piwik no script img

Raus aus dem Abseits

Wohnungslos Sie leben auf der Straße. Und viele Passanten schauen gar nicht erst hin. Eine Fotoausstellung vom Klik-Kontaktladen in der Zionskirche zeigt junge Menschen auf der Straße – und ihren eigenen Blick auf ihre Umgebung: „Ich bin hier und ich lebe“

Von Uta Schleiermacher

Zum Beispiel Kuba. Kuba ist 24 Jahre alt und lebt seit August 2014 in Berlin. Mehrmals hat er sich in leer stehenden Wohnungen eingerichtet, dazwischen hat er auf der Straße gelebt. Trotz allem ist er froh, hier zu sein. „Berlin ist jetzt meine liebste Stadt“, erzählt er an einem schon frühlingshaften Nachmittag in der Zionskirche in Mitte. Dort werden zur Zeit in einer Ausstellung Fotoporträts von Kuba und sechs anderen wohnungslosen jungen Menschen gezeigt.

Sonnenstrahlen fallen schräg durch die hohen Fenster. „In Berlin kann ich sein, wie ich möchte, die Menschen haben kein Problem mit meiner Homosexualität“, sagt Kuba. Groß, schmal, blonde Haare mit Undercut – in einem weißen Hemd sitzt er vor den Fotowänden. Und erzählt erst mal von seinem Leben vor Berlin, in Polen. „Da war ich in Warschau, hatte eine Wohnung, Arbeit, Liebe und alles“, sagt er.

Auf der Straße

Es gibt keine offizielle Statistik darüber, wie viele Kinder und Jugendliche in Deutschland wohnungslos sind. Nach Angaben des Vereins Karuna – Zukunft für Kinder und Jugendliche in Not leben in Berlin mit Abstand am meisten „Draußenkinder“, also Kinder und Jugendliche, die einen Großteil ihrer Zeit auf der Straße verbringen und von Familie, Schule und Jugendhilfe weitgehend „entkoppelt“ sind. Karuna setzt sich daher für eine Jugendhilfe nach dem Prinzip „Housing first“ ein, das für die Jugendlichen nicht an Forderungen geknüpft ist.

Der Verein beobachtet, dass die Zahl der Jugendlichen aus Osteuropa zunimmt. Durch die Sprachbarriere sind sie schwer zu erreichen, sie seien stärker sucht- und selbstmordgefährdet.

Studierende der Katholischen Hochschule haben 1994 den Klik – Kontaktladen für junge Menschen auf der Straße gegründet.

Die Fotoausstellung „Ich bin hier und ich lebe“ ist bis zum 18. April in der Zionskirche, Zionskirchplatz in Mitte, zu den Öffnungszeiten der Kirche zu sehen. Der Eintritt ist frei. (usch)

Dass die Beziehung zu seinem Freund endete, sei für ihn sehr schwierig gewesen. Er habe aufgehört zu arbeiten. Dann die Wohnung verloren und acht Monate auf der Straße gelebt. Mit zwei Freunden habe er sich irgendwann auf den Weg nach Berlin gemacht.

Die Fotos in der Ausstellung zeigen Kuba abends in der Stadt, an einer Kreuzung mit einer Tasche in der Hand. Und in einer spärlich eingerichteten Wohnung mit einem Freund, mit dem er ein Zimmer geteilt hat. Die anderen Bilder porträtieren unter anderem Illy und Sebastian, die zusammen in einer selbstgebauten Hütte auf der Cuvry-Brache gelebt haben. Und Eliza, die ebenfalls aus Polen kommt. Entstanden ist die Ausstellung „Ich bin hier und ich lebe“ als Projekt im Klik – Kontaktladen für junge Menschen auf der Straße. Über zwei Jahre hat der Fotograf Florent Moglia dort Jugendliche begleitet. Er hat auch mit ihnen zusammen fotografiert. In schmalen Broschüren hat Moglia zusätzlich zu den Fotos Interviews mit den Jugendlichen herausgegeben. Sie erzählen ganz unterschiedliche Geschichten. Doch in den Zitaten, die neben den Fotos hängen, wiederholt sich ein Gedanke. Mehrere Jugendliche haben aufgeschrieben, dass sie nicht gemacht seien für ein normales Leben, für das reine Funktionieren und den Druck.

An einer Wand im hinteren Teil der Schau hängen die Fotos, die die Jugendlichen selbst gemacht haben. Kuba hat einen Hinterhof fotografiert, von oben, in dem Korbstühle, zerbrochene Kisten, Holzbretter, Sofas, ein Teppich, Kissen und Decken liegen. Es war der Ausblick aus seiner Wohnung nach einer Räumung. Bauarbeiter hatten die Möbel aus dem vierten Stock in den Hof geworfen. „Dieser Moment war besonders schwierig für uns“, sagt er. Die Möbel hatte er zusammen mit einem Freund aus der ganzen Stadt zusammengetragen, erzählt er.

„In Berlin kann ich sein, wie ich möchte“

Kuba, wohnungslos

Kuba und Eliza sind nicht die einzigen Jugendlichen der Gruppe, die aus Polen nach Berlin gekommen sind. Auch Jugendliche aus anderen Ländern Osteuropas leben in Berlin auf der Straße. Den Kontaktladen stellt diese Entwicklung vor neue Probleme, erklärt die Sozialarbeiterin Alexandra Post bei der Ausstellungseröffnung. „Als ich 2006 im Klik angefangen habe, hatten zwei Drittel der Jugendlichen einen deutschen Pass und etwa ein ­Drittel einen Migrationshintergrund“, sagt sie. „Heute hat sich das ­Verhältnis umgekehrt. Zwei Drittel der Jugendlichen, die zu uns kommen, haben keine deutsche Staatsangehörigkeit.“ Sie kämen vor allem aus Polen, aber auch aus Litauen, Lettland, Rumänien und Bulgarien.

Seit 2008 arbeiten polnischsprechende Kolleginnen im Laden. Doch das allein sieht Alexandra Post nicht als Grund dafür, dass mehr Jugendliche aus Osteuropa zu ihnen als Anlaufstelle kämen, es kämen insgesamt mehr Hilfebedürftige nach Berlin. „Die Jugendlichen leben meist schon in den Herkunftsländern in prekären Verhältnissen“, sagt sie. Doch dort gäbe es meist kein Hilfesystem. „Nach unserem Eindruck kommen die Jugendlichen in diesen Ländern viel schneller vor Gerichte oder in Jugendhaft. Wir möchten daher gern noch mehr über die Bedingungen in Osteuropa erfahren“, sagt sie.

Denn die Jugendlichen, die vor allem aus osteuropäischen Ländern zu ihnen kämen, hätten in Berlin keinen Status als Wohnungslose. „Betreutes Wohnen, Therapien, medizinische Grundversorgung – alles, womit wir Jugendliche mit deutscher Staatsbürgerschaft unterstützen können, wird diesen Jugendlichen nicht gewährt.“ Sie erwarteten hier oft auch gar keine Hilfe. „Viele kommen nach Berlin, weil sie gehört haben, dass sie hier leichter akzeptiert werden und eher eine Arbeit finden“, sagt Post.

Das war auch für Kuba der Anstoß. Es sei ihm in Warschau nach einiger Zeit auf der Straße nicht gut gegangen, erzählt er. Daher ging er auf den Vorschlag eines Bekannten, nach Berlin zu gehen, sofort ein. „Wir hatten gehört, dass man hier einfach Flaschen sammeln und damit Geld verdienen kann“, erklärt er. In Polen droht ihm außerdem ein Gefängnisaufenthalt. Wegen der Beziehung zu seinem Freund, der minderjährig war, wurde er verurteilt.

„Die Jugendlichen leben schon vor Berlin prekär“

Sozialarbeiterin Alexandra Post

„Eigentlich müsste ich mal nach Polen, um einen Ausweis zu beantragen“, sagt er. „Das ist zur Zeit schwierig. Aber viele Freunde unterstützen mich. Vielleicht kann ich bald in einer Küche aushelfen.“

Ein kleines bisschen Sicherheit nur. Ob er gern mehr hätte, verrät sein freundliches, selbstsicheres Lächeln nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen