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Ein Modell gesellschaftlicher Gleichheit

EXPERIMENTELLE MUSIK Der US-amerikanische Komponist David Behrman verbindet seit den 60er Jahren akustische mit eigens entwickelten elektronischen Instrumenten. So kreierte er Musik für Konzerte, Happenings, Installationen und für die Merce Cunningham Dance Company. Derzeit ist er Fellow der American Academy in Berlin

von Franziska Buhre

Als der berühmte Dirigent Arturo Toscanini im Jahr 1937 Mozarts Zauberflöte im Salzburger Festspielhaus dirigierte, saß im Publikum auch der Dramatiker, Drehbuchautor und Publizist S. N. Behrman. Er war mit seiner hochschwangeren Frau Elza Heifetz Behrman aus New York angereist. Auf einem Empfang riet ihnen der Gastgeber zur vorsichtigen Wortwahl, denn das gesamte Personal arbeite auch für Hitler auf dem Obersalzberg. Weniger als ein Jahr später war Österreich bereits ans Deutsche Reich „angeschlossen“ worden.

„Mein Vater schrieb Ende der 60er Jahre ein Buch über jenen Sommer,“ erzählt David Behrman, der im August 1937 in Salzburg geboren wurde, im Gespräch in Berlin. „Er hatte erfahren, wie besorgt die Intellektuellen über die politischen Entwicklungen waren, und stellte sich im Nachhinein vor, wie Hitler vom Berg auf diese Gesellschaft buchstäblich herabschaute.“ David Behrmann ist Komponist und zurzeit Fellow der American Academy in Berlin, wo er heute Abend einen Vortrag über die Rolle der amerikanischen Experimentalmusik für Nachkriegsdeutschland halten wird. Lange nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1973 fand Behrman ein Konvolut mit Briefen, die der Vater mit dem britischen Dichter Siegfried Sassoon gewechselt hatte, von den zwanziger bis in die fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sassoon hatte sich im Ersten Weltkrieg freiwillig der britischen Armee angeschlossen, wurde im Verlauf aber zum erbitterten Gegner des Krieges. Er schrieb S. N. Behrman auch am 1. September 1939, als der Zweite Weltkrieg begann. Diesen Brief sowie Texte beider Männer über ihre Kindheit verwendete David Behrman 2003 in dem Stück „My Dear Siegfried“. Darin werden die Lautstärke und das Timbre zweier Stimmen durch interaktive Software verändert, ein Cello, eine Posaune und eine Shakuhachi-Flöte gesellen sich dazu.

Die Interaktion zwischen menschlichen und elektronischen Akteuren war David Behrman in den fünf Jahrzehnten seines Schaffens stets wichtig. Eine Anordnung für verstärkte oder verfremdete Instrumente, Computer, selbstgebaute Synthesizer, Mikrofone, Lautsprecher oder Lichtsensoren enthält bei ihm immer den subtilen Brückenschlag zwischen humanen und automatisierten Komponenten – die wesentliche Eigenschaft einer Performance. „Es geht darum, zu akzeptieren, dass man nicht hundertprozentig der Komponist ist“, sagt Behrman über seine Arbeiten, und das gilt auch für seine Weggefährten wie Christian Wolff oder Gordon Mumma. „Die Musik von Composer-Performern meiner Generation verfolgt ein Modell gesellschaftlicher Gleichheit. Dagegen ist der ausgebildete Musiker, der Anweisungen folgt, ein Fabrikarbeiter.“

Die Neugier für den produktiven, manchmal ungewissen Austausch zwischen Technologien und erlernten Fertigkeiten erhielt bei David Behrman in Europa die erste Nahrung. Nach dem Musikstudium in Harvard besucht Behrman 1959 die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik und beobachtete Karlheinz Stockhausen anschließend einige Wochen bei der Arbeit im Studio für elektronische Musik des WDR in Köln.

Anfang der sechziger Jahre experimentierten David Tudor in New York, Gordon Mumma in Ann Arbor oder Pauline Oliveros am San Francisco Tape Music Center mit analoger Elektronik, und auch David Behrman eröffneten die günstigen Einzelteile für diverse Schaltkreise neue Möglichkeiten. Bei Columbia Records arbeitete er zunächst an aufwändigen Tonbandproduktionen, bevor er als Produzent der Serie „Music Of Our Times“ freie Hand für elektronische Musik seiner ZeitgenossInnen erhielt. Mit Mumma ersann er ein Stück für Rückkopplungen aus dem Innenleben eines Flügels (“Wave Train“), und er erarbeitete mit dem afroamerikanischen Grenzgänger des Jazz, Anthony Braxton, Ende der Sechziger eine Anti-Vietnamkrieg-Performance: Braxton las Texte von Präsident Richard Nixon, die von zeitlich verzögerten Reporterfragen überlagert wurden. Dafür saßen eigenartige Skulpturen aus Lautsprechern, die von der Bildhauerin Sari Dienes stammten, auf Klappsitzen im Publikum.

1968 begann auch die Zusammenarbeit mit dem Choreografen Merce Cunningham. Für seinen ersten Auftrag für dessen Dance Company (MCDC), „Walkaround Time“, arbeitete er mit lichtempfindlichen Photozellen, die per Schaltkreis in Verbindung standen mit Aufnahmen von Stimmen, Geräuschen von Schritten und Fahrzeugen. Der Sound im Raum wanderte von Lautsprecher zu Lautsprecher.

In Behrmans ­Anordnungen gibt es immer den subtilen Brückenschlag ­zwischen humanen und automatisierten Komponenten

Jetzt liegt auf seinem Schreibtisch in Berlin-Wannsee eine Box, die für eine Wiederaufnahme von „Walkaround Time“ durch das Pariser Opernballett 2017 konstruiert ist. Sie enthält neben den Photozellen einen Mikrocomputer, der die Lichtsignale in die Software eines Laptops überträgt.

„Es war wunderbar, für Merce Musik zu machen, weil er uns nie sagte, was wir tun sollten. Oft beauftragten uns John Cage und Merce erst in letzter Minute, weil sie sich einfach nicht entscheiden konnten,“ sagt Behrman und lächelt verschmitzt. „Also bot man ihnen an, woran man ohnehin gerade arbeitete. Sie wagten alles.“

Merce Cunningham starb 2009, und bis zur Auflösung seiner Company zwei Jahre später saß Behrman in deren Komitee für Musik. Auf mehrere Etagen einer riesigen Halle waren die Blechbläser verteilt, die mit Behrmans Komposition „Open Space For Brass“ die TänzerInnen an den letzten Tagen des Jahres 2011 furios verabschiedeten. Auch wenn die Technik früherer Jahrzehnte überholt scheint oder schwierig zu rekonstruieren – Behrmans spielerische Zwiesprachen altern keine Spur. Wovon man sich im Mai bei seinem Konzert in Berlin überzeugen kann.

Vortrag David Behrman am 3. März, 19.30 Uhr: „American Experimental Music and Its Role in Germany from the 1950s“, American Academy, Berlin

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