heute in hamburg
: "Allesamt involviert"

NS-Erbe Vortrag über Hamburger Straßen, die nach Nazi-Tätern und -Profiteuren benannt wurden

Brigitta Huhnke

Medien- und Sozialwissenschaftlerin, lehrt Journalistik und im Bereich interkulturelle Pädagogik. Veröffentlicht zu Erinnerung und Trauma.

taz: Frau Huhnke, wie viele Hamburger Straßen tragen noch Namen von Nazi-Tätern?

Brigitta Huhnke: Das kann ich nicht beantworten. Ich habe etwa 70 Namen überprüft, darunter ist nur ein Retter von Juden. Für weitere etwa 80 fehlen derzeit noch Forschungsgelder.

Warum wurden noch in den 1980er-Jahren Straßen nach NS-Tätern benannt?

Die Zusammenhänge sind selten dokumentiert. Berühmte Männer machen Geschichte und werden verewigt. Da wurde nicht gefragt: „Was haben sie zwischen 1933 und 1945 getan? Nach 1945 waren sie alle „Ehrenmänner“. Diese Täter, Dabeigewesenen der dritten, vierten Reihe sind bis heute zu wenig erforscht, vor allem kaum für Hamburg. Da steht der Mythos vom ehrbaren Hanseaten vor.

Warum ersetzte man belastete Straßennamen oft erst in den 1990er-, 2000er-Jahren?

Das kann ich im Detail nicht sagen. Gleich nach 1945 haben sich vor allem Überlebende für Umbenennungen eingesetzt. Heute tun das Bezirksversammlungen oder Anwohnerinitiativen.

Sie haben für eine jüngst freigeschaltete Datenbank Täter-Straßennamen erforscht und den Begriff „Dabeigewesene“ geprägt.

Der Historiker Raul Hilberg unterscheidet zwischen Tätern, Opfern und „Bystandern“. Das wird oft mit „Zuschauer“ übersetzt, bedeutet aber: Dabeistehende, die sich mitten im Geschehen befinden. Das gilt für die meisten Deutschen. Es gab etliche Nutznießer mit fließenden Grenzen zur Täterschaft. „Mitläufer“ dagegen ist ein Begriff, den Täter und Dabeigewesene zur Selbst-Entnazifizierung nutzten. Die von mir Überprüften waren alle involviert.

Ein Beispiel?

2003 wurde eine Harburger Straße „Albert-Schäfer-Weg“ genannt. Schäfer, bis 1946 Chef der Phoenix-Gummiwerke, war bis 1956 Präsident der Handelskammer und von 1951 bis 1954 Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages. Was keine der Hymnen auf den „Befreier“, der 1945 angeblich die kampflose Übergabe Hamburgs organisierte, erwähnt: Schäfer war während des Nationalsozialismus Herr über mindestens acht Zwangsarbeiter-Lager in Hamburg. Außerdem hat er Firmen in überfallenen Ländern „übernommen“. Interview: PS

Brigitta Huhnke spricht über „NS-belastete Straßennamen in Hamburg“: 18 Uhr, Uni-Gästehaus, Rothenbaumchaussee 34

www.hamburg.de/ns-dabeigewesene