Die Arbeiterklasse ließ sich mobilisieren

Vernissage Die Protagonisten der antiautoritären Bewegung, Toni Negri und Nanni Balestrini, sprachen zur Ausstellung „Die Große Revolte“ in der WeGallery über Kunst und Politik der 70er Jahre in Italien

Die „Geschichten aus einer anderen Zeit“, wie Toni Negri sie im Verlauf des Abends nennt, sie werden an den Wänden der Berliner WeGallery in Bildern erzählt. Negri, eine der wichtigsten Figuren der politischen Linken Italiens in den vergangenen Jahrzehnten, sitzt auf dem Podium; ihm gegenüber hängt ein fast wandfüllendes Gemälde. Ein Panorama der Verwüstung ist darauf zu sehen, mit unruhigen Pinselstrichen gezeichnet. Es zeigt den faschistischen Anschlag auf der Mailänder Piaz­za Fontana im Jahr 1969. Er bildete seinerzeit den Beginn der politisch unruhigen siebziger Jahre in Italien, in denen terroristische Attentate von links wie rechts folgten.

Jenes Werk, vom ebenfalls anwesenden italienischen Künstler Andrea Salvino gemalt, ist in der Schau „Die große Revolte“, die sich dieser Epoche widmet, das auffälligste. Der prominenteste Beteiligte aber sitzt an diesem Donnerstagabend die meiste Zeit über ruhig da und wirft später die Frage in den Raum, wie es heute überhaupt noch gelingen kann, sich mit Kunstwerken auf diese Zeit zu beziehen: Nanni Balestrini, einer der großen Autoren der italienischen Neoavantgarde der 60er und 70er, stellt Text- und Zeitungscollagen aus. Der Titel der Ausstellung bezieht sich auf einen gleichnamigen Sammelband der wichtigsten Prosa des heute 80-jährigen Balestrini.

Knallvoll ist die hell erleuchtete Galerie – etwa 200 Besucher sind gekommen, viele jüngere Italienerinnen und Italiener darunter, die der einleitenden Diskussion folgen – und die mit Balestrini und Negri zwei Protagonisten der antiautoritären Bewegung selbst zum Thema hören.

Zum Großteil ist das von Freddy Paul Grunert vom ZKM Karlsruhe moderierte Gespräch eine bloße Rückschau auf die Zeit. Die Potere Operaio (Macht der Arbeiter), die organisierte Form des Arbeiterkampfes, die sich Ende der Sechziger herausbildete, ist genauso Thema wie die 1970 entstandenen linksterroristischen Brigate Rosse. Sie wurden meist für die rechtsgerichteten Anschläge dieser Zeit verantwortlich gemacht (bis hin zum Bombenanschlag in Bologna 1980).

Die kommunistische Kultur sei in seinem Heimatland viel weiter verbreitet gewesen als in Deutschland, so Negri; in Italien habe man auch die Arbeiterklasse für Proteste mobilisieren können. Auch das so weit bekannt. Negri wirft noch einige Bonmots in den Raum. „Die Brigate Rosse“, sagt er nonchalant, „waren wichtiger für die italienische Moderne als der Vatikan.“ Er grinst. Das Publikum lacht. Ein Moment, der viel über die damalige Zeit aussagt, denn gar so absurd ist es nicht, was ­Negri da sagt.

In der Schau sieht man drei völlig verschiedene Ansätze, dieses Zeitalter zu reflektieren. Zunächst dokumentarisch: Neben Salvinos und Balestrinis Werken werden Schwarz-Weiß-Fotografien des Fotografen ­Uliano Lucas gezeigt, die beeindruckend von den Straßenschlachten und dem Polizeigeknüppel, von der Fabrikarbeit und vom Alltagsleben erzählen. Hingegen blickt Salvino, Jahrgang 1969, als Nachgeborener auf diese hitzige Zeit – und orientiert sich in seinen Skizzen und Gemälden an ebenjenen medial überlieferten Bildern.

Die älteren Collagen Balestrinis spielen mit den Schlagzeilen der Epoche: Sätze und Wortteile wie „Sciopero Fiat“ („Fiat-Streik“) „Classe Operaia“ („Arbeiterklasse“), „Rev“ und „Olution“ sind da in unterschiedlicher Typografie und Schriftgröße zu lesen. So entsteht Schlagwortgewirr – in den Balestrini-Werken funktioniert Welterschließung wie bei den frühen Avantgarden über Stückelung. Mit den Collagen von 2014 zeigt das Team um Kurator Davide Di Maggio zudem noch aktuellere Arbeiten Balestrinis. Schön, an diesem Eröffnungsabend zu erleben, wie aktiv und streitlustig die beiden großen Revoluzzer Negri und Bales­trini bis heute sind. Jens Uthoff

Bis 27. Februar, WeGallery, Friedrichstraße 17, Berlin