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Katrin fährt mit Tom und Anna

Atmen Die Stadt Stuttgart ruft dazu auf, wegen zu viel Feinstaub das Auto stehen zu lassen. Noch setzt der grüne Oberbürgermeister Kuhn auf Freiwilligkeit

von Ingo Arzt

BERLIN taz | In Stuttgart kursiert seit Jahren dieser Witz: Am Stadtrand, im Ortsteil Weilimdorf, liegt der „Grüne Heiner“, ein heute baumbewachsener Weltkriegsschutthügel. Droben thront ein Windrad und das, so sagt man, ist eigentlich ein gewaltiger Ventilator, um den Smog aus dem Talkessel zu blasen.

Die baden-württembergische Landeshauptstadt ist nicht erst seit gestern bekannt für ihre Probleme mit der Luftqualität. Aber seit dem gestrigen Montag die erste Stadt Deutschlands, die wegen Feinstaubs Alarm auslöst. In der Folge ruft Stuttgart seine Einwohner und das Umlandvolk dazu auf, das Auto stehen zu lassen und öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen keine gemütlichen Kaminfeuer anzuzünden.

Bis mindestens Donnerstag soll die Bitte der Stadtoberen aufrechterhalten werden. So lange lässt die Verkehrsleitzentrale auf den Anzeigetafeln über den Schnellstraßen die Warnung „Feinstaub-Alarm“ aufblinken. Zudem werden die S-Bahn-Züge verlängert, bei den Verkehrsbetrieben gibt es die Jahreskarte für Bus und Bahn zum Preis von neun Monatstickets. Im Netz lässt die Stadt die Comicfiguren Katrin, Tom und Anna in einem grenzdebilen Video erklären, warum das alles nötig ist.

Das Problem der zu hohen Feinstaubbelastung betrifft in Deutschland viele Städte, Stuttgart wegen seiner Lage in einem Talkessel ganz besonders – an der Messstation am Stuttgarter Neckartor unweit des Hauptbahnhofs werden die Grenzwerte so oft gerissen wie nirgends sonst in Deutschland. Bereits wenn der Deutsche Wetterdienst warnt, durch zu wenig Wind oder Niederschlag könnte die Feinstaubbelastung steigen, löst die Stadt den Alarm aus.

Das Max-Planck-Institut für Chemie geht von rund 34.000 vorzeitigen Todesfällen in Deutschland aus, hervorgerufen durch Feinstaub. Feinste Partikel können mit der Luft bis in die Blutbahn gelangen. Für sie gilt seit Januar 2015 ein gesonderter verbindlicher Grenzwert. Die Deutsche Umwelthilfe hat mehrere Deutsche Städte deshalb bereits verklagt – auch Stuttgart.

Für die Deutsche Umwelthilfe ist der Alarm eine „Place­bo-Maßnahme“

Dort sorgen die bisher freiwilligen Maßnahmen vor allem bei Umweltverbänden für Unmut. Für die Deutsche Umwelthilfe ist der Feinstaub­alarm eine „Placebo-Maßnahme“ ohne Wirkung. „Appelle bringen nichts“, sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Christoph Link, Vorstand des Verkehrsclubs Deutschland in Stuttgart, kritisiert gegenüber der taz, dass die Verkehrspläne Stuttgarts viel zu unkonkret seien. Zwar soll der Verkehr um 20 Prozent verringert werden, „aber die Stadt hat keine Strategie, wie sie das erreichen will“, sagt Link.

Der Grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn setzt auf Freiwilligkeit – noch. „Wenn die Freiwilligkeit nicht zur nachhaltigen Verringerung der Schadstoffwerte führt, dann wird es ordnungspolitische Maßnahmen wie zum Beispiel Fahrverbote geben müssen“, sagte er. Ob die Maßnahmen jetzt was bringen, ist unklar: Extra Verkehrszählungen führt die Stadt nicht durch.

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