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Der ständigen Bedrohung gelassen begegnen

Literatur Der deutsch-libanesische Schriftsteller Pierre Jarawan stellt seinen Debütroman „Am Ende bleiben die Zedern“ vor

Die Libanesen, sagt Pierre Jarawan, erzählen sich gerne Witze über Syrer. Zum Beispiel diesen: Ein Syrer kommt in ein Elek­trogeschäft und fragt den Verkäufer: „Entschuldigen Sie, haben Sie auch Farbfernseher?“ Der Verkäufer antwortet: „Ja, wir haben eine große Auswahl an Farbfernsehern“, woraufhin der Syrer sagt: „Wie schön! Dann hätte ich gerne einen grünen.“ Just so steht es in Jarawans Debütroman „Am Ende bleiben die Zedern“.

Der 1985 in Jordanien geborene Autor mit libanesischem Vater und deutscher Mutter las am Freitag in der Buchhandlung Ocelot daraus vor. Und viel erklärt. Nicht nur, warum das Verhältnis zwischen Libanesen und Syrern stark vorbelastet ist. Sondern auch, wieso in Beiruts Diskotheken viel ausgelassener gefeiert wird als in Berlin.

„Am Ende bleiben die Zedern“ spricht vor allem drei Themen an. Zum einen dreht sich vieles um eine Vater-Kind-Beziehung, geprägt von einer tiefen Liebe und einer noch größeren Enttäuschung. Der kleine Samir wächst mit seiner aus dem libanesischen Bürgerkrieg geflüchteten Familie in Deutschland auf. Den Libanon kennt er nur aus den fantasiereichen Erzählungen seines Vaters, dessen Geschichten er liebt – und der die Familie kommentarlos verlässt, als Samir acht ist.

Spaltung des Libanons

Die Suche beginnt, sie führt Samir 20 Jahre später ins Land der Zedern, wo Illusion auf Realität trifft. Der Autor Pierre Jarawan musste, anders als seine Hauptfigur, den Verlust des Vaters nicht miterleben. Er schreibt von der Spaltung des Libanons und davon, wie die libanesischen Kinder sie von ihren Eltern in Deutschland erzählt bekommen haben. Innerhalb der bestimmenden Zirkel verlaufen viele kleine Konfliktlinien, die Jarawan kritisch aufbereitet, oft mit humorvollem Unterton.

Zwar betont Jarawan, dass der Roman keineswegs anlässlich der Flüchtlingssituation geschrieben wurde. Vieles, was er anspricht, findet sich aber in aktuellen Debatten wieder. Parallelgesellschaft, Fremdwahrnehmung, Integration. Ein wenig deutsche Geschichte, von außen betrachtet, steckt auch in dem 448-seitigen Werk. Mehr ist freilich über den Libanon zu erfahren. In dem kleinen vorderasiatischen Land, umschlossen von Syrien und Israel, leben vier Millionen Menschen. „Derzeit sind es sechs Millionen, weil zwei Millionen Syrer in den Libanon geflüchtet sind“, sagt Pierre Jarawan. Und weiter: „Das ist hoch prekär.“

Bis zur Zedernrevolution 2005 waren syrische Soldaten im Libanon stationiert. Jetzt gehören die Besatzer von damals zur Bevölkerung und prägen Beiruts Stadtbild mit. Im Roman kommen die Syrer nur als Besatzer zur Sprache, die nach dem Ende des Bürgerkriegs den Libanon nicht mehr verlassen wollen. Der Bürgerkrieg sei in Beiruts Nebenstraßen noch immer präsent, erzählt Jarawan. Auf eine Leinwand in der Buchhandlung wirft er Bilder, die zerschossene Häuser zeigen. Es sind Mahnmale in einer Stadt, die noch immer von den verschiedenen Religionsgemeinschaften getrennt wird.

Andererseits besitzt die Kapitale eine „Hochglanz-Innenstadt“ und steht für ein ausgelassenes Nachtleben. „Es wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen mehr“, sagt Jarawan. Er fügt an: „Weil es tatsächlich so sein kann.“ Der ständigen Bedrohung begegneten die Beiruter mit einer Mischung aus Lebenssehnsucht, Humor und Gelassenheit. Man hat sich inzwischen so daran gewöhnt wie an das Verkehrschaos auf Beiruts Straßen. Auch das veranschaulicht der Roman.

Jarawan schildert aber auch die schönen Seiten, schreibt von schneeweißen Bergen, traumhaften Stränden und von der Libanon-Zeder. Dem Baum, der die Fahne der Republik ziert, der für die Revolution steht und vielmehr noch für die Verwurzelung der Libanesen mit ihrem Land.

Er ist auch ein Symbol für die Unermüdlichkeit der Libanesen, die trotz aller Sorgen immer weitermachen. Pierre Jarawan hat diese Geschichte mit all seinen Tücken in seinem Debütroman glänzend verarbeitet. David Joram

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