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Von alter und neuer Heimat

Acryl und Öl Die leuchtenden Acryl- und Ölgemälde des syrischen Künstlers Naser Agha hängen nicht nur bei Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann. Eine Schau am Schnoor zeigt seinen Schaffensdrang

Beim Thema Flüchtlinge – da wollen viele dabei sein. So viele, dass pünktlich und zu spät Gekommende gar nicht mehr in die Galerie im Kellergewölbe des selbstverwalteten Künstlerhauses Art 15 hineinströmen können und sich bis weit in die Bremer Schnoorgasse zurückstauen. Dort feiern sie einfach Open Air, aber stilecht mit perlend italienischem Wein, orientalisch aromatisierten Teigtaschen und prasselnd bremischem Kunstszenengeplauder. Anlass ist die Vernissage leuchtender Acryl- und Ölgemälde des syrischen Künstlers Naser Agha.

Studiert hat er an der Universität der schönen Künste in Damaskus, lebte zuletzt in Aleppo, musste vor dem Krieg kapitulieren und mit seiner Familie flüchten. Die blieb in Istanbul. Agha bewältigte die lebensbedrohlichen Strapazen des folgenden Trecks nach Deutschland erst einmal allein. 2015 war er einer von 12.600 Geflüchteten, die Bremen aufgenommen hat. In einem Wohnheimzimmer lebt der 54-Jährige derzeit.

„Wir sind eine wachsende Stadt“, sagt Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne). Und drückt in ihrem Grußwort geradezu beispielhaft das aus, was alle hier vereint: endlich mal eine scheinbar problemlose Integration zum Wohle aller Beteiligten. „Nicht nur als Flüchtling, auch als Mensch und Künstler ist Naser Agha komplett bei uns angekommen“, so Stahmann. Ihr malte und schenkte der Syrer ein Bild kurz nach seiner Ankunft. Meer, Himmel, Schiff, intensive Farben. Deswegen sei sie jetzt hier, erklärt die Politikerin, wolle in den Bildern der Ausstellung mehr darüber erfahren, was der Künstler fühlt, erlebt hat und sagen will. Denn deutsche Worte dafür hat er noch nicht. Möchte auch per Übersetzerin nicht so gern über seine genauen Fluchtumstände sprechen, bestätigte aber, seine Kunst sei „ein Versuch, einen Moment der Furcht festzuhalten“. Das gelingt ihm kraftvoll, aber mit Vorsicht. „Into the unkown“ ist ein Gemälde betitelt.

Die Umrisse zweier Boote schälen sich aus einem wogenden Meer, weiß gelieren Gewitterwolken in die Szenerie, blaue Farbflächen brechen auf, toben stürmisch zur Bildmitte. Diese verwirbelnde Bündelung malerischer Energie im Zentrum des Werkes ist geradezu ein Markenzeichen Naser Aghas. Für „War and peace“ lässt er blutrote, explosionsartig geformte Farbwolken über einer pastellartig skizzierten Friedenstaubenfamilie schweben.

Von Aleppo nach Bremen

Auf „Aleppo“ zerkratzt, übermalt, verwischt der Künstler eine arabeske Collage von Fassaden, Giebeln, Fenstern seiner Heimatstadt. In einem anderen Werk löst er die Skyline der ehemaligen Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole in glühend zarter Abstraktion auf – und malt drumherum verblassende Erinnerungen an Gebäude der Stadt. Gleich daneben hängen erste Eindrücke aus Bremen: In schietwettergrau und schmuddelschneeweiß ragt herbstkahles Geäst hinein, das eine Schneise in die Rahmung fräst, die von Säulen, Statuen und gotischen Fenstern geziert wird.

Agha hat weitere Impressionen gefertigt, etwa den Silvesterfeuerwerkglanz in der Bremer City, und auch kleinformatige Werke der hiesigen Sehenswürdigkeiten. Jedes Motiv wird kunstvoll überlagert von mittelmeerwarmem Sonnenauf- oder -untergangslicht. Agha kombiniert die alte und neue Heimat. Lässt Bremen-Bilder auch mal von der Ornamentik islamischer Kunst umfließen.

Das handwerkliche Können ist frappant. Agha sucht damit einen Weg zwischen dem Dekorativen, Plakativen, Poetischen und Expressiven, vermittelt in der dunklen Unruhe einiger Exponate eine Ahnung vom Zustand innerer Zerrissenheit. Ronald Philipps, einer der Art-15-Künstler, erinnert sich an die Situation der ersten Begegnung mit Nasar Agha.

„Nicht alle haben Angst“

„Ein Energieschub rollt ja gerade auf Europa zu, Kraft überflutet Deutschland, alle haben Angst…“ „Nicht alle“, wirft Altbürgermeister Henning Scherf ein. „Ja, wir freuten uns“, sagt Philipps, „als Naser vor drei Monaten bei uns angeklopft hat. Wir haben ihm Farbe, Pinsel, Leinwände und Platz im Atelier gegeben – und er legte mit großem Schaffensdrang los.“

Fast alle der 25 gezeigten Werke sind so entstanden. Weitere sollen folgen. In seiner Heimat finanzierte Agha einst sein Leben mit der Malerei und hatte Ausstellungen in vielen arabischen Ländern. Jetzt beginnt er sein Œuvre wieder von vorn. Die Schau am Schnoor 15 ist bis zum 21. Februar zu sehen. Zur Finissage, ab 16 Uhr, will Agha live vor Publikum malen. FIS

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