: Wie bio ist die Zukunft?
Perspektiven Große Nachfrage einerseits sowie Klimawandel, Ressourcenverlust und Hunger auf der anderen Seite bestimmen die Debatten der Ökobranche
Vom 10. bis zum 13. Februar findet in Nürnberg die Doppelmesse Biofach & Vivaness statt, die weltgrößte ihrer Art. Dort dreht sich alles um Bio-Lebensmittel und Naturkosmetik. Akteure aus aller Welt tauschen sich über die wichtigsten Entwicklungen aus. Ihre Kernthemen sind Bio-Rohstoffe, nachhaltiges Sourcing und ökologisches Wirtschaften. Das Bio von heute präsentieren über 2.400 Aussteller auf der Biofach und rund 200 auf der Vivaness. Über das Bio von morgen wird vor allem im Rahmen des Kongressschwerpunktes „Organic 3.0 – Handeln für mehr Bio“ diskutiert.
Von Annika Hennebach
Bio wächst weiter. Und gerade in Hinblick auf Nachhaltigkeit bietet die ökologische Lebensmittel- und Landwirtschaft Perspektiven. So diskutieren auf der „BioFach“ in Nürnberg internationale Akteure der Biobewegung darüber, welche Weichen aus ihrer Sicht für die Zukunft gestellt werden müssen. Deutschland ist nach den USA weltweit der zweitgrößte Markt für Biolebensmittel. Vor allem der Konsum ist gewachsen, die Produktion jedoch hinkt hinterher. „In Deutschland betrug das kumulierte Wachstum der Biomärkte seit 1999 430 Prozent (weltweit 350 Prozent). Die Produktion hier wuchs jedoch kumuliert nur 150 Prozent.“, so Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL).
„Die ökologischen Anbauflächen in Deutschland wachsen mit dem Bedarf nicht mit“, sagt auch Andreas Plietker von der „Biozentrale“, einem Bioanbieter seit den 70er Jahren. Für die Zukunft prognostiziert der Geschäftsführer, dass auch Exportmärkte an Bedeutung gewinnen werden. „Das Bewusstsein für Bioprodukte wächst auch im Ausland massiv, zum Beispiel in Asien.“
„Seit etwa 15 Jahren ist vor allem der Anbau in Deutschland im Rückstand. Da die Rohstoffe für die Befriedigung des Marktwachstums von überallher beschafft werden können, hat die Branche ein wenig verlernt, sich um die Bauern ‚um die Ecke‚zu kümmern. Man muss also wieder etwas zusammenrücken, so wie das vor 30 Jahren selbstverständlich war“, sagt Urs Niggli. Er geht davon aus, dass der Ökolandbau und der Konsum auf lange Sicht nur dann wesentlich ausgedehnt werden können, wenn sich staatliche Förderungsmaßnahmen konsequent auf hohe ökologische und soziale Leistungen und in Zukunft auch auf das Tierwohl konzentrieren.
„Wir haben eine besondere Verantwortung für die Weiterentwicklung der Biostandards, die bis in die Entwicklungsländer wirken“, sagt Peter Röhrig, Geschäftsführer vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zu Deutschlands Bio-Paraderolle. „Wir fordern, dass ein neues Biorecht besser sein muss als das jetzige.“ Ganz konkret müssten EU-Agrargelder für die Umstellung auf Bio in allen Bundesländern weiter zur Verfügung gestellt werden, um konventionellen Betrieben eine Perspektive im Biobereich zu geben, meint Röhrig.
Elke Röder, Geschäftsführerin vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN), sieht ebenfalls die Politik im Zugzwang: „Nachhaltiger Konsum geht nur zusammen mit biologischer Landwirtschaft. Daher müssen die agrarpolitischen Weichen so gestellt werden, dass die biologische Landwirtschaft sich entwickeln kann.“
Für die Agrarwissenschaftlerin hat Bio eine besondere Rolle im Klimaschutz inne: „Wenn man alles zusammenrechnet, was mit Nahrungserzeugung und -distribution zusammenhängt, dann kommt man auf ein Drittel der Treibhausgasproduktion – das ist mehr, als irgendein anderer Zweig der globalen Volkswirtschaft verursacht. Wir können die Erderwärmung nur bremsen, wenn wir die vorherrschende Landwirtschaft und Ernährung infrage stellen.“
Eine aktuelle Studie aus Nature etwa zeigt, dass Getreideernte-Einbußen durch Hitze und Dürreperioden vor allem in reicheren Ländern mit Monokulturen 8 bis 11 Prozent größer sind als in ärmeren Ländern mit kleinteiligeren, weniger intensiv bewirtschafteten Agrarflächen. Slowfood e. V. berichtet über eine neue Studie, die den drastischen Rückgang der Tier- und Pflanzenwelt durch die agrarindustrielle Landwirtschaft zeigt. Demnach waren vor 50 Jahren die Äcker noch zu 40 Prozent von Wildkräutern bedeckt, heute sind es lediglich 4 Prozent. Und in Europa gibt es 421 Millionen weniger Vögel als noch vor 30 Jahren.
„Die hochintensive agrarindustrielle Produktion mit einem hohen Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden, wie sie zum Beispiel in Deutschland oder den USA betrieben wird, verursacht massive ökologische Schäden und hat auch negative gesundheitliche Auswirkungen“, erläutert Röhrig. „Bio dagegen hält das Grundwasser sauber und mehrt die Vielfalt der Pflanzen und Tiere in der Landschaft. Biobetriebe haben häufig mehr Humus in ihren Böden und machen so vor, wie CO2 aus der Luft gebunden werden kann. Nebenbei speichern humusreiche Böden mehr Wasser und sorgen so auch in trockenen Gebieten für höhere, stabilere Erträge.“
Global betrachtet machen die Ökobauern und der Biokonsum immer noch nur ein Prozent aus. Im Klimaabkommen von Paris kommt zudem nicht einmal das Wort „agriculture“ vor, wie der BÖLW informiert. Es sind also große Aufgaben, der sich auch die wachsende, weltweit aber immer noch kleine Biobranche mit ihren Ansätzen stellen muss und will. So wie jeder einzelne Verbraucher, der mit seinem Einkauf eben doch einen Unterschied macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen