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Sind wir bereit, zu teilen?

Europa Spielen gegen die Krise: Beim Festival „Europoly“ mit fünf europäischen Theatergruppen an den Münchner Kammerspielen litt man mit den Abgehängten

von Annette Walter

Wenn es eine Stadt in Deutschland gibt, die zum Synonym für schutzsuchende Menschen geworden ist, dann München. Die Bilder vom Hauptbahnhof, der zum Drehkreuz für überfüllte Züge aus Osteuropa wurde, ­gingen um die Welt. Seit Jahresbeginn kamen mehr als 100.000 Flüchtlinge über die bayerische Grenze.

Deshalb passt das Festival „Europoly“ an den Münchner Kammerspielen, das sich mit Flüchtlingen und der europäischen Krise beschäftigt, auch so gut in die Stadt. Es stößt als Tummelplatz der freien Szene in eine Lücke, die schon lange klafft und die das Festival „Spielart“ bisher nur unzureichend ausfüllte. Insgesamt fünf Inszenierungen von Gruppen aus Berlin, Athen, Dublin, Lissabon und Vilnius setzen sich künstlerisch mit den Folgen von Migration und Sparpolitik auseinander. Es sind bis auf den deutschen Beitrag Produktionen, die in den klammen Herkunftsländern ohne die finanzielle Unterstützung von Kammerspielen und Goethe-Institut vermutlich nicht entstanden wären und die beweisen, dass politisches Theater nicht moralisierend-langweilig, sondern unterhaltsam sein kann.

Am besten glückt das in „Clean City“ von Anestis Azas und Prodromos Tsinikoris aus Athen. Die beiden Griechen arbeiten nach der Rimini-Protokoll-Methode: Fünf Putzfrauen aus Moldawien, Südafrika, Albanien, Bulgarien und von den Philippinen erzählen von ihrem Leben in Athen. In Griechenland erwischt es diese Migrantinnen, die für Hungerlöhne den Dreck anderer wegputzen, als Erste. Urinstein aus Kloschüsseln kratzen, Staub unter Betten wegwischen, sich vom notgeilen Opa befummeln lassen oder mit Chlorreiniger schrubben, der die Haut verätzt: Sie schuften nun für noch weniger Geld als vorher. Chancen auf faire Arbeitsbedingungen: gleich null. „Hast du keine Papiere, dann beschwere dich nicht“, klagt die geduldete Philippina.

Theater mit Betroffenen wird bisweilen vorgehalten, menschliches Elend auszubeuten. In diese Falle tappt „Clean City“ nicht. Wir erleben das Geschehen als Selbstermächtigungsprozess dieser Frauen. Rührend, wie sie am Ende als Zeichen ihrer Emanzipation den Zeibekiko tanzen, der traditionell eher griechischen Männern vorbehalten ist, und wie sie aufblühen, weil sie endlich Aufmerksamkeit und Respekt erhalten, ja, weil ihnen ihre Würde zurückgegeben wird.

Das Obergrenzen-Märchen

Die Inszenierung ist ein gelungener Ausbruch aus dem ewigen Theaterkreislauf Privilegierte spielen für Privilegierte. Den zwiespältigen Umgang westlicher Wohlstandsgesellschaften mit Migranten reflektiert auch „The Beach“. Es geht um die Frage, wie weit unsere Solidarität mit den Hilfesuchenden geht. Sind wir wirklich bereit, zu teilen, Verzicht hinzunehmen, abzugeben, auch wenn es wehtut? Passend in Bayern, dem Bundesland, in dem die CSU auf Besitzstandswahrung setzt und mit ihrem Obergrenzen-Märchen seit Langem die Bevölkerung einlullt.

Die irische Gruppe „Brokentalkers“ lässt einer kleingeistigen, sonnenbadenden Familie einen Flüchtling vor die Liegestühle spülen. „Wir werden überrannt von einem Haufen traumatisierter, gescheiterter Menschen, die unsere Werte nicht teilen“, jammert der Schwiegersohn und will den vermeintlich ersoffenen Mann schon auf einem Haufen Leichen entsorgen. Aber der regt sich noch, wird also mit Pommes Frites und Bier gefüttert und entpuppt sich als Homer- und H. G. Wells zitierender Bote einer kriegszerstörten Kultur.

Muss Theater nicht schnell reagieren, wenn um uns herum alles bröckelt?

„Endlich eine Chance, etwas Gutes zu tun“, jubiliert die Mutter im grellen Badeanzug. „Und warum nicht die Geschichte des Gestrandeten künstlerisch verwursten“, lacht sich die Tochter ins Fäustchen und muss sich gleich zurechtweisen lassen: „Wozu brauchen wir eine weiße, privilegierte Künstlerin, die nie Not erfahren hat, um diese Tragödie auszuschlachten?“ Irgendwann eskaliert diese herrlich zynische Strandausflug-Tragikomödie.

Im Mitmach-Stück „Lessons of Leaking“ stellt eine Frauke-Petry-hafte rechtspopulistische Kanzlerin die Deutschen im Jahr 2021 vor die Wahl: Raus aus der EU oder nicht? Brisante Dokumente über gefakte Wählerstimmen könnten den Ausgang entscheidend beeinflussen. Am Ende entscheiden die zwölf ZuschauerInnen, die mitten in der Hackerstube zwischen codesausspuckenden Bildschirmen stehen, per Handzeichen: Die Wahrheit leaken und den EU-Austritt riskieren oder schweigen? Das Berliner Kollektiv „machine eX“ hat sich erfreulicherweise eines Themas angenommen, das man an den Kammerspielen sonst nie sieht und in dem man Teil eines kurzweiligen Experiments wird.

Mag sein, dass bei den Stücken des Europoly-Festivals der ganz große Wurf ausbleibt und künstlerisch keine großen Wagnisse eingegangen werden. Die dramatische Komplexität wird der politischen Aussage untergeordnet. Aber es ist ein Gewinn, jene medial oft abstrakt abgehandelten Aspekte der EU-Krise einmal emotional zu erleben. Die Haltbarkeit dieser Inszenierungen mag nicht allzu groß sein; es sind vielleicht etwas zu hastig gezimmerte Aufführungen für den Augenblick. Aber muss Theater nicht schnell reagieren, wenn um uns herum alles bröckelt?

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