piwik no script img

Die Raumklang-Guerilla

EXPERIMENTE Auf der Suche nach einer Vielstimmigkeit: Dafür erweitert die in Berlin lebende Trompeterin Liz Allbee ihr Instrument in den Raum hinein. Heute am Samstag ist sie beim eröffnenden Konzert des CTM-Festivals mit von der Partie

von Franziska Buhre

So muss sich eine Expedition in unerforschte Territorien anhören: Aus einem unsichtbaren Schlund dringt tiefes Fauchen, ein Luftzug weht ersticktes Quäken herüber, Wirbeltiere rufen ihre Warnlaute ins Nirgendwo, ein formloser Organismus seufzt dumpf vor sich hin, während andere Spezies nach ihren Artgenossen wimmern.

Die US-Amerikanerin Liz Allbee besiedelt in ihrem aktuellen Solo-Projekt Imaginary Being den Boden, das Unterholz, das labyrinthische Geäst ihres akustischen Habitats mit einem Vielklang unwirklicher Kreaturen. Dafür bestückt sie die drei Ventile ihrer Trompete mit kleinen Trichtern aus Metall, diese drei Öffnungen und den Schallbecher versieht sie mit speziellen Mikrofonen. Ihr Atem, den sie tonlos und mit Stimmlauten, mit und ohne verschiedene Mundstücke durch das dünne Messingrohr schickt, zirkuliert und entweicht durch vier Kanäle, die wiederum mit vier Lautsprechern korrespondieren.

Stimme und Raum

Diese quadrofonische Trompete hat Allbee selbst entwickelt, um so ihre Stimmen zu verräumlichen. Stimme und Raum sind die beiden Koordinaten von Allbees musikalischer Laufbahn, die sie 2009 nach Berlin geführt hat. Hier kann sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen, statt Musik nur neben einem Erwerbsjob betreiben zu können, wie in den USA.

Geboren und aufgewachsen ist die heute 39-Jährige im ländlich geprägten Vermont, umgeben von Großstadtflüchtlingen mit gegenkulturellen Lebensentwürfen. Einer davon ist elektronischer Musiker, er gibt ihr die erste Trompete. Die spielt sie eine Weile neben dem Altsaxofon, Letzteres verschwindet wieder, die Trompete bleibt präsent in ihrem Leben.

Sie studiert bildende Kunst am San Francisco Art Institute und Medienkunst am Mills College in Oakland. Ohne Instrument, Aufnahmegeräte oder Zeichenstifte fährt sie jedes Jahr in eine Wüste, jedes Mal in eine andere. „Ich habe angefangen, über Zeit nachzudenken, als ich mit 19 zum ersten Mal in der Wüste war, erzählt Allbee beim Gespräch in ihrem Neuköllner Probenraum. „Das war der Beginn sowohl meiner visuellen als auch musikalischen Praxis. Die Wüste hat beides miteinander verknüpft.“

Über ihr Verhältnis zur Trompete sagt sie: „Das ist eine merkwürdig ambivalente Beziehung. Als ich mehr visuelle Kunst machte, bleib sie an mir hängen und ich musste mich fragen: Spiele ich dieses Ding? Sie ist ein mächtiges Objekt in meinem Leben und wirklich meine Stimme.“

Mit dem Keyboarder Jason Stamberger spielt Allbee ab 1995 im Duo, ein paar Jahre später gründen sie mit dem Multiinstrumentalisten Chris Cones und dem Keyborder Chris Rolls die Band Le Flange Du Mal. Alle vier singen und fahren zusätzlich ein Arsenal an Schlaginstrumenten, Orgel, Gitarre und Electronics auf. Art-Punk beschreibt für Allbee am ehesten, was diese Musik ausmacht. Jüngst ist ein Album mit bislang unveröffentlichten Songs erschienen. „Carrion, My Wayward Son“ entlädt in Texten und Lärm unbändigen Zorn, der einen beim Zuhören gefangen nimmt.

Abenteuerliches beim CTM

Liz Allbee ist Teil des achtköpfigen Ensembles, das am Samstag um 19 Uhr im HAU1 „For the Right Red Hand“ von Rabih Beaini aufführen wird – beim Eröffnungskonzert vom CTM-Festival.

Diesjähriges Thema des „festival for adventurous music and related arts“ ist „New Geographies“, ein Terrain, das bis zum 7. Februar mit seinen zusammenbrechenden Grenzen und sich neu formenden Topografien durchmessen werden soll, an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichen Zugriffen: mit abenteuerlustiger Musik, Diskursen, einer Ausstellung und anderem mehr. Programm: www.ctm-festival.de

Abseits des CTM-Festivals ist Liz Allbee am 6. Februar im Duo Pivot mit Chris Heenan (Kontrabassklarinette) im West Germany, Skalitzer Str. 133, zu hören.

Der krachende, das Album durchziehende Unmut über politische Entwicklungen hat einen Hintergrund, die Terroranschläge vom 11. September 2001. Allbee war an diesem Tag in New York, über die Folgen sagt sie: „Nach 9/11 wurde die Politik, die ganze Welt um dich herum plötzlich so beängstigend simpel und totalitär. Du warst mittendrin und fühltest dich mitschuldig daran – auf diesem Gefühl basieren viele der Texte. Ich fragte mich damals, was ich in diesem Land noch mache.“

Als Gast der kalifornischen Noise-Band Hans Grüsel’s Kränkenkabinet schlüpft sie zunächst in Röckchen und überdimensionale Masken, um deren bizarren Schwarzwald-Fetischismus in aufwendigen Dekorationen – Kuckucksuhren inklusive – live zu performen.

Heute am Samstag ist Liz Allbee mit ihrer Trompete beim Eröffnungskonzert des CTM-Festivals zu hören – bei dem sie bereits 2007 zum ersten Mal auftritt. Und von ihrer musikalischen Vielseitigkeit zeugen auch die Konzerte, die sie in den Jahren darauf mit Neung Phak in Berlin gibt, einer Band, die Cover amerikanisch beeinflusster Popmusik der 60er Jahre aus Südostasien spielt.

Derzeit arbeitet sie mit dem Gitarristen und Technologietüftler Sukandar Kartadinata an einer kabellosen Verbindung von Tonabnehmer und Lautsprecher. Jede Saite und jedes Ventil korrespondiert dann mit der Oberfläche, auf welcher das handtellergroße Gerät angebracht wird. „Eines Tages“, sagt Allbee, „sah ich den Bus M29 und dachte, genau den will ich spielen. Die Lautsprecher an den Fenstern auf dem Oberdeck anbringen, fünf Stationen lang spielen und dann zum nächsten Bus rennen.“ Auf diese Sound-Guerilla dürften nicht nur Fahrgäste gespannt sein.

Le Flange Du Mal: „Carrion, My Wayward Son“ (ChmafuNocords/Resipiscent Records)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen