piwik no script img

Hummeln haben mehr Tricks auf Lager

Bestäuben Sie haben viele Vorteile gegenüber Bienen: Beim Gemüseanbau wird immer mehr auf Hummeln als Bestäuber gesetzt. Was rein ökologisch klingt, zieht auch die Kritik von Tierschützern auf sich. Ein Besuch in einem brandenburgischen Gewächshaus

von Jana Tashina Wörrle

Kilometerweit ziehen sich Gewächshäuser durch die brandenburgische Landschaft. Der Anbau von Tomaten erfolgt selten im Freiland – und das, obwohl die Pflanzen eigentlich auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen sind. In Wollup nahe der polnischen Grenze schreitet Sebastian Beitz die langen Reihen mit blühenden Tomatentrieben ab. Immer wieder kontrolliert er die Blüten. Haben sie kleine braune Stellen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass daraus große, gleichmäßig wachsende Früchte werden. „Das sind die Bissspuren der Hummeln. Wenn sie an den Pflanzen waren, wird die Ernte gut“, sagt der Betriebsleiter der Havelia GmbH, einem regionalen Gemüsegroßbauer aus Brandenburg.

In den Gewächshäusern der Firma, die sich über eine Fläche von 6 Hektar erstrecken, siedelt Beitz gezielt Hummeln an. Diese kommen verpackt in Pappkartons mit ein wenig Zuckerlösung als Wegzehrung per Post. Er stellt sie dann zwischen die Tomatenpflanzen, öffnet das Flugloch und macht sich schnell aus dem Staub. „Nach dem Transport sind sie manchmal ein bisschen aggressiv“, sagt Beitz, der die kleinen Helfer allerdings nicht mehr missen möchte. Seine Rispentomaten sollten pro Fruchtstand jeweils acht möglichst gleich große Früchte tragen – so will es der Markt. Rispen, die nicht von einer Hummel bestäubt wurden, erkenne man schnell an ihrer ungleichen Form. Und so kreisen über den Abertausenden gelben Tomatenblüten unzählige Hummeln.

Für Bienen sind Gewächshäuser zu eng und zu feucht

Obwohl die Honigbiene als effizienter Bestäuber gilt, könnte man sie hier nicht einsetzen. Der geschlossene Raum eines Gewächshauses schreckt sie ab – zu eng und zu feucht ist es hier. Bienen orientieren sich zudem stark am Sonnenstand, was die Reflexionen an den Glaswänden erschweren. Hummeln orientieren sich fast ausschließlich an Landmarken. Und sie geben sich mit einem begrenzteren Sammelumkreis zufrieden. Außerdem kommen durch ihre spezielle Technik besser an den Nektar heran. Sie beißen die Blüten einfach von außen an und schütteln den Pollen heraus.

Unternehmen wie die niederländische Firma Koppert haben sich deshalb auf die Zucht von Hummelvölkern für den professionellen Gemüseanbau spezialisiert. Kunden sind sowohl konventionelle Betriebe wie Havelia als auch Biolandwirte und einige private Obstbauern. Allein Koppert liefert im Jahr rund eine Million Hummelvölker weltweit aus.

Während der Blüh- und Erntesaison stellt Sebastian Beitz alle zwei Wochen zwei neue Hummelvölker in jedes Gewächshaus. „Im Sommer brauche ich mehr Hummeln, um die Bestäubung zu sichern“, sagt der Gemüsegärtner. Im Herbst sammelt er die leeren Kartons ein, denn anders als bei den Bienen überwintern bei den Hummeln nur die Königinnen (siehe Kasten).

Hummeln im Winter

Anders als bei den Honigbienen, die auch über den Winter als ganzes Volk zusammenbleiben, überwintern Hummelköniginnen in freier Wildbahn allein. Sie sind die Einzigen, die von einem Hummelvolk den Winter überstehen. Alle anderen Hummeln eines Volkes sterben im Herbst.

Wenn es draußen kalt genug ist, graben sich Hummelköniginnen mindestens 20 bis 30 Zentimeter tief in der Erde ein. Dort warten sie, bis die Temperaturen wieder steigen, beziehungsweise sie halten eine Winterruhe. Um diese Zeit zu überstehen, haben sie sich vor dem Frost einen dicken Fettkörper zugelegt.

Herrschen derart milde Temperaturen wie in diesem Jahr bei uns noch im Dezember oder jetzt schon wieder Ende Januar/Anfang Februar, dann bleiben die Hummeln aktiv und fliegen weiter umher – oder wachen früher auf. (jtw)

Dem Eindruck, dass die Hummeln so zu einer Art Einwegware werden, kann sich auch Beitz nicht verwehren. Doch er sieht auch einen ökologischen Faktor. Chemische Mittel werden bei Havelia nur noch im Notfall verwendet, seit die Hummeln die Bestäubung übernommen haben. „Wir gehen damit der ganzen Rückstandsproblematik aus dem Weg“, erklärt Beitz, der neben den Hummelvölkern hin und wieder auch Raubwanzen und andere Nützlinge in seinen Tomatenhäusern aussetzt. „Die Nützlinge fressen die Schädlinge. Eigentlich ganz schön brutal“, sagt der 32-Jährige lachend.

Bei Koppert gibt es Hummelboxen für jeden Bedarf, unter den Namen „Natupol“ als Standardkiste, wie sie auch bei Sebastian Beitz in Wollup steht, „Wire­less Beehome“ als sensorgesteuerte Variante, mit der man den Hummeln einen Tag-Nacht-Rhythmus vorgeben kann, „Minipol“ als Hummel-Ausstattung für kleine Gärten und einige mehr. Die Firma optimiert ihre „Produkte“ stetig. Denn auch die Landwirtschaft entwickelt sich ständig weiter und mit ihr die chemischen Mittel, die hier zum Einsatz kommen. Genauso wie Bienen sind auch Hummeln nicht immun dagegen, sondern leiden unter dem Einsatz von Pestiziden, Fungiziden und anderen Spitzmitteln. An dieser Stelle sind sich beide ähnlich.

In der Natur und speziell beim Einsatz in der professionalisierten Landwirtschaft unterscheiden sich ihre Einsatzgebiete stark. Für Sven Behr, Hummelforscher bei Koppert im nordrhein-westfälischen Welle, sind sie keine Konkurrenten beim Nektar- und Pollensammeln. „Ich nenne es perfekte Ergänzung“, sagt Behr, der in seiner Freizeit selbst seit vielen Jahren imkert.

Bienen sind immer auf der Suche nach einer Tracht, die möglichst viel Nahrung für das gesamte Volk liefert, und legen dafür manchmal weite Strecken zurück. Hummeln fliegen dagegen meist nur in einem Umkreis von 150 Metern und sammeln alles, was sie hier an Nektar und Pollen finden können. Sie kennen auch nicht die Blütenstetigkeit der Honigbiene inklusive Schwänzeltanz, sondern grasen alles ab, was ihnen auf dem Sammelflug begegnet. „Das freut den Bauern“, sagt Behr. Außerdem sind sie schwerer, haben einen längeren Rüssel und können so Nektar und Pollen auch von Pflanzen nutzen, an deren Inneres Bienen nicht herankommen. „Wenn sich eine Hummel auf ein Blütenblatt setzt, bekommt sie den Kelch weiter auf. Manchmal knabbert sie die Blüte aber auch von außen an oder setzt sie in Schwingung“, sagt Behr. Hummeln haben da ihre Tricks.

Hummeln besser nicht im Freilandanbau einsetzen

Sie kommen verpackt in Pappkartons mit Zuckerlösung als Wegzehrung per Post

„Hummeln sind nicht dumm“, widerspricht auch Melanie von Orlow dem oft gehörten Vorurteil. Die erfahrene Wildbienenexpertin vom Nabu Berlin findet es gut, dass die Hummelzucht in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht hat – allerdings nicht, weil dadurch noch mehr Hummeln für die Bestäubung gezüchtet werden, sondern weil man so mehr Kenntnisse über die Arten erwirbt. Der Einsatz von Hummelnestern in Gewächshäusern sei ­weitgehend unproblematisch, da die Obst- und Gemüsebauern hier kaum Alternativen zur effektiven Bestäubung hätten.

Dass allerdings auch immer mehr Hummeln im Freilandanbau eingesetzt werden, sieht sie kritisch: „Zum einen werden ortsfremde Hummelarten verbreitet, und zum anderen nehmen die Bauern auf diese Einwegbestäuber weniger Rücksicht als auf imkerlich gepflegte Bienenvölker, für die womöglich dann noch Schadenersatz zu bezahlen ist.“ Zudem könnten Hummeln im Freiland invasive Arten bestäuben und zu deren Verbreitung beitragen.

Probleme gibt es dort auch mit Parasiten – allerdings bislang nicht in Deutschland. Forscher der Universitäten Leeds, Sussex und Stirling fanden anhand von DNA-Untersuchungen heraus, dass ein Großteil der nach Großbritannien eingeführten Hummelvölker mit Parasiten belastet ist, die dann auch auf die wilden Hummeln übertragen werden könnten.

Hierzulande ist der Freilandeinsatz aber noch kein großes Thema, doch er nimmt zu. „Zu günstig“ seien die Hummeln, da sie oft in Ländern gezüchtet werden, wo weniger strenge Vorgaben beim Artenschutz bestehen. „So werden Hummelarten über den ganzen Erdball verteilt, ohne dass jemand erforscht hat, ob sie mit dem Klima und dortigen Schädlingen klarkommen“, kritisiert Melanie von Orlow. Heimische Arten würden so mehr und mehr verdrängt, und das unter dem Deckmantel von Bio & Co.

Diesen Vorwurf wehrt Sven Behr ab. Obwohl weltweit ungefähr 300 Hummelarten bekannt sind, setze Koppert in Europa ausschließlich auf die dunkle Erdhummel (Bombus terrestris), die hierzulande zu Hause ist. Angepasst an die Erfordernisse der Gewächshäuser würden die gezüchteten Hummelkolonien entsprechend veterinärmedizinisch überwacht, bevor sie auf Reisen gehen.

Einsatz von Hummeln ist zur Routine geworden

Sebastian Beitz kann sich gut an die Erzählungen seines Vorgängers im Betrieb erinnern, der noch durch die Reihen im Gewächshaus ging, um die Blüten zu schütteln und so zu bestäuben. Für ihn und immer mehr andere Gemüseanbauer ist das Aufstellen der Hummelvölker zur Routine geworden: „Dass die Hummeln in unserer Branche beliebt sind, sieht man auch am Preis. Der ist in den vergangenen Jahren stark gesunken“, sagt Beitz.

Dann rückt er die Klappe an einer Kiste zurecht, damit die Hummeln besser ausfliegen können, und wendet sich wieder den gelben Blüten mit den kleinen braunen Flecken zu. Ob Beitz jetzt schon an die erste Ernte des Jahres denkt?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen