: Eine Frage der Kulanz
Verkehr Neukunden von BVG und S-Bahn werden einer Bonitäts- prüfung unterzogen. Bedenklich, findet die Piratenfraktion
von Claudius Prößer
So viel steht fest: Wer etwas verkauft, will Geld dafür sehen. Und wer sein Produkt liefert, noch bevor es bezahlt ist, will möglichst sicher sein, dass die Rechnung am Ende tatsächlich beglichen wird. Die beiden Berliner Verkehrsunternehmen BVG und S-Bahn versuchen das durch Bonitätsprüfungen potenzieller Abokunden zu bewerkstelligen. Wie die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Piratenfraktion zeigt, lassen die beiden jedes Jahr Zigtausende Antragsteller auf Kreditwürdigkeit durchleuchten – mit fragwürdigen Ergebnissen, wie der verkehrspolitische Fraktionssprecher Andreas Baum moniert.
Dabei gehen die jeweiligen Zahlen merkwürdig auseinander. Während der von der BVG beauftragte Auskunftei- und Inkassodienstleister Creditreform Boniversum im Jahr 2015 nicht weniger als 82.200 Bonitätsprüfungen durchführte, waren es bei der S-Bahn Berlin GmbH – die rund ein Drittel der Berliner ÖPNV-Leistung erbringt –, nur „zwischen 4.000 und 5.000 Kunden“, die vom Konkurrenzunternehmen Infoscore Consumer Data unter die Lupe genommen wurden.
Creditreform und Infoscore gehören zu den Wirtschaftsauskunfteien, die Daten über Unternehmen und Privatpersonen sammeln und ihren Kunden zur Verfügung stellen. Diese schließen daraus auf Kreditwürdigkeit oder Zahlungsfähigkeit. Branchenprimus ist die Schufa.
Zu den erhobenen Daten von Privatpersonen gehören unter anderem Girokonten, Kredite, Leasing- oder Handyverträge, ggf. auch Informationen über erfolgte Pfändungen. (clp)
Noch erstaunlicher: Während die landeseigene BVG aufgrund negativer Prüfungsergebnisse rund 3.000 Aboanträge im Jahr ablehnte, gab die DB-Tochter zu Protokoll: „Bisher wurde bei der S-Bahn Berlin kein Kunde aufgrund negativer Bonitätsmerkmale vom Abonnement ausgeschlossen.“
Auf Nachfrage deutet ein S-Bahn-Sprecher an, sein Unternehmen ermögliche den Kunden bei negativem Ausgang des sogenannten Scoring-Verfahrens den Abschluss eines Vertrags unter bestimmten Bedingungen.
Wie die genau aussehen, wird nicht klar, sie dürften aber dem Vorgehen der BVG ähneln. Deren abgelehnte Abokandidaten kommen nämlich in eine Art Probebetrieb: Sie erhalten zunächst nur drei statt wie üblich sechs Abomonatsmarken („Wertabschnitte“) oder aber die elektronische „fahrCard“. Kommt es dann zu einer Rücklastschrift, sprich: zahlt der Kunde nicht, bleiben weitere Marken aus bzw. die fahrCard wird gesperrt. Klappt dagegen alles, werden die Kunden „ins reguläre Abonnementgeschäft überführt“. Das ist auch gut so, schließlich sind die deutlich günstigeren Abotarife gerade für Menschen mit prekären Finanzen attraktiv.
Also alles klar? Nicht für den Anfragenden Andreas Baum. Gerade weil am Ende doch die Kulanz obsiegt, kann er nicht nachvollziehen, dass so viele BerlinerInnen „einem undurchsichtigen und ungenauen Scoring-Verfahren privater Finanzdienstleister unterzogen“ werden. „Wenn am Ende niemand, die oder der das Abo auch bezahlt, davon ausgeschlossen wird, wozu die aufwendigen und teuren, potenziell diskriminierenden und datenschutzrechtlichen bedenklichen Bonitätsprüfungen?“, fragt er. Dann solle man doch besser gleich die Dreimonateregel der BVG in alle Aboverträge einbauen.
Möglicherweise vermiest am Ende ohnehin die schon weit vorangeschrittene Umstellung auf elektronische Tickets den Auskunfteien das Geschäft: Laut BVG-Sprecherin Petra Reetz geht man in ihrem Unternehmen davon aus, dass die neue Technologie, mit der Zahlungsausfälle umgehend sanktioniert werden können (indem die Karte einen Sperrvermerk im System erhält), die Prüfungen überflüssig macht. „Vorher wollen wir aber noch eine Testphase machen“, so Reetz.
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