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Meisterin des Universellen

Star Mit Millionen von Fans ist die ewig 16-jährige Hatsune Miku wohl die berühmteste digitale Popikone der Welt. Die diese Woche anlaufenden Festivals CTM und transmediale präsentieren eine exklusive Performance

Hatsune Miku steht nicht zuletzt für eine gelungene Fan-Partizipation

von Philipp Rhensius

Die Popmusik lebt seit jeher von einem paradoxen Versprechen. Sie ist in der Lage, die Gegenwart zu transzendieren und uns mit einer besseren Zukunft zu verbinden. Sei es mit einzelnen Künstlern wie David Bowie und seinem berühmten Alter Ego Ziggy Stardust aus dem Jahr 1972 oder mit ganzen Musikstilen wie der elektronischen Clubmusik Anfang der 1990er-Jahre. Doch andererseits haftete den dahinterstehenden Personen stets etwas Unüberwindbares an: die Sterblichkeit.

Die Zukunft des Pop, so ließe sich spekulieren, liegt daher nicht im Fleischlichen, sondern im Digitalen. Der japanische Popstar Hatsune Miku ist das wohl aktuell beste Beispiel. Denn sie ist in einem wichtigen Aspekt allen anderen weit voraus. Sie ist kein Mensch, sondern eine virtuelle Figur. Mit ihren Millionen von Fans und YouTube-Videos ist sie wohl der berühmteste nichtmenschliche Popstar der Welt. Denn während hinter anderen digitalen Popstars wie den Gorillaz oder Daft Punk echte Menschen stehen, ist das bei Miku nicht der Fall.

Wie die meistens Popstars bündelt die nie alternde 16-Jährige mit den türkisfarbenen Haaren und dem überspitzt mädchenhaftem Auftreten nicht nur allerlei Sehnsüchte, sondern auch wirtschaftliche Interessen. Mit dem Unterschied, dass sie bei weitem das übertreffen, was reale Menschen zu leisten in der Lage wären. Miku ist ein Produkt des japanischen Unternehmens „Crypton Future Media Inc“ und wurde 2007 ursprünglich als Werbemaskottchen für die Stimmsynthesizer-Software Vocaloid entwickelt. Der japanische Mangazeichner Kei entwarf die passende Figur.

Dass die Beliebtheit der Figur ein solches Ausmaß annehmen würde, hätte wohl niemand geahnt. Denn Miku ist inzwischen so etwas wie eine Art Virus, das sich sowohl in die Köpfe ihrer Rezipienten als auch in die Bildschirme dieser Welt eingepflanzt hat. So leiht sie nicht nur Hunderttausenden von Songs ihre süß-klebrige Stimme oder taucht als Avatar in Computerspielen auf, sie ist auch ein Produkt ihrer Fans – und damit ein leuchtendes Beispiel für die immer populärer gewordene Sharing- und Teilhabekultur. So steht Miku auch für eine gelungene Fan-Partizipation, dieses im Zeitalter des Internets explodierte Täuschungsmanöver gewitzter Unternehmensstrategen. Kurz nach der Veröffentlichung des Synthesizers wurde die Figur unter einer speziellen Creative-Commons-Software freigegeben. Seitdem laden Fans eigens komponierte Songs mit Videos von ihr auf YouTube oder der Webseite Piapro.jp hoch.

Inzwischen kursieren mehrere Millionen Songs, Adaptionen und Videos von Miku. Das hat einen nicht unerheblichen Rückkopplungseffekt auf die Konzerte. Denn es kann durchaus passieren, dass Fans dort ihren „eigenen“ Song hören. Auch stilistisch ist Hatsune nicht festgelegt. Denn während sie von Polka über Power Metal bis hin zu Noise vieles bedient, ist die Konstante ihre hohe, leicht babyhafte Gesangsstimme. Das macht sie zur Meisterin des Universellen.

Das haben sich wohl auch die Produzenten der exklusiven Sonderperformance „Still Be Here“ gedacht, die sich dem Phänomen in einer Kollaboration der eng verknüpften Festivals „transmediale“ und „Club Transmediale“ widmen. Das Gemeinschaftswerk der Künstlerin Mari Matsutoya, der US-amerikanischen Musikproduzentin Laurel Halo, des Choreografen Darren Johnston, der virtuellen Künstlerin LaTurbo Avedon und des Digitalkünstlers Martin Sulzer spürt den Identitäten des Popstars nach.

Die aufwendig, mithilfe von Collagen produzierte 3-D-Performance erforscht Miku als „Kristallisation kollektiven Verlangens, verkörpert durch ein virtuelles Idol mit türkisfarbenen Haaren“, heißt es in der offiziellen Ankündigung. Intention sei es, Miku als perfekten Star zu dekonstruieren – ist Miku doch vor allem eine leere Hülle, auf die Menschen ihre individuellen Fantasien projizieren können. Dass hinter einem solchen Konzept eine enorme Macht steht, indem sie Menschen aus aller Welt miteinander verbindet, steht außer Frage.

„Still Be Here“ löst damit auch den Anspruch der beiden Festivals ein. Denn während das CTM-Festival im Rahmen des Schwerpunktthemas „New Geographies“ verspricht, vor dem Hintergrund globaler Konfliktsituationen das Thema Grenzen zu reflektieren, indem sie das Polyzentrische und Hybride stark macht, beschäftigt sich die transmediale unter dem Begriff „Conversation piece“ mit den Ängsten des Spätkapitalismus und der Ambiguität digitaler Kultur. Bei aller Sympathie zu zeitgenössischen popkulturellen Phänomenen: Wäre es nicht unheimlich, zugunsten der Unsterblichkeit in Zukunft nur noch die Musik von digitalen Kunstfiguren zu hören?

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