piwik no script img

Mehr als Segeln für Reiche

Eliteschulen Die staatlichen Ganztagsschulen bringen private Internate in Bedrängnis. Auch die renommierten Schulen Louisenlund, Kloster Stettal oder Salem verbuchen sinkende Schülerzahlen. Louisenlund an der Ostsee will sich öffnen – und wieder wachsen

Das Internat Louisenlund ist ein Gymnasium. Das heißt für die Älteren: Physikunterricht

Von Anna Lehmann

„Los! Pullen! Und los! Komm! Und weiter, weiter, weiter, weiter! Komm, komm, komm!“ Träge bewegt sich der Kutter aus der Hafeneinfahrt. Lasse steht in Ölzeug auf dem Vordeck des Zweimasters und klatscht anfeuernd in die Hände. „Und zieh, und zieh, und zieh.“ Wieder und wieder lassen zwei 14-jährige Jungen die schweren Holzruder ins Wasser klatschen, stemmen die Beine gegen die Holzbänke und legen ihr Gewicht in jeden Zug.

Eigentlich sind die Rollen vertauscht. Die Jungen, die sich willig von ihrem Ausbilder, dem blonden Lasse, herumkommandieren lassen, kommen aus Elternhäusern, die über 33.000 Euro pro Jahr bezahlen, damit sie hier im Internat Louisenlund in Schleswig-Holstein lernen, leben und leisten dürfen (so der Slogan) – inklusive fundierter Segelausbildung. Lasse ist dagegen ein Habenichts. Er hat gerade sein Abitur an einem staatlichen Gymnasium gemacht und jobbt bis zum Beginn des Studiums in Louisenlund.

Louisenlund ist ganz klar eine Schule, die man sich nicht nur leisten wollen, sondern leisten können muss. Es gibt wenige Schüler mit einem Stipendium. Die meisten Kinder kommen aus Elternhäusern, in denen Geld kein Thema ist – weil man genug davon besitzt. Er betreue in seiner Wohngruppe fünfmal „von“ und einmal „zu“, sagt ein Lehrer, scherzhaft anspielend auf die hohe Adelsdichte in Louisenlund.

Es gibt Familien, die ihre Kinder seit mehreren Generationen nach Louisenlund schicken, die Traditionalisten.

Erziehung zur Verantwortung – und zum Segeln

Es gibt aber auch Eltern, die ursprünglich aus einem ganz anderen Milieu kommen. Peter Tschimmel etwa ist im Berliner Arbeiterbezirk Wedding zur Schule gegangen und hat es der Bildungsoffensive der Berliner SPD zu verdanken, dass er das Abitur machen durfte. Tschimmel, Arbeiterkind und Alt-68er, ist der gewählte Elternbeiratsvorsitzender von Louisenlund. Alt-Hippie meets Yuppiewelt, könnte man sagen. „Für mich war Louisenlund eine fremde Welt“, erzählt Tschimmel. „Und ich war selber überrascht, wie viele nette Leute hier rumlaufen.“

Anna Lehmann

geboren 1975, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Zur Elite bitte hier entlang. Kaderschmieden und Bildungseinrichtungen von ­heute“. Harcover, 272 Seiten. Das Buch erscheint am 11. 4. 2016 im Redline Verlag. Buchvorstellung am 18. Mai im taz Café.

Tschimmel verkaufte seine Unternehmensanteile vor einigen Jahren und zog nach Schleswig-Holstein. Die Internatsschule liegt unweit seines Hofes. Seinen Sohn meldete er dort an, weil er für den Legastheniker wenige Chancen im staatlichen Schulsystem sah. „Wir sortieren viel zu schnell aus im deutschen Schulsystem. Kinder wie er wären früher auf der Hilfsschule gelandet. Ich bin aber der Meinung, wir müssen uns bemühen, alle mitzunehmen.“ Ausgerechnet eine Schule, die den unteren Schichten der Gesellschaft verschlossen ist, soll also Bildungsgerechtigkeit besser verwirklichen als eine staatliche Schule. Geht das?

Louisenlund ist ein Gymnasium, das heißt, es werden nur Kinder aufgenommen, die das Abitur schaffen könnten. Den Anspruch, den besten Abiturdurchschnitt Schleswig-Holsteins zu erzielen, hat man nicht. „Mich interessiert vor allem, welchen Weg ein Schüler gegangen ist. Wenn einer mäßig angefangen hat und sich dann enorm gesteigert hat, dann ist das ein Erfolg.“ Peter Rösner ist der Schulleiter von Louisenlund. Er empfängt mich mit einer leichten Verbeugung. Sein Büro liegt im Erdgeschoss des weißen Herrenhauses, das zusammen mit dem Wahrzeichen, einer Sonnenuhr, auf keinem Louisenlunder Prospekt fehlt. Das Haus liegt malerisch am Ufer der Schlei, einem Nebenarm der Ostsee. Durch die hohen Fenster des Direktorenbüros wandert der Blick über die sanft abfallende Wiese zum Wasser. Mindestens genauso beeindruckend ist der riesige Flachbildschirm in Rösners Büro.

„Wir wünschen uns von den Kindern, wenn wir sie in die Gesellschaft entlassen, dass sie später, wenn sie ein Unternehmen haben, ihrer Verantwortung gerecht werden und eben nicht nur Egozentriker sind“, hat Rösner schon weitergesprochen. Verantwortung zu übernehmen für sich und für andere, das sollen die Schüler hier lernen. Das Segeln ist dabei ein Kernelement.

Ich hatte es mir mühsamer vorgestellt, eine Einladung nach Louisenlund zu erhalten, aber kaum war die E-Mail geschrieben, hatte Rösner auch schon zurückgerufen. Ich sei herzlich eingeladen, mir ein Bild zu machen, wenn ich allerdings nur käme, um Klischees über reiche Schüler bestätigt zu finden, dann sei ihm seine Zeit zu schade. Welche konkreten Klischees er denn meine? „Wer reich ist, ist ein versnobter Markenschnösel“, nennt er eines. Stimmt nicht? „Nein. Die Kinder hier sind echt nette junge Leute, die versuchen, es möglichst gut zu machen.“

„Auf teuren Privatschulen wie Louisenlund kann man das Abi­tur kaufen“, serviert mir Rösner Klischee Nummer zwei. Stimmt nicht? „Stimmt auch nicht! Die Prüfungen werden zentral vom Land Schleswig-Holstein abgenommen, die Matheaufgaben sind die gleichen wie in Bayern. Und letztes Jahr sind bei uns drei Schüler durchgefallen.“

Rösner hat noch ein drittes Klischee anzubieten: „Im Internat arbeiten nur Pädophile.“ Stimmt nicht? „Nein!“ In Louisenlund wohnen Hausmutter und Hausvater zwar nach wie vor im selben Gebäude wie die Schüler. Daneben hat aber jeder Schüler zwei weitere Ansprechpartner – den Klassenleiter und eben den Mentor. Außerdem gibt es eine Sozialarbeiterin und eine Schulpsychologin.

Der Schulleiter ändert das Internat so schnell, dass Alt-Lundern schwindlig wird

Mädchen gegen den Schülerschwund

Die Krise der Internate begann jedoch früher und hat tiefere Wurzeln als die vor Jahren ans Licht gekommenen sexuellen Übergriffe an der Odenwaldschule und an katholischen Internatsschulen.

Mit mehreren Milliarden Euro unterstützte die Bundesregierung von 2003 bis 2009 die Bundesländer beim Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen. Besonders die gebundenen Ganztagsschulen verschränken Unterricht und Freizeit miteinander und bringen so eine andere Lernkultur in die Schule. Die Internatsschulen, die in den alten Bundesländern vielfach das Monopol auf die komplette pädagogische Betreuung bis in den Abend hinein hatten, geraten in Bedrängnis. „Ganztagsschulen mit einem guten Ruf werden regional zur Konkurrenz“, sagt Inga Pinhard, Geschäftsführerin der „Internate Vereinigung“. Dahinter steckt die einstige Vereinigung Deutscher Landerziehungsheime, die sich nach Missbrauchsskandal und Mitgliederschwund umbenannt hatte. „Eine Motivation für den Internatsbesuch ist die Vereinbarkeit von Familie und Karriere“, fährt Pinhard fort. „Um die Frage, inwieweit Ganztagsschulen generell zur Konkurrenz geworden sind, zu untersuchen, kooperieren wir eng mit einer Universität.“

Die Internate reagieren auf den Schülerrückgang, in dem sie verstärkt nach neuen Zielgruppen als künftige Kunden Ausschau halten. Die Quote der Schüler mit schwieriger Schulkarriere, die von den Jugendämtern an eine abgelegene Internatsschule geschickt wurden, steigt.

Die katholische Internatsschule Kloster Ettal in Bayern bricht mangels ausreichender männlicher Interessenten mit ihrer 300-jährigen Tradition und nimmt ab dem Schuljahr 2016/17 erstmals Mädchen auf.

Das Herrenhaus liegt malerisch an einem Nebenarm der Ostsee

Die Internatschule Schloss Salem am Bodensee eröffnete bereits 2001 einen internationalen Zweig für die Kinder ausländischer Wirtschaftseliten, die die 50.000 Euro Schulgeld bereits im Voraus überweisen. Doch auch das half nicht. Die Schülerzahlen sinken. Drei ihrer vier Standorte will die Schule daher in den nächsten Jahren aufgeben. Salem steht nach Darstellung des Schulleiters Bernd Westermeyer vor der „größten Erneuerungsphase seiner Geschichte“.

Eine Eliteschmiede doch für Talentierte?

Die Erneuerung hat in Louisenlund bereits begonnen. Im Januar 2014 berief die Stiftung Louisenlund Peter Rösner zum Vorsitzenden. Unter Rösner erhöhte sich die Schlagzahl der Veränderungen derart, dass Alt-Lundern, wie die erfahrene Belegschaft hier genannt wird, zuweilen schwindlig wird. „Der legt ein Tempo vor“, sagt ein Lehrer halb bewundernd, halb kopfschüttelnd. Kaum ein halbes Jahr im Amt, kündete der neue Schulleiter ein Stipen­dien­programm für Schüler aus der Region an. Er wolle aus Louisenlund eine Schule machen, so Rösner, die als Bereicherung der Schullandschaft und als Schule in der Region wahrgenommen werde.

Segeln gehört in Louisenlund zur Persönlichkeitsschulung Fotos: Holde Schneider/Visum

Eine Grundschule wurde eröffnet, die im Schuljahr 2015 die ersten sechs Erstklässler aus der Umgebung aufgenommen hat. In den oberen Klassen werkelt Rösner ebenfalls an der Revolution. „Da will ich hin“, sagt Peter Rösner, und hat endlich Gelegenheit, den gewaltigen Flachbildschirm zum Leuchten zu bringen. Dort erscheinen zwei Baumdiagramme – die Schülerzahlen von Louisenlund im Jahr 2008 und in der Zukunft. Bis 2025 soll sich die Schülerzahl verdoppeln.

Dafür sorgt vor allem ein gelber Trieb, den Rösner den MINT-Zweig nennt. MINT steht für Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Natur und Technik. Die Jugend-forscht-Sieger, die Teilnehmer an Mathe-Olympia­den, die Tüftler und Forscher dieses Landes will Rösner nach Louisenlund locken. Zusammen mit dem Verein Deutscher Ingenieure, der Siemens Stiftung und den Internaten Sankt Afra und Birklehof hat Louisenlund deshalb einen Verein zur MINT-Talenteförderung gegründet.

„Unser Ziel ist es, in jedem Bundesland in der Zukunft wenigstens ein Nachwuchs-Leistungszentrum für die Toptalente im MINT-Bereich zu haben. Wir wollen Mädchen und Jungen, deren Talent Mathematik oder Technik ist, ebenso konsequent fördern, wie es der Sport im Fußball auch tut.“

Louisenlund soll also Eliteschule der Naturwissenschaften werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen