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Die „Sprache der Alten“ ist erlernbar

PFLEGE Die Methode der Validation ermöglicht Pflegenden, mit desorientierten, alten Menschen besser in Kontakt zu treten

Validation ist Kommunikation auf Beziehungsebene Foto: von Erichsen/dpa

von Simone Schnase

Was in Österreich bereits seit Jahren zum Alltag in der Pflege und im Umgang mit Dementen gehört, steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen: Die Validation als Methode, sowohl verbal als auch nonverbal mit desorientierten Menschen in Kontakt zu treten.

Validieren bedeutet allgemein „die Wichtigkeit, die Gültigkeit, den Wert von etwas feststellen, bestimmen“. Validation im Umgang mit alten Menschen heißt indes, ihr Verhalten als für sie gültig zu akzeptieren, unter dieser Voraussetzung mit ihnen in Kontakt zu treten und ihnen Wertschätzung und Verständnis entgegenzubringen.

Die Methode der Validation wurde von der US-amerikanischen Gerontologin Naomi Feil entwickelt, basierend auf der klientenzentrierten Gesprächsführung des Psychologen Carl Rogers. Dabei wird die Lebenswirklichkeit des desorientierten Menschen akzeptiert. Um „dort“ auch mit ihm kommunizieren zu können, ist es wichtig, sich selbst und seine Gefühle beiseite zu stellen und dem Gegenüber mit Empathie zu begegnen.

Die Kommunikation findet dann weniger auf der Inhalts- als vielmehr auf der Beziehungsebene statt, in einem späten Stadium der Demenz auch nonverbal, denn nach Feil sind Menschen mit Demenz nicht krank, sondern lediglich alt und sprechen eine Sprache, die weniger auf rationaler denn auf emotionaler Ebene angesiedelt ist. Um die Bedürfnisse eines desorientierten Menschen zu erkennen und auf sie reagieren zu können, muss diese „Sprache“ verstanden und gesprochen werden.

Und das kann man lernen: Der ambulante Altenpflegedienst „Pflegeimpulse“ mit Sitz in Bremen bietet seit Mitte 2015 als „Autorisierte Validations-Organisation“ für Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt Aus- und Weiterbildungen in Validation an. Dafür hat er Heidrun Tegeler, Lehrerin und Master für Validation, angestellt. Tegeler lehrt an der Krankenpflegeschule in Bremen-Ost Validation und veranstaltet am Bremer Institut für Berufs- und Sozialpädagogik Validations-Workshops. Und was sie schon seit Jahren in den Alten-WGs des Pflegedienstes „Pflegeimpulse“ anwendet, sollen nun auch dessen MitarbeiterInnen und andere Interessierte lernen.

Den ersten fünf „Azubis“ konnte Tegeler Mitte Januar ihre Zertifikate als „Validations-Anwender“ aushändigen, unter ihnen auch eine Pastorin für Altenheim-Seelsorge und eine Gerontotherapeutin. „Wünschenswert wäre es, wenn nicht nur Pflegende, sondern alle, die mit alten Menschen arbeiten, die Anwender-Ausbildung oder doch wenigstens den Basis-Kurs absolvieren würden“, sagt Tegeler. Träger wie „Pflegeimpulse“ finanzieren ihren MitarbeiterInnen die Weiterbildung komplett, andere übernehmen sie teilweise. Angehörigen demenzkranker Menschen werden die Kosten eines Validations-Basis-Kurses von der Pflegekasse erstattet.

Während der Kurs drei Tage dauert, beinhaltet die „Anwender“-Ausbildung fünf Wochenenden Theorie und mindestens sechs Monate Praxis mit Supervision, „und die macht man nicht mal eben nebenbei“, berichtet eine der Absolventinnen. Denn erst einmal habe jede Teilnehmerin hart an sich selbst arbeiten müssen: „Es ist sehr schwer, seine eigene Logik, seine Meinung und seine Gefühle völlig beiseite zu stellen.“

Geholfen hätten da Videos, die die Auszubildenden von sich selbst bei der Validation gedreht haben: „Es ist ganz wichtig, sich selbst von außen zu betrachten – anders geht es gar nicht.“ Und auch der Kontakt der fünf Fortbildungs-Absolventinnen untereinander sei sehr wichtig gewesen: Immer wieder habe es vermeintliche Tiefschläge gegeben. Denn oft hätten die SeniorInnen anderes reagiert als erwartet.

Weiterbildung Validation

Validationsanwender/in (VTI-Level 1): Fünf Wochenenden Theorie und mindestens sechs Monate Praxis mit Supervision.

Validationsgruppenleiter/in (VTI-Level 2): Drei Wochenenden Theorie, Intervision, Supervision und mindestens sechs Monate Leitung einer Gruppe. Vorraussetzung: Zertifizierung VTI - Level 1.

Validations-Teacher (VTI-Level 3: 3 Wochenenden mit Supervision und Vermittlung von Möglichkeiten, wie die Theorie der Validation pädagogisch vermittelt werden kann: Voraussetzung: Zertifizierung VTI-Level 1 und 2.

Dreitägige Basiskurse für Pflegende Angehörige (finanziert über die Pflegekasse) und für andere Interessierte (selbst finanziert).

Informationen: www.validationtegeler.de und www.pflegeimpulse.de.

Da gibt es zum Beispiel die „W-Fragen“, die dem alten, desorientierten Menschen bei der Validation gestellt werden: Sie basieren auf biografischen Informationen, die der Validierende gesammelt hat, sollen ihn zur Kommunikation bewegen und ihn aus der oft bei dementen Menschen vorhandenen Isolation herausholen.

Stets verboten ist hierbei die Frage nach dem „Warum“, denn die überfordert den dementen Menschen: Er soll ausschließlich Anteilnahme und Interesse erfahren, sein Verhalten und seine Worte sollen jedoch nicht hinterfragt werden. Hinzu kommen bestimmte „Anker-Berührungen“, die Kontakt herstellen, beruhigen und trösten sollen.

Das funktioniert aber nicht immer – und wenn der alte Mensch mit Ablehnung reagiert, kann das frustrierend sein: „Aber auch das gehört dazu, schließlich hat jeder Mensch mal schlechte Laune oder einfach keine Lust zu reden“, sagt eine der Absolventinnen. Das zu akzeptieren, müsse aber ebenfalls erst einmal erlernt werden.

Ingard Sowitzkat, die als Leiterin einer Alten-WG in Bremen ebenfalls frisch zertifizierte „Anwenderin“ ist, ist überzeugt von der Methode der Validation, die Tegeler in ihrer Einrichtung bereits seit Jahren anwendet: „Unsere Bewohner benötigen weniger Medikamente, laufen nicht mehr soviel weg und sind insgesamt ausgeglichener und zufriedener als früher.“ Und auch die Arbeit mit den Alten sei dank der Validation schöner geworden: „Ich bin überzeugt, dass Unzufriedenheit mit dem Job und Erkrankungen wie Burnout vermieden werden können, wenn es nicht nur darum geht, alte Menschen zu pflegen, sondern auch darum, sie zu verstehen.“

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