raum, campieren 50 Frauen und Kinder.

Gemeinsam stark: die FußballerInnen des HFC

Marek Bajan, der Fechttrainer des FCB Südwest, ist ein richtiger Haudegen, den so schnell nichts aus der Ruhe bringen kann. Trotzdem fühlte er sich übergangen, als der Bescheid vom Bezirk kam, die Halle umzunutzen. Beinahe täglich kommt der 60-Jährige in die Sochos-Sporthalle, um im FCB-Büro den Papierkram zu regeln. Was er sieht, gefällt ihm nicht: „Hier kommt jeden Tag ein Reinigungsmann, der wischt aber nur den Boden mit Wasser.“ Bajan ist das zu wenig: „In der Halle rennen doch Kinder rum. Da sollte besser geputzt werden“, sagt er. „Aber das Gesundheitsamt kommt erst, nachdem etwas passiert ist.“

Natürlich stört er sich auch an den viel längeren Wegen, die er fahren muss, um seine Fechter an andere Trainingsorte zu bringen. Exakt 69 Kilometer fallen dafür extra an – pro Woche. Und dabei verfügt sein Verein und dessen Halle über eine topmoderne eigene Anlage, die für 100.000 Euro erneuert wurde. Eines jedoch wiegt schwerer: Seit dem vor­über­gehenden Verlassen des Standorts ist der Verein von 200 auf 160 Mitglieder geschrumpft. Bajan macht das zu schaffen, vom Bezirk fühlt er sich alleingelassen.

Überrumpelt fühlte man sich auch beim Steglitzer TK – als die Nachricht kam, dass die Halle von heute auf morgen für die Flüchtlinge genutzt würde. Doch schnell entschied man sich für einen offensiven Weg. Für Isa Knudson, die STK-Geschäftsführerin, stand schnell fest, dass die Hockeyspieler sich für die Flüchtlinge einsetzen müssten. Erweiterte Essensangebote, Sachspenden oder Ausflüge habe man organisiert. Knudson lobt zudem, dass die größeren Berliner Sportvereine sehr großzügig auf Anfragen für Eintrittskarten reagiert hätten. Man wolle sich auch weiterhin einsetzen, kündigt Knudson an: „Demnächst beginnt die Feldsaison auf unserem Platz nahe der Flüchtlingsunterkunft. Zum Hockeytraining sind alle eingeladen, volle Inklusion!“

Dies gilt ebenso beim Hellersdorfer FC. Nach dem morgendlichen Gesang und Edis’ Geburtstagsfrühstück folgt das Punktspiel. 0:1 liegt der HFC zurück, dann dreht Edis auf und trifft dreimal. Das Spiel endet 4:1, verloren wirkt hier niemand.

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