: Der oder die Hase?
Büffeln In der Stadtbibliothek Osnabrück bringen Freiwillige Geflüchteten Deutsch bei, bevor sie eine offizielle Duldung haben. Dafür wurde die Einrichtung ausgezeichnet
Von Thomas Wübker
Gerade für Geflüchtete sind sie wichtige Orte: öffentliche Bibliotheken. Dort gibt es nicht nur Bücher und freies WLAN, sondern auch vielfältige Integrationsangebote. Die Stadtbibliothek Osnabrück wurde kürzlich für ihr „überzeugendes Konzept der Integration von Zuwanderern“ mit dem Bibliothekspreis 2015 der niedersächsischen VGH-Stiftung ausgezeichnet.
In der Bibliothek gibt es Rechnerplätze. So können die Geflüchteten den Kontakt zu ihren Familien in den Heimatländern halten. Natürlich stehen in den Regalen aber auch Bücher, Comics und CDs in Arabisch, Russisch oder Türkisch – und spezielle Sprachlern-Materialien. Die können die Migranten zur Vorbereitung auf Prüfungen oder den Einbürgerungstest nutzen. Ein Integrationslotse der Osnabrücker Bibliothek hat für die Geflüchteten einen besonderen Rundgang durch die Bibliothek erarbeitet. Der komme gut an: Jeder Neubürger erhält von der Kommune ein Gutscheinpaket und kann unter anderem das Bibliotheksangebot für drei Monate kostenlos nutzen.
Besondere Bedeutung habe der kostenlose Sprachunterricht durch Ehrenamtliche, sagt Bibliotheksleiterin Martina Dannert. „Ich koche, wir kochen. Potatoes oder so“, sagt gerade eine Frau an einem der hinteren Tische in einer Ecke des Lesesaals.
Die pensionierten Lehrerinnen Mechtild Seling, Jutta Poggemann und Silvia Baumann sitzen dort mit den Brüdern Ahmad und Anas aus Syrien sowie Jamal und Jalal aus dem Sudan. Die drei Frauen treffen sich jeden Donnerstag mit Flüchtlingen in der Bibliothek und bringen ihnen Deutsch bei.
Die drei älteren Frauen haben alle an einem katholischen Gymnasium in Osnabrück unterrichtet. Als sie bei einem Info-Abend der Stadtverwaltung hörten, dass es in der Stadtbibliothek Sprachkurse für Flüchtlinge gibt, wollten sie helfen. Es ist jedoch kein Frontalunterricht, wie die drei Frauen es früher mal gemacht haben. „Es ist eher ein Konversationskurs“, sagt Poggemann. „Wir bringen ihnen die alltäglichen Dinge des Lebens bei“, ergänzt Baumann.
Die Größe der Gruppe schwankt. Mal sind die Mitglieder weiter in andere Städte gezogen, mal müssen Behördengänge erledigt werden. Wer kann, kommt aber. Baumann sagt, dass es Frauen in den anderen Kursen gebe, die fünf Euro für den Bus bezahlten, um zu den Sprachkursen zu fahren. „Das ist für jemanden, der mit 180 Euro im Monat leben muss, sehr viel.“ Ihre Schüler zeigten auch beim Lernen großes Engagement: „Sie sind sowas von wissbegierig.“ Ahmad und Anas, Jamal und Jalal wollen unbedingt Deutsch lernen. Ihre Nachnamen wollen sie nicht sagen und auch nicht fotografiert werden. Sie haben Angst, dass die syrische beziehungsweise die sudanesische Regierung ihren Familien etwas antut.
Der 23-jährige Jamal hat in Darfur als Gabelstaplerfahrer sein Geld verdient. „Germany good. Mercedes, BMW, VW“, sagt er. Von einem guten Job in Deutschland sind er und die anderen noch weit entfernt. „Deutsch ist sehr schwierig“, sagt Ahmad. Das ist vor allem in Osnabrück so, wo der Hase nicht nur einen männlichen, sondern auch einen weiblichen Artikel besitzt. Der Fluss, der durch die niedersächsische Stadt fließt, wird die Hase genannt. Auf englisch heißt das: „A River called Rabbit.“ Die vier Männer gucken schief und lachen unsicher. So richtig verstanden haben sie das nicht.
Trotz solcher sprachlichen Herausforderungen sagt Ahmad, dass er sich in Deutschland oft langweile. Bis auf den Sprachunterricht gebe es wenig zu tun. Und den ganzen Tag Deutsch zu lernen – das gehe nicht, sagt er. „Wir schauen Fernsehen oder gehen spazieren.“
An den Kursen nehmen Menschen teil, die geduldet sind oder deren Asyl-Anträge noch bearbeitet werden. „Sie haben keinen Anspruch auf einen Deutschkurs“, sagt Bibliotheksleiterin Dannert. Den bekämen sie erst, wenn ihre Asylanträge bewilligt werden. „Wir machen auch keine Sprach-, sondern Kommunikationskurse, für die es kein Zertifikat gibt“, erklärt sie. Das Erlernen der Schriftsprache gehört in der Regel nicht dazu.
„Wir wollen den Menschen die Möglichkeit geben, vor Ort Kontakte zu knüpfen“, sagt Dannert. Das sei wichtig, um den Flüchtlingen zu signalisieren, dass sie willkommen und in Sicherheit sind – und ein schneller Weg zur Integration.
Dass die Sprachkurse ausgerechnet in der Stadtbibliothek stattfinden, sieht Dannert pragmatisch. „Wir haben hier das Material und die Ehrenamtlichen.“ Menschen, die sonst Kindern vorgelesen haben, helfen nun Flüchtlingen beim Einstieg in die deutsche Sprache. „Das ist spannend für beide Seiten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen