: Hinter Absperrbändern die Zonen des Übergangs
Foto An der Heidestraße in Mitte wird gebaut. Das Unwirtliche der Gegend aber bleibt. Zumindest sieht es so in den Bildern von sieben Stadtfotografen aus, die im Haus am Kleistpark ausstellen
Ein hölzernes Wagenrad war auf das Dach montiert, Hufeisen klebten an der Fassade und jede Menge Bierlogos. Wenn wir zum Sputnik-Kino im Wedding wollten, in den 80er Jahren, machte mich das Haus der „Bierquelle“ beim Vorbeifahren mit dem Auto jedes Mal nervös. Hatten wir uns verfahren? War hier nicht gleich die Stadt zu Ende? Sah das nicht aus wie die letzte Station zum Pferdewechsel vor einem unbekannten Niemandsland?
Die „Bierquelle“ ist jetzt auf einer Fotografie von André Kirchner von 1987 zu sehen, die im Haus am Kleistpark auf einem langen Tisch unter Glas liegt. Daneben rollt sich Bild für Bild ein Panorama der West- und der inzwischen abgerissenen Ostseite der Heidestraße ab, 2014 aufgenommen. Manche zweigeschossigen Bauten, die Fenster von Bögen gerahmt, erinnern an eine Westernkulisse, hart vom Sonnenlicht gezeichnet in Kirchners schwarzweißer Fotografie. Nirgendwo parken Autos. Das Leben scheint zu einem Stillstand gekommen. Tatsächlich war die Straße, als der Fotograf unterwegs war, baustellenbedingt schon zur Sackgasse geworden.
Die Heidestraße heute ist eine große Baustelle. Dem Hauptbahnhof gegenüber und an einer Seite vom Spreekanal begrenzt, standen dort Speicherhäuser, Baracken und teils eingeschossige Gewerbebauten, zwischen denen sich erstaunlich große Brachen erstreckten.
Zu Fuß oder mit dem Fahrrad habe ich, wenn ich vom Wedding Richtung Hamburger Bahnhof wollte, jahrelang möglichst die Rad- und Fußwege auf der anderen Kanalseite genommen, die allmählich grün und kleinteilig ausgebaut wurden. Auf der Heidestraße dagegen machte jeder Schritt müde und der Weg schien viel weiter. Von den Mauern, Lagerhallen und Baracken, die längs ehemaliger Schienenstränge hinter dem Hamburger Bahnhof kamen, ist jetzt nichts mehr übrig.
Etwas aus diesen Zeiten des Undefinierten, des weiten Himmels über sandigen Flächen, der Einsamkeit eines Schornsteins, der über die Bäume ragte, ist wiederzufinden in der Ausstellung „Heidestraße“, die André Kirchner zusammen mit sechs weiteren Stadtfotografen im Projektraum des Haus am Kleistpark zeigt. Zirkuszelte und große Campingwagen säumen mal grade die Kante einer geteerten grauen Fläche, wie ein bisschen bunte Bordüre, in einem Bild von Wolf Jobst Siedler. Hinter Stein- und Schutthalden ragen bei Volker Wartmann Baukräne und die ersten über 16, 17 Stockwerke hochgezogenen Hochhäuser auf. Und obwohl sich in jüngster Zeit so viel verändert hat auf der Heidestraße, ist der Eindruck des Unwirtlichen, der fehlenden Maßstäblichkeit geblieben. Das ist erstaunlich.
Vor einiger Zeit, für eine Spanne von wenigen Jahren nur, stand die Heidestraße für etwas anderes, einen urbanen Wanderzirkus: Zwischen 2006 und 2013 ungefähr war der Boom der Kunst in Berlin hierhin übergeschwappt und ein dichtes Feld von Galerien und Kunsträumen entstanden, die sich in provisorischen Hallen hinter dem Hamburger Bahnhof und in den Gewerbehöfen auf der anderen Straßenseite eingemietet hatten.
René Block schlug im Projektraum Tanas eine Brücke zur türkischen Kunstszene, die auf Zeichnungen spezialisierte Galerie Frühsorge zog viele Besucher an. Wer alle Ausstellungen anschauen wollte, brauchte mehr als einen halben Tag und vermisste bald, dass es hier nicht mal ein Café gab. Plötzlich war die Peripherie zum angesagten Kunstort geworden. Aber das ist jetzt nur noch eine Erinnerung, ein Spuk aus der Vergangenheit.
Von einem Ort, an dem die Zeit stillzustehen schien, ist die Heidestraße jetzt zu einer Fläche geworden, die dem Druck zur Veränderung preisgegeben ist. Für das fotografische Projekt, diesem zügigen Verwischen des Gewesenen ein Bildgedächtnis entgegenzustellen, sind einige von Kirchner Kollegen freilich erst recht spät, 2015 losgezogen. So zeigen denn viele Bilder in der Ausstellung Zonen des Übergangs, von weißroten Bauzäunen und Absperrbändern gerahmte Skizzen des Vergänglichen.
„Total“, so heißt ein Logo an einer der neu hochgezogenen Fassaden. „Total“ nennt Peter Thieme seinen Blick auf die neu entstandenen Fassaden, vergittert und gesichtslos, 6 und 17 Stockwerke hoch. Sie bleiben visuelle Masse, kalt und abweisend, monoton und langweilig gegliederte Bürohochhäuser und Hotels.
Sieht man daneben in den Fotografien von Jörg Schmiedekind die hell abgesetzten Backsteinfassaden der alten Gewerbebauten mit ihren filigranen Fenstersprossen, wird man nostalgisch.
Der Himmel über Berlin, ihm gilt auch die Aufmerksamkeit der Fotografen. Über dem träge fließenden Wasser im Spreekanal ist er blau und weit bei Jochen Wermann, während sich Andreas Muhs der Dämmerung und dem künstlichen Licht verschrieben hat. Surreal sieht das dort aus, wo Straßenlaternen gerade erschlossenes Bauland erhellen oder Baustellenlicht in tiefe Gruben fällt.
Katrin Bettina Müller
„Heidestraße“: Projektraum Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 6/7, Di.–So. 11–18 Uhr, bis 30. April
Abbildungen
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