piwik no script img

Ein Hühnchen zu Schnupfen

Herdanziehung Nur einst fidele Hühnchen machen die Suppe zum Kraftspender. Markthallen, Wild- und Geflügelhändler sowie Hofläden sind gute Adressen

Hat sich bewährt: ein längerer Aufenthalt in leicht kochendem Salzwasser Foto: Milena Boniek/PhotoAlto/getty images

Von Denny Carl

Es war einer dieser Tage, an denen man erwacht und sich fühlt, als wäre man an die Matratze getackert. Gepeinigt von Kopf- und Halsschmerzen schnellten meine Gedanken unweigerlich zu meinem jüngsten Aufenthalt unter Tage. Dort stand ein Mann neben mir, der das Rumpeln unser vollen U-Bahn mit seinen maroden Bronchien täuschend echt nachahmte. Wenn er nicht Initiator meiner sich ankündigenden Erkältung war, dann jener Herr, der in der linken Hand Einkäufe und in der rechten den Zug hielt, so dass keine weitere Hand zur Verfügung stand, welche die effektvolle Detonation seines Riechkolbens hätte antizipieren können.

Noch war es nur ein Anfangsverdacht. Ehe nicht meine Mutter – einem unerklärlichen Instinkt folgend – anruft und mir avisiert, eine größere Menge Hühnerbrühe vorbeizubringen, bin ich nicht krank. Sicher standen einst schon Pharaonenmuttis an ihren Feuerstellen, um der verschnupften Zukunft der Dynastie ein Hühnchen auszukochen. Zumindest kannten die Ägypter damals schon die heilsame Wirkung der Brühe.

Auf hiesiger Erde scharren Haushühner seit mehr als 2.500 Jahren. Besonders im viralen Dauerfeuer des Mittelalters wurde ihrem Fleisch besondere Kraft zugeschrieben. Auch wenn der Einsatz von Hühnerbrühe gegen Lepra und Pest damals allenfalls dem Gemüt kurzzeitig half, so schmieden bis heute Erkältungsopfer nach einem Schälchen heißer Hühnerbrühe wieder erste Zukunftspläne. Da die Gelehrten unserer Tage eher mit chemischen als mit magischen Formeln hantieren, gibt es Anhaltspunkte, worauf die wohltuende Wirkung des alten Hausmittels fußen könnte. So ganz einig ist man sich dabei nicht, wodurch auch heute noch ein bisschen Magie mitgelöffelt wird.

Möglicherweise spielt die beim Kochen herausgelöste Aminosäure Cystein eine wichtige Rolle. Sie könnte helfen, Entzündungen zu hemmen und Schleimhäute abschwellen zu lassen. Fans von hochwertigem Eiweiß, Eisen, Zink und B-Vitaminen aller Art kommen ebenfalls auf ihre Kosten. Vielleicht ist es auch nur die warme Flüssigkeit, die der Körper dankend annimmt, Viren jedoch eher missmutig aufnehmen. Oder wer will schon die belebende Wirkung sozialer Wärme durch hauseigene Zubereitung und bettnahes Servieren verneinen?

Letztlich ist schon allein der angenehm kräftig aromatische Geschmack Argument genug, nicht nur in Phasen persönlichen Siechtums. Die Zubereitung ist sehr einfach und wird therapeutisch wie geschmacklich überzeugen, wenn man Wert auf gutes Fleisch legt. Das ist oft nicht leicht, liegen doch in vielen Supermärkten nur zu oft außer Dienst gestellte Legehühner mit trauriger Vergangenheit im Froster.

Hier gilt: So ein Hühnchen kann einem grippal Infektierten nur so viel Leben wieder einhauchen, wie es selbst einst genossen hatte. Es lohnt sich, ein kräftiges Huhn von um die 1,5 Kilogramm Gewicht aus Bio-Haltung zu verwenden, das während seiner ausgiebigen täglichen Spaziergänge Zeit zum Wachsen hatte und nicht nur mit der Eiablage oder dem Bekämpfen von Artgenossen beschäftigt war.

Vom Huhn zur Suppe

Suppenhühner werden nicht gemästet, sondern stammen aus Legebetrieben. Es sind eher die leichteren Hennen, die geschlachtet werden, um dann in der Suppe zu landen. Die Tiere haben festes, leicht gelbliches Fleisch. Das Fett im Inneren der ausgenommenen Henne sollte hell sein.

Das Suppenhuhn kommt samt Innereien in das kochende Wasser. Es köchelt zugedeckt zwei bis zweieinhalb Stunden bei milder Hitze. So gelangen alle Aromastoffe in das Kochwasser.

Ein schönes Suppenhuhn zu bekommen, ist aber machbar. In Berlins Markthallen und bei so manch gut sortiertem Wild- und Geflügelhändler der Hauptstadt wird man immer öfter fündig. Brandenburger Hofläden sind auch eine gute Adresse. Mitunter bieten sie sogar alte Rassen an, die einen noch intensiveren Geschmack abgeben. Es ist ratsam, dort vorab telefonisch vorstellig zu werden und zu prüfen, ob das Wunschhuhn verfügbar ist. Das Nonplusultra beim Erwerb eines Suppenhuhns erreicht, wer das Alter des Tieres in Erfahrung bringt. Viel älter als anderthalb Jahre sollte es nicht sein, da es sonst nicht weich wird.

Grundsätzlich sollte dem Suppenhuhn ein längerer Aufenthalt im leicht köchelnden Salzwasser gewehrt werden. Nur so lösen sich die Inhalts- und Geschmacksstoffe aus Fleisch und Knochen. Zusammen mit Zwiebeln und Suppengemüse, das allerdings nur 20 Minuten mitgaren sollte, entsteht so ein wunderbarer Küchenklassiker. Mit Ingwer, Chili und Petersilie ließe sich nun noch mehr Heilkraft entfachen.

Das Telefon klingelte und riss mich aus der intensiven Imagination einer dampfenden Terrine. Ein Blick auf das Display ließ befürchten, dass es mich wirklich erwischt hatte. Ich griff zum Hörer. – „Na!“, sagte ich, wohl wissend, dass ihr diese kurze Einlassung für eine umfassende Ferndiagnose genügen würde. „Sag bloß, du bist erkältet!“, waren ihre ersten Worte. „Und wie!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen