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Mehr Meeresnutz als Meeresschutz

UMWELT Nord- und Ostsee will das Bundesumweltministerium besser und nachhaltiger schützen. Anhörung in Hamburg ergibt aber, dass es keinerlei Beschränkungen für die menschliche Nutzung geben soll. Ebendiese fordern alle deutschen Umweltverbände

von Sven-Michael Veit

Mit weniger als der Hälfte wollen sich die neun großen deutschen Umweltverbände nicht zufrieden geben. „Mindestens 50 Prozent der gesamten deutschen Natura-2.000-Gebiete in Nord- und Ostsee müssen frei von jeglicher menschlicher Nutzung sein“, lautet die Maximalforderung von BUND, Greenpeace, Nabu, WWF und fünf kleineren Meeresschutzvereinen an die Bundesregierung. Diese arbeitet daran, den Schutzstatus der deutschen Meeresschutzgebiete zu verbessern. Damit sollen nationale Verpflichtungen nach der europäischen Richtlinie Fauna-Flora-Habitat (FFH) eingelöst werden (siehe Kasten).

Werden sie aber nicht, kritisierten die Verbände am Dienstag auf einer Anhörung des Umweltministeriums in Hamburg. „Bis heute wird in den Schutzgebieten, den wertvollsten Ökosystemen vor unseren Küsten, flächendeckend gefischt, es fahren tausende Schiffe und es finden Rohstoffabbau und militärische Manöver statt. Die deutschen Meeresschutzgebiete gibt es nur auf dem Papier“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Verbände zu der Anhörung hinter verschlossenen Türen.

Nach dem Vorschlag des Bundes sind in den Schutzgebieten viele menschliche Nutzungen weiterhin erlaubt, manche indes zeitlich oder räumlich eingeschränkt. Schifffahrt, Fischerei oder die Suche nach Bodenschätzen werden keinerlei neuen Regularien unterworfen. Lediglich für Freizeitangler soll es Beschränkungen geben, um einzelne Fischarten zu schonen und brütende Wasservögel nicht zu stören. Das aber geht selbst Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne) zu weit. „Beim Angelverbot schießt der Bund echt über das Ziel hinaus“, sagte er. Von Anglern gehe „keine Beeinträchtigung der Lebensraumtypen aus“.

Zudem sei vor allem das Schutzgebiet Fehmarnbelt für die gewerblichen Angelkutterbetriebe von besonderer Bedeutung. „Bei einem Verbot wäre eine Existenzgefährdung dieser Betriebe nicht ausgeschlossen“, sorgt sich Habeck ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai 2017.

Damit stimmt der Grüne ausnahmsweise überein mit dem Deutschen Fischerei-Verband (DFV), mit dem er sich sonst oft und gerne streitet. „Die Freizeitfischerei pauschal und flächendeckend zu verbieten, ist nicht akzeptabel“, stellt DFV-Generalsekretär Peter Breckling klar. Dabei ziehen die etwa 160.000 deutschen Ostseeangler pro Jahr zwischen 34 und 90 Prozent zusätzlich zu den Anlandungen der kommerziellen Fischerei aus der westlichen Ostsee: Die Fangquoten sind speziell beim Dorsch faktisch außer Kraft gesetzt.

Was wie schützen

Der Bund will sechs Meeresgebiete in Nord- und Ostsee nach den Regeln der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) unter Schutz stellen. Damit werden europarechtliche Schutzverpflichtungen umgesetzt.

Für diese Gebiete müssen konkrete Regeln festgelegt werden, wie der Schutz der Natur zu gewährleisten ist.

Die Gebiete sind in der Nordsee: Doggerbank, Borkum Riffgrund und Sylter Außenriff/ Östliche Deutsche Bucht; in der Ostsee: Fehmarnbelt, Kadetrinne und Pommersche Bucht/ Rönnebank.

Zurzeit sind etwa 45 Prozent der deutschen Meeresfläche (Nordsee 43 Prozent, Ostsee 51 Prozent) als Natura-2.000-Gebiete geschützt.

Auch ansonsten werde „überhaupt nichts besser geschützt“, resümierte Greenpeace-Meeres­campaigner Thilo Maack nach der Anhörung enttäuscht. Dafür hätten die Ministerien in der Bundesregierung, die Nutzergruppen vertreten, gesorgt. Seit Jahren hätten die Ressorts Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und Verteidigung die Schutzpläne des Umweltministeriums zugunsten ihrer Interessen blockiert und entschärft. Leidtragende seien Meeressäuger, Seevögel oder auch seltene Weichkorallen.

In „ökologisch unbedenklichem Zustand“ sind nach Einschätzungen aller Experten in Nord- und Ostsee lediglich die Populationen von Seehunden und einigen Möwenarten, alle anderen – Schweinswale und Kegelrobben, fast alle Seevögel, nahezu sämtliche Fischarten sowie viele Muscheln, Krebse und Krabben – sind bedroht, etwa ein Drittel aller untersuchten Arten sind laut nationaler roter Liste in ihrem Bestand gefährdet. Grund dafür sind nach eigener Aussage der Bundesregierung die Fischerei, der Kies- und Sandabbau und der Eintrag von Nähr- und Schadstoffen.

Geändert werden soll daran aber nichts, wenngleich der Meeresexperte des WWF, Stephan Lutter, noch Hoffnungen hat: „So löchrig dürfen diese Pläne nicht bleiben.“ Sein Greenpeace-Kollege Maack ist da skeptischer: „Diese angeblichen Schutzpläne zementieren die weitere Zerstörung der deutschen Meere.“

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