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Ein Grabstein als individuelle posthume Visitenkarte

Handwerk Die Bremer Steinmetzmeisterin Katja Stelljes, die eigentlich Restauratorin werden wollte, schafft Grabsteine. Allerdings nicht allein, sondern in Absprache mit den Angehörigen. Außerdem macht sie aus alten Steinen aufgelöster Gräber Schalen mit ganz eigener Patina

von Jördis Früchtenicht

Es ist ein unspektakulärer, auf den ersten Blick fast unpassender Ort: Zwischen Baustelle und Bahnstrecke entstehen in einem Industriepark in der Bremer Neustadt Objekte für einen Ort stillen Gedenkens. Denn hier bearbeitet die Steinmetzmeisterin und Gestalterin Katja Stelljes Grabsteine. Alte Steine erhalten eine neue Funktion, neue Steine entstehen gemeinsam mit den Hinterbliebenen.

Zu Beginn ihrer Ausbildung war die Grabsteingestaltung für Stelljes noch ganz unspektakulärer Teil des Berufsalltags. Mit den Jahren dann habe sie die Qualität dieser Arbeit erkannt, sagt sie. „Man hat viel gestalterischen Spielraum, man legt mit den Angehörigen die Form fest.“ Die Arbeit an den Grabsteinen diene zwar zu einem großen Teil dem Lebensunterhalt. Dennoch sei sie dankbar, diesen Bereich in ihr Leben integriert zu haben.

Der Stein soll die Verfassung des Verstorbenen spiegeln

Auf der hölzernen Empore in der Werkstatt steht in einer Ecke ein Zeichentisch. Von dort holt Stelljes – graue Cordhose, schwarzes, staubiges T-Shirt – einen Entwurf. Es fange immer mit einer Zeichnung an, erklärt die Steinmetzmeisterin. „Die Angehörigen beschreiben mir die verstorbene Person oder ihre Gemütsfassung“ Für Stelljes gibt es dann zwei Perspektiven, aus denen man an die Gestaltung herangehen kann: Hatte der Mensch eine Vorstellung davon, wie es weiter gehen könnte? Und wie muss der Stein aussehen, um diesem Menschen gerecht zu werden?

Gerade arbeitet die gebürtige Delmenhorsterin an einer ersten Idee für eine Verstorbene, in deren Leben Engel sehr wichtig waren. Die Angehörigen haben zum Gespräch eine Figur mitgebracht – einen stilisierten Engel, den Kopf in den Händen, schlichte Flügel. In einer ersten Skizze ist er auf dem Stein zu sehen. „Anhand der Ideen entstehen Zeichnungen und schließlich ein Entwurf. Manchmal geht es dann direkt zur Umsetzung, manchmal gibt es noch Änderungswünsche“, sagt Stelljes.

Wenn das Aussehen endgültig festgelegt ist, wird das Material bestellt und bearbeitet. Immer wieder würden die Angehörigen den Stein auch selbst bearbeiten wollen: „Manche bearbeiten den Stein fast ganz allein, andere kommen einmal und klopfen ein bisschen darauf herum.“

Der Umgang mit den Angehörigen sei ganz unterschiedlich, erzählt Stelljes. „Wir gehen unkompliziert miteinander um. Ich habe das Gefühl, dass das konkrete Ziel, den Stein zu gestalten, gut ist.“ Das Schwierige an Trauer sei ja die Uferlosigkeit, die aussichtslose Situation. Der Grabstein dagegen „ist ganz konkret“.

Und obwohl der Anlass tragisch sei, sei die Atmosphäre bei den Begegnungen mit den Angehörigen gut: „Jemand sagte vor Kurzem: Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich sagen, dass das ein schöner Stein ist“, erzählt die Steinmetzin.

Das wollte sie aber nicht immer werden: Nach der Schule hatte die 1969 geborene Steinbildhauerin zunächst ein Studium begonnen. Aber sie sei an der Uni nicht glücklich geworden, sagt sie. Restaurieren dagegen „war für mich total spannend: die Verbindung von handwerklicher Tätigkeit mit der Auseinandersetzung mit historischen Epochen.“

Voraussetzung für ein Studium der Restaurierung war allerdings mindestens ein einjähriges handwerkliches Praktikum oder eine handwerkliche Ausbildung. So begann Stelljes eine Ausbildung zur Steinmetzin in Bremen. Der war für eine Frau damals gar nicht leicht zu finden: „Manche Betriebe boten keinen Ausbildungsplatz für Frauen an, weil sie keine zwei Toiletten hatten“, erzählt sie.

Abgesehen davon habe sie als weibliche Handwerkerin nie Probleme gehabt. „Es wird zwar immer wieder bemerkt, wie ungewöhnlich eine Frau in so einem schweren Handwerk ist, aber die Leute nehmen es positiv auf“, sagt sie.

Nach der Meisterschule in Freiburg hat Stelljes dann in zwei süddeutschen Restaurierungsbetrieben gearbeitet. Und stellte mit der Zeit fest, dass Restaurieren doch nicht ihre Sache war. „Es macht Spaß, eine Kreuzblume einmal zu hauen, nach zehnmal sieht das anders aus. Zudem hat man wenig Gestaltungsspielraum, man arbeitet sich am historischen Vorbild ab“, sagt sie. Auch sei die Arbeit auf der Baustelle unglaublich anstrengend.

Heutzutage teilt sich Stelljes’ Arbeit in zwei Bereiche auf: Auftragsarbeiten, von denen 60 bis 80 Prozent Grabsteine sind, und freie Objekte. Die Steinbildhauerin versteht sich als Handwerkerin oder Kunsthandwerkerin, aber nicht als Künstlerin: „Das Handwerkliche ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit und etwas, worüber ich mich sehr identifiziere. Ich habe ja auch die ganze handwerkliche Ausbildung gemacht“, sagt sie.

Am freiesten entfalten kann sie sich dabei in ihren freien Arbeiten. In den „Wolkenschalen“ etwa, die aus vielen runden Formen zusammengesetzt scheinen und den Stein, aus dem sie bestehen, leicht wirken lassen. Für diese bildhauerischen Objekte hat Stelljes 2011 den Bremer Förderpreis für Angewandte Kunst bekommen. Auch für den Auguste-Papendieck-Preis der Sparkasse Bremen war sie nominiert. Solche Auszeichnungen waren der Bildhauerin früher sehr wichtig, jetzt nicht mehr. „Ich habe inzwischen gemerkt, dass Preise für das, was ich mache, nicht wirklich eine Rolle spielen.“

Alte Grabsteine werden zu Schalen umgestaltet

Stelljes Beruf und ihre Leben – das greift nahtlos ineinander. Ihr Freund, Steinmetz und Bildhauer, ist auch in der Werkstatt ihr Partner. „Die Auseinandersetzung mit Stein ist unser Leben. Manchmal sind Geschichten sehr intensiv, sodass man sie mit nach Hause nimmt“, sagt Stelljes. „Gedanken nehme ich immer mit nach Hause, jede Menge. Das ist aber auch Bestandteil der Selbstständigkeit.“

KATJA STELLJES ÜBER WIEDERVERWENDETE GRABSTEINE

Allerdings, das Erschaffen neuer Grabsteine ist nicht alles: Oft gestaltet die Steinmetzin auch alte Grabsteine um. Und da die oft schwer sind, steht in der Mitte der Werkstatt ein großes Gestell, von dem Stahlketten herabhängen, damit man schwere Objekte bewegen kann. Darunter steht auf einem Rollwagen ein grau-grüner Stein, der bereits in eine runde Form gebracht wurde: Oft fertigt Stelljes Schalen aus alten Grabsteinen.

Sie stammen aus aufgelösten Gräbern. Denn in Deutschland bleibt ein Grab 20 bis 30 Jahre bestehen, bevor es aufgelöst wird. Die Grabsteine werden entfernt, geschreddert und enden dann als Straßenschotter.

„Dass man einerseits einen Grabstein aufstellt, mit der Vorstellung von Ewigkeit, und andererseits Tausende abgeräumt werden und einfach Müll sind, hat mich schockiert“, sagt Stelljes. „Ich war erschrocken darüber, wie man mit der Erinnerung umgeht.“ Zur Gewinnung der Steine werde ein wahnsinniger Aufwand betrieben, ganze Berge würden abgetragen. „Inzwischen finde ich aber auch, dass es etwas Schönes hat, wenn die Trauer nach 30 Jahren verschwinden darf“, sagt Stelljes.

Manchmal gibt es allerdings auch Schreckmomente: Vor eineinhalb Jahren zum Beispiel habe eine Frau in einer der Schalen ihren Familiengrabstein wiedererkannt. „Ich habe mich sehr erschrocken. Ich hatte ja niemanden um Erlaubnis gebeten.“, erzählt Stelljes, die sich die Steine von den Schrottplätzen der Friedhöfe holt. Auch die betroffene Frau sei zunächst schockiert gewesen, sie habe gelglaubt, der Stein sei vernichtet worden. „Dann war sie aber unglaublich glücklich darüber. Die Begegnung hat viel in Bewegung gesetzt“, sagt Stelljes.

Inzwischen bekommt die Steinmetzin auch gezielt Aufträge von Angehörigen, die die Familiengrabsteine nicht einfach entsorgen wollen. Auf den Schalen sind Schriftreste fragmentarisch zu sehen, manche Steine verziert sie mit Gold, andere zersägt sie.

„Für mich sind diese Schalen Meditationsobjekte. Für die Auseinandersetzung mit der Frage: Was ist Erinnerung, was brauchen wir?“, sagt Stelljes. Das beziehe sich auch auf die Orte: „Früher lag der Friedhof zentral neben dem Dom, dann kam er immer weiter an die Peripherie.“ Inzwischen gebe es viele anonyme Bestattungen – auf See oder im Friedwald. „Das Thema Tod“, sagt Stelljes, „wird immer weiter ausgelagert.“

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