piwik no script img

Gespenster mit Haarausfall

OPERNPREMIERE Die Komische Oper wollte an einen fast vergessenen deutschen Romantiker erinnern. Aber der Theaterregisseur Antú Romero Nunes hat die Oper „Der Vampyr“ von Heinrich Marschner endgültig umgebracht

von Niklaus Hablützel

Die Vorstellung ist nach 90 Minuten vorbei. Danach macht es richtig Spaß, im Lexikon (oder bei Wikipedia) die alte Geschichte nachzulesen. Es lag alles am schlechten Wetter. Es regnete am Genfer See. Percy Shelly und seine Geliebte Mary Godwin saßen in der Villa von Lord Byron und seinem Leibarzt John Polidori fest. Sie vertrieben sich die Zeit mit Schauergeschichten.

Die Ideen dazu lagen in der Luft und mussten in die Welt. Wieder zu Hause in England heiratete Mary Godwin ihren Liebhaber und schrieb den Roman „Frankenstein“, Polidori griff Byrons Erfindung eines blutsaugenden Dandys auf und schrieb sie in einer Erzählung „The Vampyre“ nieder.

Es gab sofort Streit, weil ein britisches Magazin den Text druckte, ohne Polidori zu fragen und ihn Byron zuschrieb. Aber da war schon alles egal, der Vampir war geboren, der untote Verführer, grausam und schön. Er lebt weiter bis heute in zahllosen Theaterstücken und Filmen, sogar der immer etwas grämliche Karl Marx war begeistert und fabelte vom „Vampirismus“ des Kapitals.

Nur in der Komischen Oper Berlin ist er mausetot, der unsterbliche Meister des wohligen Gruselns, ausgerechnet dort, wo sonst so viel Fantasie zu Hause ist. Das ist sehr schade. Denn natürlich war auch der fleißige Kapellmeister und Komponist Heinrich Marschner von Polidoris Geschichte begeistert. Es gab schon ein deutsches Theaterstück („Die Todten-Braut“) nach dieser Vorlage. Marschner griff zu und schrieb seine eigene Oper „Der Vampyr“.

Die Zeit liebte Vampire

Dasselbe tat auch Marschners Kollege Peter Joseph von Lindpaintner in München. Die Zeit des Biedermeiers war süchtig nach immer neuen Vampiren, aber Antú Romero Nunes hat nicht das geringste Gespür für die anhaltende Faszination dieser Figur, die aus dem Dauerregen am Genfer See entstanden war.

Nunes ist heute Hausregisseur des Thalia-Theaters in Hamburg und hat zuvor an vielen deutschen Bühnen – unter anderem am Gorki Theater – mit eigenwillig radikalen Inszenierungen Beachtung gefunden. Er meint, dass Marschners Stück eine möglichst drastische Verjüngungskur braucht, um heute noch aufführbar zu sein. Offenbar kennt er die Fernsehserien „True Blood“ oder „Vampyre ­Diaries“ nicht.

Nun mag sein, dass die originalen drei Stunden Spieldauer einer großen romantischen Oper von 1828 ein bisschen viel Marschner auf einmal wären. Aber was in der Komischen Oper immerhin doch zu hören ist an sehr schönen, volksliedhaften Melodien und soliden Orchestersätzen im Stil ihrer Zeit, macht neugierig auf mehr, aber vor allem neugierig auf etwas ganz anderes als das Theater, das Nunes spielen lässt.

Am Anfang steht ein Sarg auf der schwarzen Bühne, ein Mann in schwarzweißgestreiftem Anzug wirft Spinnen ins Publikum und ins Orchester, das dazu einen Soundcluster der billigen Sorte erzeugt. Selbst gemacht, kein Marschner, damit es uns schon grausen soll, bevor seine Musik erklingt. Schade um die Ouvertüre, die sehr wohl einen Vergleich mit Mendelsohn aushält.

Sie ist gestrichen. Dann tritt Lord Ruthven auf, Byrons Vampir, der jetzt ein weiß gepuderter, halbnackter Punker in viel zu engen Hosen ist. Er beißt schönen Frauen nicht nur in den Hals, er weidet sie danach auch noch aus, damit es richtig splattert und viel rote Farbe fließen kann.

So ist das nun mal bei Nunes: immer feste draufhauen, aber mit Schaumgummi

Ist aber nur Farbe, und überhaupt scheint das Leben von Vampiren kein Vergnügen zu sein. Der große Chor der Untoten leidet offenbar unheilbar an Haarausfall, Geschwüren, faulen Zähnen und spastischen Nervenleiden. Man kann nur Mitleid haben mit den zerlumpten Geistern, die ganz sicher niemanden das Gruseln lehren – so schön sie auch Marschners Tonsatz singen.

Schon vor dem Biss untot

Sie füllen bloß die Bühne, auf der aber sowieso immer nur sinnlos herumgefuchtelt wird. Auch die Frauen dürfen schon vor dem Biss keine menschlichen Wesen sein. Puppenhaft verkrampft zappeln sie herum, bis endlich der Splatterpunk kommt. Er kommt immer. Polidoris Handlung ist eine etwas komplizierte Verknüpfung von zwei höllischen Schwüren, für die sich Nunes leider nicht weiter interessiert hat. Auf seiner Bühne ist zwar ständig etwas los, aber man versteht nie, was geschieht. Es ist immer dasselbe Rennen und Stampfen und unendlich langweilig.

Zum Glück gibt es keine Pause, und wenn die wunderbare Nicole Chevalier immer und immer wieder mit einem Holzpflock auf den Tenor Zoltán Nyári einsticht, den Mann mit den Spinnen vom Anfang, ist alles vorbei. Und wieder falsch: Der Holzpflock muss einmal und überlegt in das Herz des Vampirs gerammt werden. Frauen in Todesangst sollten besser ein Messer nehmen. Aber so ist das nun mal bei Nunes: Immer feste draufhauen, aber mit Schaumgummi.

Nächste Vorstellungen: 26. 3., 3., 17., 23. 4., 21. 4.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen