: Warten aufs Weltende
AUTOBIOGRAFIE Popstar Elvis Costello schildert in „Unfaithful Music“ kurzweilig seinen Wandel vom New-Wave-Rüpel zum Rock-’n’-Roll-Universalgelehrten
von Noel Rademacher
David Lee Roth, der blondgelockte Countertenor der US-Hardrockband Van Halen, erblasste vor Neid: „Musikkritiker hassen mich und lieben Elvis Costello – weil sie alle aussehen wie er.“ Besser kann man das seltsame Phänomen des Briten mit der Knollennase und der Knödelstimme kaum auf den Punkt bringen. Es war von Anfang an klar, dass Elvis Costello nicht als Posterboy-Teenie-Schwarm funktionierten würde. Und so wurde das Image des Weirdos sein Markenzeichen: Angestellten-Look, billige Anzüge, mit Anfang 20 schon Geheimratsecken, dicke Hornbrille. Dazu der Ruf als gefürchteter Provokant und Misanthrop, dessen Motto lautete: „I wanna bite the hand that feeds me.“
Bloß keine Lebensbeichte
Doch obwohl Declan Patrick MacManus, wie Elvis Costello mit bürgerlichem Namen heißt, in seiner inzwischen fast 40-jährigen Karriere keinen einzigen Nummer-1-Hit hatte, gilt er als eine der profiliertesten Persönlichkeiten im Showgeschäft. Er hat die höchsten Weihen erhalten, die sich ein Popstar erhoffen kann: die Aufnahme in die „Rock and Roll Hall of Fame“ in Cleveland, einen Grammy und eine Oscar-Nominierung, Überraschungsauftritte in der US-Fernsehserie „Treme“. Und nun hat er mit „Unfaithful Music“ auch noch seine Autobiografie vorgelegt. Ein Ziegelstein von einem Buch, fast 800 Seiten dick. Der Titel lässt sich in etwa mit „Untreue Musik“ übersetzen, wobei im englischen Original noch der Zusatz „& Disappearing Ink“ steht, also die Zaubertinte, die nach einiger Zeit wieder unleserlich wird.
Fast scheint es also, als wolle Costello schon im Titel klarstellen, dass sich Leser von dem Buch bloß keine Lebensbeichten und endgültigen Wahrheiten erhoffen dürfen. In letzter Zeit erliegen ja bekanntlich viele Säulenheilige des Pop der Versuchung, das eigene Leben in schriftlicher Form Revue passieren zu lassen. Seit es Bob Dylan („Chronicles“) und Patti Smith („Just Kids“) gelang, für ihre Memoiren auch von der Literaturkritik gefeiert zu werden, scheinen schriftstellerischen Ambitionen keine Grenzen gesetzt. Zuletzt bestand Morrissey darauf, dass seine Erinnerungen in der ehrwürdigen Reihe Penguin Classics herausgegeben werden.
In der Tat hätte Costellos Autobiografie ein spannender Entwicklungsroman werden können: Wie aus dem aggressiven New-Wave-Rüpel, der vom US-Fernsehen mit einem jahrzehntelangen Auftrittsverbot belegt war, ein respektierter Elder Statesman des Pop wurde, der im Weißen Haus vor Präsident Obama ein gediegenes Geburtstagsständchen für Paul McCartney singt. Sein Buch, das übrigens ohne Ghostwriter verfasst ist, liest sich in weiten Strecken als wildes Durcheinander, das keinerlei Chronologie folgt. Costello springt von einer Anekdote zur nächsten und auf der Zeitebene vor und zurück und manchmal fällt es selbst dem fachkundigen Leser schwer, den roten Faden zu verfolgen. Das macht aber nichts, denn Costello erzählt sehr unterhaltsam und scheint nur manchmal mit sich etwas ungeduldig zu werden: „Das Problem mit autobiographischen Schwarten wie dieser hier ist“, murmelt er auf Seite 449 zu sich selbst, „dass man irgendwann bei diesem Gedanken ankommt: Die ganze Sache ist mir eigentlich schnurz.“
Richtig Fahrt nimmt „Unfaithful Music“ bei der Beschreibung der ersten US-Tourneen 1978 und 1979, die Costello als 24-Jähriger mit seiner kongenialen Begleitband, den Attractions, unternimmt. Schwankend zwischen großspurigem Auftreten und Ehrfurcht fahren die aufgedrehten Briten im klapprigen Tourbus durch den Bible Belt, spielen in kleineren bis mittleren Clubs und lassen sich an den Hotelbars volllaufen. Dann passt der konfuse Erzählstil zu den slapstickhaften Episoden – die Pointen sitzen.
Für einen Moment sieht es so aus, als würde aus dem jungen Mann mit dem schmissigen Künstlernamen, der 1954 in London geboren wurde, der nächste Superstar werden, die Ikone der New-Wave-Bewegung. Doch bei einem Besäufnis in einer Hotelbar in Columbus, Ohio, legt er sich mit Musikern der Stephen Stills Band an und lässt rassistische Äußerungen über Ray Charles und James Brown vom Stapel. Der Vorfall gelangt an die Presse und sorgt in den USA für einen Eklat, sodass Costellos Karriere vor dem Aus steht.
Wie es ihm dennoch gelingt, diesen Tiefpunkt zu überstehen und sich noch einmal neu zu erfinden, beschreibt er in „Unfaithful Music“ als seine größte Lebensleistung. Er lernt die Geschichte der schwarzen Musiker zu respektieren, entsagt dem Alkohol und bringt sein Privatleben in Ordnung. Außerdem bringt sich Costello das Schreiben von Partituren bei und holt seine Fahrprüfung nach.
Man kann seine vielen Flirts mit den unterschiedlichsten Musikern und Stilen, die er in den letzten Jahrzehnten unternommen hat, beliebig finden oder prätentiös. Doch gerade in den USA ist er mittlerweile nicht nur vollständig rehabilitiert, sondern genießt höchsten Respekt in den Kreisen des Pop-Establishments. Ihm mag es am Charisma der ganz Großen fehlen. Aber gerade diese schätzen offenbar seine verlässliche Arbeitskraft und sein Talent, in kürzester Zeit Auftragsarbeiten abzuliefern. Unzählige Kollaborationen, wie die mit Paul McCartney, Burt Bacharach, Allen Toussaint oder dem Brodsky Quartett, zeugen davon.
Provokation des Punk
In der Pop-Geschichtsschreibung wird Elvis Costello wohl vor allem für sein Frühwerk als New-Wave-Ikone in Erinnerung bleiben. Als er mit Songs wie „Waiting for the End of the World“ die Provokation des Punk mit schmissigen Akkordfolgen und cleveren Texten in die Charts brachte. Doch er selbst erinnert sich an die frühe „Ich war jung und betrunken“-Phase lieber nicht so gerne zurück. Er ist heilfroh, dass er seinem eigenen Image entkommen ist.
Elvis Costello: „Unfaithful Music – Mein Leben“. Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Henriette Heise und Hubert Mania. Berlin Verlag 2015, 782 Seiten, 29,99 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen