: Ostblock-Counterculture im Selbstverlag
KUNST Das in derWeserburg ansässige Studienzentrum für Künstlerpublikationen zeigt Arbeiten von Géza Pernecky aus dem „Samisdat“: Dem Ostblock-Untergrund
Géza Pernecky ist heute ein kleiner, etwas rundlicher 80-jähriger Herr. Er ist freundlich und erstaunlich wach für sein Alter. Bei der Eröffnung seiner Ausstellung in den Räumen des Studienzentrums für Künstlerpublikationen in der Weserburg Ende Januar steht der in Ungarn geborene Künstler während der Eröffnungsrede abseits, gestützt auf eine Tischvitrine. Hin und wieder unterbricht er die Leiterin des Zentrums, Anne Thurmann-Jajes, um selbst von der Entstehung seiner Druckarbeiten und Künstlerbücher aus den 1960er-Jahren im realsozialistischen Ungarn zu erzählen.
Dass er mit den Auflagen seiner Collagenhefte gegenüber den Behörden geschummelt hatte etwa, um die Zensurkontrollen zu umgehen. Kleine Bücher und Druckarbeiten hat Pernecky zu dieser Zeit so manche publiziert. Im Samisdat versteht sich, dem publizistischen Untergrund der Ostblockländer. Mit vielen seiner Künstlerfreunde stand er dabei in Kontakt und tauschte mit ihnen die kleinauflagigen Kunstwerke wie Bücher, Drucke und Briefe. Dieser internationale Austausch war für osteuropäische Künstler wie Pernecky fundamental. Sein riesiges „Softgeometry Archive“, hat er nun dem Studienzentrum übertragen. Dieses Archiv umfasst etwa 10.000 Arbeiten. Um die Erforschung und Aufbereitung dieses riesigen Konvoluts wird sich nun das Bremer Institut kümmern.
Seine eigenen Werke, die in der kleinen Bremer Schau gezeigt werden, sind witzig: als „kapitalistisch anrüchig“ hätte seine Stempelmappe von 1977 sicherlich in Budapest gegolten. Er hatte Abdrücke westlicher Flaschenböden wie Bellentines Whiskey und Finsbury Gin auf Formulare gemacht und eine Flaschenbodenkartei angelegt.
Pernecky erzählt dann auch, dass er bereits 1970 so genervt war von der ganzen Zensur und dem Zwang zur Vorsicht, dass er nach Deutschland emigriert ist. Er arbeitete als Gymnasiallehrer, später als Redakteur bei der Deutschen Welle und beim Deutschlandfunk. Bis heute lebt er in Köln.
Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen die konzeptionellen Fotoserien, von denen einige auch auf dem Teerhof gezeigt werden. Es sind meist Selbstporträts, auf denen Pernecky mit Hilfe des eigenen Körpers verschiedene Themen durchprobiert. So etwa die Vervielfältigung: Man sieht ihn dabei mit zwei Spiegeln in den Händen seinen Kopf verdreifachen oder mit zwei neuen nach weit hinten versetzten Beinen.
Eine andere Fotoarbeit zeigt ihn beim Pusten von Seifenblasen. Man sieht in ihnen das Wort „Art“. Man kann schwer sagen, ob es lustvoll oder traurig ist, der Kunst beim Platzen zusehen zu müssen. Radek Krolczyk
Die Ausstellung „Géza Perneczky – concepts like commentary“ ist bis zum 24. April im Studienzentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg zu sehen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen