: Kein Schiff wird kommen
Infrastruktur Halle hat nach der Wende einen modernen Hafen bekommen. Schiffe legen dort nicht an. Solange es keinen Saalekanal gibt, wird das so bleiben
aus halle Sarah Emminghaus
Eine lange Fahrt durchs Nichts, Landstraßen gesäumt von AfD- und NPD-Plakaten – irgendwann kommt eine Straße, die Mukrena heißt und sich – als einzige Straße – durch den gleichnamigen Ort zieht. Mukrena könnte auch an der Ostsee sein. Aber es ist in Sachsen-Anhalt, 40 Kilometer von Halle entfernt, und hat 240 Einwohner. Die Schifferhäuser weisen den Weg zum Wasser, zur Saale. Hier befindet sich Karina Fischers Werft. Ihr Uropa war Schiffer, mit ihrem Vater betreibt sie nun die Werft. Alte Schiffe mit Namen wie „Liberté“ und „Louise“ liegen da, Gartenzwerge bewachen Fischers Einfahrt. Fischer ist Geschäftsführerin des „Vereins zur Hebung der Saaleschifffahrt“ (VHdS). Sie setzt sich seit Jahren für die Schifffahrt auf der Saale ein – und damit auch für den Betrieb des Hafens in Halle.
Um diesen Hafen wird seit 20 Jahren eine erbitterte – inzwischen verbitterte – Debatte geführt. Fischer findet, die Grünen verhinderten eine vernünftige Nutzung. Aus Gründen, die sie nicht nachvollziehen kann. Die Grünen finden, alles, was den Hafen betrifft, sei eine Fehlinvestition gewesen, und das solle man sich endlich eingestehen.
Iris Brunar arbeitet ehrenamtlich für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie erzählt von der Historie des Hafens in Halle: Die Planungen begannen vor fast 100 Jahren. 1929 war die Gründung der Mitteldeutschen Hafen AG, in den 1930ern wurde das neue Hafenbecken gebaut. Während des Krieges kamen die Ausbaupläne an Elbe und Saale zum Stillstand. Zu DDR-Zeiten gab es kein Geld für Wasserstraßen, obwohl im Vergleich zu heute ein Vielfaches transportiert wurde, so Brunar. „Nach der Wiedervereinigung wurden westdeutsche Standards in den Osten importiert. So sollten unter anderem Elbe und Saale zu ganzjährig befahrbaren Wasserstraßen ausgebaut werden.“
Also wurde investiert. Bis 2011 sind laut Bundesverkehrsministerium rund 3,7 Milliarden Euro in die Wasserstraßen und Häfen im Osten Deutschlands gesteckt worden. „Doch es wurde keine Tonne mehr transportiert als vorher“, so Brunar. Etwa 30 Millionen Euro davon flossen in die Modernisierung des Hafens in Halle. Zusätzlich kostet dessen Betrieb die Stadt jährlich etwa eine Million Euro. Obwohl keine Schiffe in den Hafen einfahren – das letzte Mal hat 2011 eins angelegt, sagt Brunar.
Schwieriger Flusslauf
Um zu verstehen, warum die Schiffe nicht zum Hafen kommen, muss man einige Kilometer die Saale hinab. 89,2, um genau zu sein. Da mündet der Fluss in die Elbe und da ist der Flussabschnitt, über den sich seit Jahrzehnten gestritten wird. Denn die Saale wird auf den letzten 20 Kilometern so kurvig, dass größere Schiffe nicht durchkommen. Deshalb gibt es seit den 1990ern die Idee, dort einen Seitenkanal zu bauen. Der wäre 10 Kilometer lang – die Kosten dafür werden unterschiedlich geschätzt. Manfred Sprinzek, Vorsitzender des VHdS, spricht von circa 100 Millionen Euro. Claudia Dalbert, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt, von 150 Millionen. Es wird klar: Bei fast jedem Aspekt dieses Themas gehen nicht nur die Meinungen auseinander, auch Zahlen weichen voneinander ab. Nur in einem sind sich alle einig: dass die Debatte über den Hafen in Halle eine ideologisch verbohrte ist.
CDU: Mit dem Bau des Saaleseitenkanals sind große Chancen für die Region Mitteldeutschland verbunden.
SPD: Wir treten für die wasserbaulichen Wiederherstellungs- und Unterhaltungsarbeiten der Wasserstraßen zum Erhalt der Schiffbarkeit und für den Hochwasserschutz nach neuesten ökologisch verträglichen Methoden ein.
Linke: Der Umgang mit der Elbe als Wasserstraße muss so gestaltet werden, dass diese Natur- und Kulturlandschaft dauerhaft erhalten bleibt.
Grüne: Die Elbe ist ein natürlicher Niedrigwasserfluss. Aufgrund dieser natürlichen Bedingungen kann es keine verlässliche Schiffbarkeit der Elbe für den Güterverkehr geben.
AfD: Die AfD will eine Verkehrspolitik, die im Spannungsfeld zwischen freiem Wettbewerb und sozialer Marktwirtschaft den ökologischen, ökonomischen sowie sozialen Anforderungen der Gegenwart gerecht wird.
