piwik no script img

„Psychoserisiko erhöht sich um Faktor zwei“

RAUSCH Erwachsene sollten Vorbilder sein und Kindern zuliebe die Finger von illegalen Substanzen lassen, findet der Suchtexperte Rainer Thomasius. Ein Gespräch über Moral in der Drogenpolitik

Foto: privat
Rainer Thomasius

58, ist ärztlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf und gegen die Legalisierung von Cannabis.

Interview Lena Kaiser

taz: Herr Thomasius, die Debatte um Volker Beck zeigt, wie moralisierend Drogenkonsum verhandelt wird. Bleibt es nicht jedem selbst überlassen, was man mit seinem Körper veranstaltet?

Rainer Thomasius: Zu Volker Beck kann ich mich nicht äußern, weil wir keine validen Informationen darüber haben, welche illegale Substanz er bei dem Händler bezogen hat. Er hat seine Ämter niedergelegt und damit deutlich gemacht, dass er sich offenbar strafbar gemacht hat und Drogen einnimmt. Ich halte die Fahne für die Suchtgefahren bei Kindern und Jugendlichen hoch und bin der Meinung, dass so öffentlich exponierte Personen wegen ihrer Vorbildfunktion keine Drogen konsumieren sollten. Unsere präventiven Bemühungen, Kinder und Jugendliche von ausgesprochen gesundheitsgefährdenden Substanzen fernzuhalten, werden mit einem solchen Verhalten konterkariert.

Aber ist es nicht ein Beispiel für die moralisierende Debatte, zu sagen, jemand muss immer Vorbild sein?

Ich denke, eine Gesellschaft braucht, um funktionieren zu können, eine gute Moral. Wenn wir derzeit riesengroße Pro­bleme mit dem Rauschtrinken bei Kindern und Jugendlichen haben, dann deshalb, weil uns die Moral im Umgang mit alkoholischen Getränken ziemlich verlorengegangen ist. Und zwar in erster Linie bei den Erwachsenen, das überträgt sich ganz schnell auf die Einstellungen, Werthaltungen und das Konsumverhalten von Kindern. Um nur eine Zahl zu nennen: Beim Komasaufen haben wir bundesweit Jahr für Jahr 26.000 Alkoholvergiftungen bei den unter 20-Jährigen.

Ein Verbot mindert den Reiz aber nicht. Ist das Argument der Legalisierungsgegner, dass das Verbot einen präventiven Charakter habe, nicht scheinheilig?

Es geht ja nicht nur darum, zu verbieten. Neben der Angebotsreduzierung, indem eine Substanz beispielsweise dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt wird, und der Staat die Möglichkeit hat, die Herstellung, das Angebot und den Handel zu begrenzen, hat das Gesetz auch einen generalpräventiven Charakter, der der Gesellschaft das Sig­nal setzt: Diese Substanz ist gesundheitsschädigend und der Staat sieht sich in einer Fürsorgepflicht, die Bevölkerung vor diesen Schäden zu bewahren. Das steht aber in Verbindung mit Maßnahmen für Bevölkerungsgruppen wie Kinder und Jugendliche.

Welche?

Das können Prävention und frühe Hilfestellungen, Beratungen oder Entwöhnungstherapien sein. Schließlich gibt es auch noch die Schadensminimierungskonzepte für Konsumenten, die bereits riskante Konsummuster aufweisen.

Wirkt das?

Die europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon stellt komplexe Datensätze zur Verfügung, in denen das Konsumverhalten in den verschiedenen Ländern beschrieben wird. Hier wird Deutschland eine Bestnote ausgesprochen, da sehen wir, dass der regelmäßige Cannabis-Konsum im europäischen Vergleich niedrig ist. Nirgendwo werden so viele Cannabis-Abhängige in Hilfemaßnahmen gebracht wie hier. Das bestätigt einfach unseren erfolgreichen Kurs.

Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Ergebnisse?

In manchen Ländern gibt es einen laxen Umgang mit dem Betäubungsmittelrecht sowie mit Prävention und Hilfen. Da sind an vorderster Stelle Spanien, Tschechien, Italien und Portugal zu nennen.

Was haben Sie gegen das Kiffen?

Das Problem ist, dass es vor allem im Jugendalter zu ernsthaften Gesundheitsschäden, sehr rascher Suchtentwicklung und sozialer Desintegration der Betroffenen führt und dass es die altersgerechte Entwicklung stört. Die Forschungen der letzten zehn Jahre belegen, dass kognitive Störungen, also Hirnschädigungen, bei pubertärem, regelmäßigem Cannabis-Gebrauch auftreten können. Die Folge sind Lern-, Gedächtnis- und Hirnentwicklungsstörungen. Das Psychoserisiko erhöht sich um den Faktor zwei. Außerdem kommt es bei regelmäßigem Cannabis-Gebrauch zu Entwicklungsstörungen in der altersgerechten psychischen Entwicklung, sodass sich etwa 17-Jährige wie 12-Jährige verhalten mit einer ganz weichen, fragilen Persönlichkeit. Das Suchtgedächtnis spricht auf frühen Cannabis-Gebrauch sehr empfindlich an. An die 20 Prozent derjenigen, die im Jugendalter kiffen, entwickeln eine Abhängigkeit.

Nun haben Sie als Arzt vor allem mit den problematischen und pathologischen Fällen zu tun. Ist der medizinische Blick dadurch nicht getrübt?

Als Kliniker bin ich natürlich immer mit den Jugendlichen konfrontiert, die unter ungünstigen Entwicklungsbedingungen groß werden und die in ungünstige Konsumverläufe hineingeraten. Hier sehe ich einen Ausschnitt der insgesamt Kiffenden. Gleichzeitig bin ich aber auch Wissenschaftler. Als solcher versuche ich stärker zu objektivieren. Da gibt es mitunter Widersprüche, weil sich aus wissenschaftlicher Sicht die Schädigungspotenziale anders darstellen als aus klinischer Sicht. Im Gegensatz zu Jugendlichen schaffen es Erwachsene etwa, über lange Zeit moderate Konsummuster aufrecht zu halten.

Die Folgen der Prohibition sind vielleicht fataler als die Folgen der Droge selbst. Was spricht gegen eine Legalisierung?

Wir haben keine Cannabis-Prohibition, weil Paragraf 31a des Betäubungsmittelgesetzes besagt, dass bei Eigengebrauch bei einer bestimmten Menge von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann. Das ist ein gutes Prinzip, das gerade in Norddeutschland sehr gut umgesetzt wird. Wenn unsere Patienten hier mit 17 Jahren in Behandlung kommen, haben sie in aller Regel drei Jahre täglich gekifft. Sie sind der Polizei aber meist nicht als Konsument bekannt. Es ist gut, dass wir die Jugendlichen nicht kriminalisieren.

Was spricht denn dagegen, es gleich ganz zu legalisieren?

Dass Cannabis gesundheitsschädigend ist.

Aber schlecht für die Gesundheit sind viele Dinge. Was ist mit Alkohol und Zigaretten?

Alkohol und Tabak gehören im Grunde genommen auch in das Betäubungsmittelgesetz. Da hat es die Gesellschaft anders entschieden, und da wird man das Rad der Geschichte auch nicht zurückdrehen können.

Das heißt, Sie würden auch Alkohol und Tabak verbieten?

Wir haben die größten Suchtprobleme mit diesen beiden Substanzen, mal abgesehen von der Medikamenten-Abhängigkeit. Die Entscheidung ist nicht allein eine medizinische, sondern auch eine gesundheitspolitische Frage. Vom rein toxischen Potenzial her würde ein Verbot der Gesellschaft enorme soziale Schäden ersparen. Diese Forderung zu stellen, würde ich aber nicht wagen. Prävention und Hilfen müssen weiter gestärkt werden.

Mit einer Legalisierung gehen aber vor allem juristische und soziale Probleme einher. Ist es nicht schwierig, aus medizinischer Sicht ein Cannabis-Verbot zu fordern?

In der Suchtbehandlung bewegt man sich immer zwischen den Disziplinen. Für alle Maßnahmen braucht man den Sachverstand unterschiedlicher Berufsgruppen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen