Der gespendete Embryo

ETHIK In Bayern ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Ärzte, die überzählige Embryonen vermitteln. Der Deutsche Ethikrat fordert nun eine gesetzliche Regelung

Was tun, wenn ein solches Wesen übrig ist? Foto: Peter Endig/dpa

Von Heike Haarhoff

BERLIN taz | Nach fünf Jahren, sieben erfolglosen künstlichen Befruchtungsversuchen, immensen Kosten und großer Enttäuschung wollten die Müllers ihren Wunsch nach einem eigenen Kind aufgeben. Vielleicht, das sagten sie ihrem Arzt in Bayern, müssten sie sich nun an den Gedanken gewöhnen, dass für sie nur eine Adoption in Frage komme. Da hatte der Arzt noch eine Idee: Die Müllers könnten es mit einer Embryospende probieren.

Dabei wird ein Embryo, der ursprünglich zur Kinderwunschbehandlung eines anderen Paars aus deren Eizelle und Spermien im Reagenzglas gezeugt wurde, in die Gebärmutter einer fremden Frau übertragen. Das kommt beispielsweise dann infrage, wenn das Paar, aus dessen Keimzellen der Embryo entstanden ist, diesen nicht mehr selbst braucht, weil die Frau bereits schwanger geworden ist. Statt den überzähligen Embryo wegzuwerfen, erhält ihn eine andere Frau, die sonst kein Kind austragen könnte.

Die Müllers waren skeptisch, zunächst. Denn genetisch ist das Kind, das sodann im Bauch der Empfängerin heranwächst und von ihr geboren wird, weder mit der Mutter noch mit dem Vater, die es aufziehen werden, verwandt. „Und doch gibt es einen großen Unterschied zur Adoption: Das Paar hat eine Schwangerschaft und Geburt erlebt, das Kind wird unmittelbar in eine Familie hineingeboren“, sagt der bayerische Arzt. Das überzeugte die Müllers.

Für Ärzte ein Risiko

Ein weiterer Vorteil: Überzählige Embryonen aus beendeten Kinderwunschbehandlungen, die in der Regel auf Wunsch des Paars vernichtet werden, können sich nun weiterentwickeln. Das, sagt der Arzt, sei im Sinne des Embryonenschutzgesetzes: Es verlangt, dass bei künstlichen Befruchtungen nur so viele entwicklungsfähige Embryonen entstehen, wie der Frau schließlich auch eingesetzt werden dürfen; das sind nach geltendem Recht maximal drei pro Zyklus. Das aber gelingt nicht immer, manchmal entstehen mehr Embryonen als gewünscht. Dank der Spende hätten diese überschüssigen Embryonen neuerdings eine Lebenschance, betont der Arzt.

Sein Name darf dennoch nicht in der Zeitung erscheinen. Er befürchtet, strafrechtlich verfolgt zu werden. Gegen mehrere seiner Kollegen, die sich im Jahr 2013 in Bayern zu dem gemeinnützigen Netzwerk Embryonenspende zusammengeschlossen haben, ermittelt die Staatsanwaltschaft Augsburg – wegen des „Verdachts der Beihilfe zur missbräuchlichen Anwendung von Fortpflanzungstechniken“.

Die Ärzte und ihre Kollegen vermitteln gegen 150 Euro Verwaltungsgebühr Spender- an Empfängerpaare. Zudem übertragen sie überschüssige Embryonen – die Zustimmung der genetischen Eltern vorausgesetzt – anderen Frauen für 500 bis 700 Euro. Wegen der hohen Nachfrage – auf einen gespendeten Embryo kommen 10 bis 15 Bewerber – gibt es derzeit aber einen Aufnahmestopp für die Warteliste.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft könnte dieser Stopp dauerhaft sein: Im Herbst 2015 seien „sieben Objekte bundesweit“ von Mitgliedern des Netzwerks „durchsucht worden“, sagt ihr Sprecher. Daten, Akten, Computer seien beschlagnahmt worden und würden nun ausgewertet. Das Strafmaß: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. „Dabei gibt es kein Gesetz in Deutschland, das die Embryospende verbietet“, sagt der Arzt.

Das stimmt. Als das Embryonenschutzgesetz im Jahr 1991 in Deutschland in Kraft trat, lag die Möglichkeit, Embryonen genetisch fremden Paaren einzusetzen, außerhalb der ethischen, moralischen, aber auch medizinisch-technischen Vorstellungskraft der meisten Politiker. Zudem wurde angenommen, dass gar keine überzähligen Embryonen entstehen würden. Das Wort Embryospende existierte damals nicht, folglich gab es auch keine Regelung zum Umgang mit ihr, geschweige denn ein Verbot. Die Eizellspende dagegen war schon damals bekannt und wurde – aus einer kruden, mit „gespaltener Mutterschaft“ umschriebenen Furcht – in Deutschland unter Strafe gestellt, ebenso die Leihmutterschaft.

Umso mehr treibt es Verfechter einer restriktiven Fortpflanzungsmedizin-Politik heute um, dass bayerische Ärzte seit 2013 den Tabubruch Embryospende wagen. Sogar Zellen im Vorkernstadium – das sind Eizellen, in die die Samenzelle bereits eingedrungen, aber noch nicht mit ihr verschmolzen ist – vermitteln die Ärzte zur Spende. Es ist ein Unterfangen, das, um es vorsichtig auszudrücken, gesellschaftspolitisches Spaltungspotenzial hat.

Kein „richtiges“ Kind?

Auch die Müllers, die in den nächsten Wochen ihr Kind erwarten, heißen deswegen in der Zeitung anders als in Wirklichkeit. Sie wollen nicht, dass die Nachbarn von dem Weg, den sie gegangen sind, aus den Medien erfahren und womöglich schlussfolgern, ihr Kind sei ja gar kein „richtiges“, und vielleicht „illegal entstanden“. Es ist so schon alles kompliziert genug: Wann wird der richtige Zeitpunkt sein, das Kind über seine Herkunft aufzuklären? Sollen sie, die rechtlichen Eltern, bestehend aus biologischer Mutter und sozialem Vater, vielleicht doch die genetischen Eltern kontaktieren? Möglich wäre das, wenn diese ebenfalls einverstanden sind. Die Daten aller Beteiligten sind notariell hinterlegt, dafür hat das bayerische Netzwerk gesorgt; das Kind wird seine genetischen Eltern spätestens dann kennen dürfen, wenn es volljährig ist.

Es fehlt eine Regelung

Die Regelungen des bayerischen Vereins mögen vernünftig und klug durchdacht sein, „einen gesetzlichen Rahmen für die Embryospende“, sagt der Arzt, „bilden sie nicht“.

Doch genau diesen gesetzlichen Rahmen braucht es, fordert nun auch der Deutsche Ethikrat. Am Dienstag legte der unabhängige Sachverständigenrat, der Regierung und Parlament berät, in Berlin eine 149 Seiten starke Stellungnahme vor. Ihr Titel: „Embryospende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung“. Das Werk ist ein Appell, die Modalitäten der Embryospende endlich zu regeln. Es gehe „um grundlegende Fragen der familiären Struktur (…), um die Zuteilung von Lebens- und Entwicklungschancen von Kindern sowie die Möglichkeit, elterliche Verantwortung zu übernehmen“.

Dass die Embryospende in der Praxis längst angekommen und überdies nach geltendem Recht zulässig ist, davon geht der Ethikrat aus. Selbst Mitglieder, die dem Embryo aus moralischer Sicht einen hohen Status zubilligen und die Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin skeptisch sehen, tolerieren die Embryospende insoweit, als diese zumindest verhindern könne, dass bereits entstandene Embryonen verworfen würden.

Es geht um große moralische Fragen. Aber auch um ein Verfahren, das längst Praxis ist

Die Empfehlungen des Ethik­rates sind konkret. Erstens müsse die Elternschaft gesetzlich und dauerhaft festgelegt werden: Sobald der gespendete Embryo auf die andere Frau transferiert worden sei, solle „das annehmende Paar die elterliche Verantwortung auf Dauer übernehmen“. Eine Spende solle überdies nur erfolgen, wenn zwei Elternteile die rechtliche Verantwortung übernähmen; alleinstehende Frauen sollten jedoch nicht „von vornherein“ ausgeschlossen werden.

Zweitens solle die Spende als „staatlich geregeltes Verfahren“ gewährleisten, dass wirklich nur überzählige Embryonen übertragen würden. Zu klären sei in diesem Zusammenhang, wie viele Eizellen pro Zyklus überhaupt befruchtet werden dürften; das Embryonenschutzgesetz lässt hier verschiedene Interpretationen zu.

Alle Beteiligten müssten sich über medizinische, rechtliche und psychosoziale Aspekte der Embryospende beraten lassen. Ob sich Spender- und Wunscheltern persönlich kennen lernen oder lieber anonym bleiben wollten, sollten diese selbst entscheiden; möglich müsse beides sein. Eine zentrale Einrichtung wie das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben solle die Zuordnung von Spender- und Wunscheltern dokumentieren wie auch die Zahl der zur Spende freigegebenen Embryonen, der Embryotransfers, der Schwangerschaften und Geburten. Spendereltern sollten erfahren dürfen, ob aus ihrer Spende ein Kind entstanden ist.

Das Recht auf Wissen

Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung ist eine weitere zentrale Forderung des Ethikrats. Ab dem 16. Lebensjahr müsse jeder das Recht haben, bei der zentralen Dokumentationsstelle Auskunft zu erhalten über seine genetische Herkunft. Wichtiger Punkt: Dies gelte auch für etwaige genetische Geschwister. Entsprechende Daten müssten verpflichtend von den Spender- wie Empfängereltern wie Ärzten übermittelt werden. Als Aufbewahrungsfrist hält der Ethikrat 110 Jahre für angemessen.

Auch das Kind der Müllers hätte dann also viel Zeit zu entscheiden, ob und wann es erfahren will, wer die vier Menschen und der Arzt waren, die ihm im Frühjahr 2016 in Bayern zum Leben verhalfen.

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