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Der Kampf um gute Arbeit

Jobs Der Arbeitsmarkt in Berlin ist von MigrantInnen geprägt. Auch die neu ankommenden Flüchtlinge werden ihn verändern – wie genau, hängt auch von der arbeitspolitischen Steuerung ab

Hessan Adam aus Ghana, jetzt Berlin, arbeitet in einer Werkstatt der Flüchtlingsinitiative Arrivo Berlin – einer Ausbildungs- und Berufsinitiative zur Integration von geflüchteten Menschen in den Berliner Arbeitsmarkt Foto: Jens Jeske

Von Malene Gürgen

Menschen kommen nach Berlin, um hier Arbeit zu finden – das ist kein neues Phänomen. Von den Hugenotten, deren Migration keineswegs nur religiöse, sondern oftmals auch wirtschaftliche Gründe hatte, über die osteuropäischen WanderarbeiterInnen im Kaiserreich bis hin zu den Gastarbeitern aus der Türkei, Italien oder Vietnam: Immer wieder wurde die Stadt durch ArbeitsmigrantInnen geprägt und verändert.

Trotzdem zeigen sich viele Berliner gerade durch den Teil der Neuankömmlinge, die gern als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet werden, die man aber auch ArbeitsmigrantInnen nennen könnte, besonders verunsichert: Wird sich der ohnehin angespannte Arbeitsmarkt jetzt noch weiter verändern, wird sich die Konkurrenz weiter verschärfen? Oder werden sich die Arbeitskonditionen, das Lohnniveau insgesamt verschlechtern, wenn nun besonders viele Menschen gerade in den Niedriglohnsektor drängen?

Genau vorherzusagen, wie sich der Arbeitsmarkt durch die Flüchtlinge verändern werde, sei zurzeit noch unmöglich, weiß Johannes Giesecke, Professor am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. „Weil verlässliche Daten gerade zu den Qualifikationen fehlen, stochern Wissenschaft und Politik hier größtenteils noch im Nebel“, sagt er.

Insgesamt zeige die Erfahrung aber, dass Migration nicht – wie oft erwartet –, zu verschärfter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt führt. „In der Regel können das die jeweiligen Märkte gut aufnehmen, und man darf ja auch nicht vergessen, dass durch Migration immer auch Arbeitsplätze geschaffen werden“, sagt Giesecke. Allerdings lege das Wenige, was man bisher über die Qualifikation der Flüchtlinge wisse nahe, dass „der Optimismus, dass da überwiegend gut ausgebildete Leute zu uns kommen, wieder etwas gedämpft werden muss“. Zumal die Anerkennung ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse oftmals nicht unproblematisch ablaufe.

Es gibt ein Instrument gegen sinkendes Lohnniveau im Niedriglohnsektor: den Mindestlohn

Die Gefahr, dass die Wirtschaft die wenig qualifizierten Arbeitskräfte dazu nutzen werde, dass Lohnniveau gerade im Niedriglohnsektor noch weiter zu senken, sei also durchaus gegeben. Allerdings gibt es dagegen seit gut einem Jahr ein Instrument, sagt Giesecke: „Wenn der Mindestlohn wirklich flächendeckend umgesetzt würde, müssten wir uns um diese Fragen gar keine Gedanken machen.“

Auch wenn sich Berlin in Sachen Flüchtlinge gerade noch viel mit Erst- und Notversorgung beschäftigt: Dass die Integration in den Arbeitsmarkt ein wichtiges Thema ist, hat auch die zuständige Senatorin Dilek Kolat (SPD) erkannt. Mit einem 10-Punkte-Plan will sie Flüchtlinge schneller in Arbeit bringen, die „interkulturelle Öffnung in den Jobcentern“ gehört ebenso dazu wie der Ausbau von Deutschkursen.

Einen großen Fehler der Vergangenheit sollte Berlin dabei aber nicht wiederholen, sagt der Migrationsforscher Giesecke: „Bezuschusste Tätigkeiten auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt haben sich für die Integration in den regulären Arbeitsmarkt als praktisch wirkungslos herausgestellt“, betont er. Genau das aber beschreibt Kolat in Punkt 10 ihres Papiers, in dem sie Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge – also Jobs vor allem in Unterkünften selbst, die nach Asylbewerberleistungsgesetz mit 1,05 Euro pro Stunde bezahlt werden –, als „Brücken in den regulären Arbeitsmarkt“ bezeichnet, die es auszubauen gelte. Der Kampf um gute Arbeit – er betrifft Alt- und NeuberlinerInnen gleichermaßen.

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