Dalbert wirkt so, als finde sie die Bemühungen des VHdS albern. Die Grünen argumentieren seit Jahren gegen den Bau des Seitenkanals. Denn würde dieser Kanal gebaut, kämen die Schiffe zwar auf die Elbe – dort gehe es aber nicht weiter. „Die Elbe ist ein typischer Niedrigwasserfluss. Ein wunderschöner Fluss! Aber Schiffe können nicht fahren, dafür bräuchte man eine konstante Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter. Und die wird zu selten erreicht.“ Die Statistik, die sie zur Verfügung stellt, hat sie aus Zahlen der Wasser- und Schiffsverwaltung des Bundes zusammengestellt. Und sie zeigt: Der Wasserstand der Elbe schwankt erheblich. Letztes Jahr wurde eine Fahrtiefe von 1,60 Metern an nur der Hälfte Tage des Jahres erreicht, 2013 war der Fluss fast immer schiffbar. Mit dieser Planungsunsicherheit kommen Unternehmen nicht zurecht, da sind sich Dalbert von den Grünen und Brunar vom BUND sicher.
Sprinzek und Fischer widersprechen vehement. Die Saale und ihre Schifffahrt sind ihre Leidenschaft. Sprinzek war 1996 Mitbegründer des Vereins der Seitenkanalfreunde. Er findet die Argumentation der Grünen unsinnig. Er wird schnell ungehalten, wenn er von seinem „Kampf“, wie er es nennt, erzählt. Die meisten Argumente, die die Gegenseite vorbringt, werden hier abgetan. Die Elbe ein Niedrigwasserfluss? Nein, sie sei eine Bundeswasserstraße, auf der wirtschaftliche Schifffahrt mit Schubverbänden für Container und Massengut stattfinde. Staustufen auf der Elbe, die die Auenlandschaften dort zerstören würden? Das wolle doch keiner! Schifffahrt auf Elbe und Saale sei ohne Elbausbau möglich. Und der Wasserstand der Elbe? Schwankungen seien normal! Aber Unterhaltungsarbeiten an der Elbe seien notwendig, um abzusichern, dass eine Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter an 345 Tagen im Jahr eingehalten werden kann. Die Schifffahrtsverfechter beziehen sich auf dieselben Zahlen, die Dalbert zur Untermauerung ihrer Argumentation nutzt. Sie legen sie nur anders aus.
Genau wie Schiffskapitän Peter Grunewald. Sein Luxuspassagierschiff „Sans Souci“ liegt in Fischers Werft in Mukrena. Mit seinem 80 Meter langen Schiff schlängelt er sich immer mal wieder durch den komplizierten Teil der Saale und fährt über die Elbe. Diese Fahrt habe er letztes Jahr zwar ein paar Mal absagen müssen. „Aber das heißt lange nicht, dass man den Kanal nicht bauen sollte!“ Auch er wird aufbrausend, wenn es um das Thema geht. Seine Worte überschlagen sich, er verfällt in Fachvokabular. Buhnen, Staustufen, Schubleister. Er will erklären, warum die Politik riesigen Unsinn redet. Es ist klar: Sein Herz hängt an der Schifffahrt, an seiner „Sans Souci“.
Der Bau des Seitenkanals müsste von der Bundesregierung in die Wege geleitet werden. Das Bundesverkehrsministerium erstellt in unregelmäßigen Abständen einen Bundesverkehrswegeplan – ein Planungsinstrument für den Bund, in dem Investitionen für Verkehrsprojekte ausformuliert werden. Und da die Saale vom Bund verwaltet wird, kann das Land Sachsen-Anhalt dort beantragen, dass Gelder in den Ausbau des Seitenkanals fließen. Das hat das Land schon einige Male gemacht – es ist immer gescheitert. 2003 stand das Projekt einmal als „Vordringlicher Bedarf“ im Plan; es wurde sogar schon ein Termin ausgemacht, um mit der Planung loszulegen.
Ein schlimmer Moment für Sprinzek und Fischer war es dann aber, als die Saale 2011 zur „Restwasserstraße“ herabgestuft werden sollte. Hieße: kein Gütertransport, keine Tourismusförderung. Bei dem Wort muss auch Claudia Dalbert von den Grünen schlucken. „Unsere Saale! Eine Restwasserstraße! Da kann ich den Verein ja verstehen.“ Verstehen, dass sie das nicht auf sich sitzen lassen wollen. Es wurden neue Anträge gestellt. Die Hoffnungen liegen auf dem Bundesverkehrswegeplan 2015. Der wird vielleicht noch im März dieses Jahres vorgestellt. Die Entscheidung liegt beim Bundesverkehrsministerium.
Warten auf Berlin
Der VHdS hat Argumente für die Saalenutzung gesammelt. So haben sie sämtliche dort angesiedelte Unternehmen gefragt, ob sie diesen Kanal nutzen und wie viele Tonnen ihrer Güter sie vom Lkw-Transport auf Schiffe verlagern würden. Heraus kam: 16 Unternehmen wollen 2,5 Millionen Tonnen auf die Schifffahrt verlagern. Werftbetreiberin Fischer rechnet vor: Das wären pro Jahr 86.000 Lkws weniger auf den Straßen . Dalbert hält dem entgegen: Das Versprechen würden die Unternehmen sowieso nicht einhalten. Denn: Die Unternehmen wollten bloß die Preise der Bahn drücken. Hätte die Bahn im Gütertransport einen weiteren starken Konkurrenten in der Region, würden Preise zwangsläufig sinken.
Das Bundesverkehrsministerium entscheidet also über die Zukunft des Hafens. Manfred Sprinzek ist eigentlich schon im Rentenalter – aber ihm lässt das Projekt keine Ruhe. Im Verein sind auch die Unternehmen organisiert, die den Schiffsverkehr nutzen wollen. Sprinzek befürchtet, dass die langsam keine Lust mehr auf das ewige Hin und Her haben. Sobald der Bundesverkehrswegeplan veröffentlicht wird, will Sprinzek jedenfalls aufhören Egal, wie die Entscheidung ausfällt.
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