Sorge um Tank Man

Fotoagentur Eine chinesische Firma hat Corbis gekauft. Was passiert nun mit den chinakritischen Bildern?

Für die Geschichtsbücher: der „Tank Man“ gegen die Panzer auf dem Tiananmen, 1989 Foto: Arthur Tsang/reuters

von Gareth Joswig

Es ist eines der berühmtesten Fotos überhaupt: Ein unbewaffneter Mann stellt sich einer Kolonne Panzer in den Weg, die in Richtung der Studentenproteste rollen. Der Unbekannte erlangte als „Tank Man“ Weltruhm, das Foto wurde zum Denkmal zivilen Protests und Symbolbild des Tiananmen-Massakers am Platz des himmlischen Friedens 1989 in Peking.

Die Rechte an dem Bild vertreibt ab sofort eine chinesische Firma. Die Visual China Group (VCG) hat die von Bill Gates seit 1989 aufgebaute Bildagentur Corbis Images aufgekauft. Die Firma hält damit Rechte an rund 100 Millionen Bildern. Gleichzeitig schloss VCG einen Deal mit Getty Images ab, die ab sofort für die Vermarktung außerhalb Chinas verantwortlich sind.

Neben den Protestbildern von 1989 enthält das Archiv einige der berühmtesten Fotos überhaupt: Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge, New Yorker Bauarbeiter, die beim Bau eines Wolkenkratzers auf einem Stahlträger über der Skyline Pause machen, und Jimi Hendrix, der in Woodstock in weißer Lederkutte seine Strat bearbeitet. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Internationale Medien befürchten nun die große Zensur. Xiao Qiang, Gründer der China Digital Times, die sich auf staatlich unterdrückte Nachrichten spezialisiert hat, hielt Sorgen für berechtigt, da chinesische Medienfirmen oft auf Staatslinie agierten. Auf Twitter kursierten Sorgen, ob Bilder der Proteste vom Tiananmen-Platz vom Juni 1989 weiterhin frei verfügbar wären.

Kristin Shi-Kupfer ist Sinologin mit dem Forschungsschwerpunkt Gesellschaft und Medien. Dass Bilder außerhalb Chinas zensiert würden, hält sie für unwahrscheinlich: „VCG ist ein Wirtschaftsunternehmen, das mit Vermarktung Geld verdienen will.“ Außerdem habe man die internationale Vermarktung der Bildrechte an Getty weitergegeben. Mit einer Zensur dieser ikonischen Fotografien im Ausland ist nicht zu rechnen, sagt die Wissenschaftlerin.

Tatsächlich nahmen 1989 viele Fotografen und Journalisten Fotos und Videos von der Szene auf. Urheber der berühmten Bilder vom Tiananmen-Protest sind demnach auch die Nachrichtenagenturen Reuters und Associated Press. Corbis sei lediglich mit der Lizenzierung der Fotos beauftragt gewesen. Reuters äußert sich nicht zur weiteren Zusammenarbeit mit VCG. Craig Peters, Vizepräsident von Getty Images, hält die Sorgen, dass einige der politisch geladenen Bilder entfernt werden können, für übertrieben: „Das kontrollieren die Urheber.“

Zuversichtliche Fotografen

Jacques Langevin, einer der Fotografen, die 1989 am Tiananmen-Platz Bilder festhielten, sagte dem Time Magazine zur Kontroverse: „Corbis hat einige meiner Fotos digitalisiert und das Recht, sie zu verkaufen, aber ich bin der rechtmäßige Besitzer und könnte sie aus den Archiven entfernen, wann immer ich will.“ Auch Getty Images zeigte sich zuversichtlich in Bezug auf die ertragreiche Partnerschaft: „Wir erwarten, dass die VCG die Vermarktung wie unter Bill ­Gates weiterführt.“

Nur in China sind die Bilder vom „Tank Man“ weiterhin nicht zu sehen. Dort wird sich laut Sinologin Shi-Kupfer auch nicht viel ändern: „Politisch brisante Bilder werden in China ohnehin zensiert. An diese Fotos kommt man wie bisher nur unter Umgehung der „great firewall“.

Beispiele für direkte und indirekte Zensur gebe es auch im Ausland, räumt Shi-Kupfer ein: „Die US-amerikanische NGO Freedom House berichtet von chinesischen Botschaftsmitarbeitern im Ausland, die auf Journalisten zugingen und empfehlen, etwa eine Sendung über Tibet lieber aus dem Programm zu nehmen. Und Sony hat offenbar in vorauseilendem Gehorsam aus dem Film ‚Pixels‚eine zunächst laut Script geplante Attacke auf die Große Mauer herausgeschnitten, um sich ein mögliches Screening auf dem chinesischen Filmmarkt nicht zu verbauen.“

Ein Verschwinden des „Tank Man“ hält auch sie für unmöglich: „Diese Bilder sind im kollektiven Gedächtnis verankert und tausendfach im Internet gespeichert, auch ohne Lizensierungsrechte. Selbst wenn VCG es wollte, diese Bilder lassen sich nicht verdrängen.“