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Berlin baut vor

STADTENTWICKLUNGWeil die Alten mehr werden, schreibt die neue Bauordnung des Senats barrierefreie Wohnungen vor. Neubau werde dadurch zu teuer, kritisiert der Verband der Wohnungsunternehmen

von Uwe Rada

Wer hat schon was gegen ein größeres Bad? Mehr als fünf Quadratmeter groß mit viel Platz vor Waschbecken, Klo und Dusche. Nur was ist, wenn man für ein solches Bad fast einen Euro mehr an Miete pro Qua­drat­meter bezahlen muss? Und zwar nicht, weil der böse Eigentümer was draufpacken will, sondern weil der Senat meint, barrierefreies Wohnen sei das Gebot der Stunde?

Fragen wie diese verstecken sich in der Neufassung der Berliner Bauordnung, die der rot-schwarze Senat im Dezember auf Vorlage von Bausenator Andreas Geisel (SPD) verabschiedet hat. In dem 93 Seiten starken Entwurf, der der taz vorliegt, wird vor allem der Bau von barrierefreien Wohnungen vorgeschrieben. Bis 2020 soll jede dritte neu gebaute Wohnung barrierefrei sein, danach sogar jede zweite. Für ein Badezimmer bedeutet das unter anderem eine Bewegungsfläche von 1,20 mal 1,20 Meter vor dem Klo.

Viel zu viel sei das, meint der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). „Unsere Mitglieder bauen in der Regel Bäder mit einer Bewegungsfreiheit von 90 mal 90 Zentimetern“, sagt Sprecher David Eberhart. Der Verband, ­dessen Mitgliedsunternehmen nach eigenen Angaben 1,1 Millionen Wohnungen vermieten, schlägt Alarm. Durch die neue Bauordnung verteure sich die Miete bei Neubauten um 92 Cent pro Quadratmeter. Zählt man noch die erhöhten Anforderungen hinzu, die die Energieeinsparverordnung (EnEv) ab 2016 verlangt, müssen Mieter von Neubauwohnungen künftig 1,50 Euro mehr für den Quadratmeter berappen.

Bodengleiche Duschen

Neue Vorschriften

Der Senat hat den Entwurf der Bauordnung von Bausenator Andreas Geisel (SPD) am 8. Dezember verabschiedet. Nun liegt er zur Beratung beim Rat der Bürgermeister. Anschließend berät das Abgeordnetenhaus über die Neuregelung. Die Grünen wollen auch eine Anhörung durchsetzen.

Bereits zum 1. Januar treten die neuen Vorschriften der Energieeinsparverordnung (EnEv) in Kraft. Sie besagen, dass die Energiestandards bei Neubauten künftig erheblich erhöht werden sollen. (wera)

Der BBU fordert vom Senat deshalb weniger Regelungen und mehr Realitätsnähe. Barrierefreie, also behindertengerechte Wohnungen seien teuer und daher bei Nichtbehinderten wenig beliebt, heißt es in einer Pressemitteilung. „Deshalb setzen die BBU-Mitgliedsunternehmen bei ihrem Neubau auch vor allem auf die stufen- und schwellenlose Zugänglichkeit bis zur Wohnung, breitere Türen, bodengleiche Duschen und vergrößerte Bewegungsflächen.“ Man möge doch die Bauordnung nutzen, heißt es weiter, um über eine „praxistaugliche Definition von Barrierefreiheit“ zu diskutieren.

Doch der Bausenator bleibt hart. „Wir machen das ja nicht ohne Not“, sagt Martin Pallgen, Sprecher von Bausenator Geisel. „Wir werden alle nicht jung und hedonistisch weiterleben, sondern älter werden.“ Jetzt nicht zu handeln wäre deshalb fahrlässig. Pallgen verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie der Wüstenrot-Stiftung. Die hat ermittelt, dass allein in Berlin 41.000 barrierefreie Wohnungen fehlen.

Was aber ist barrierefrei und was barrierearm? Eine barrierefreie Wohnung, so wie sie die geplante neue Bauordnung verlangt, muss den Vorgaben der DIN 18040 entsprechen. Vorgesehen sind neben den großen Bädern mit bodengleichen Duschen auch Fahrstühle, mit denen man vom Gehweg in die Wohnung gelangt, Türen mit einer Mindestbreite von 90 Zentimetern sowie Küchen mit einer Bewegungsfläche von ebenfalls 1,20 mal 1,20 Metern. Noch höhere Anforderungen – etwa bei der Breite von Türen – gibt es für rollstuhlgerechte Wohnungen. Bei ihnen muss die Bewegungsfläche 1,50 mal 1,50 Meter in Küche und Bad betragen. Barrierearme Wohnungen dagegen kommen mit einer Bewegungsfläche von 90 mal 90 Zentimetern aus. Zwischen den verschiedenen Kategorien altersgerechten Wohnens liegt also eine Differenz von mehreren Qua­drat­metern Wohnfläche.

Ursprünglich sollte in der Bauordnung sogar der Bau von rollstuhlgerechten Wohnungen verpflichtend gemacht werden. Doch den entsprechenden Passus hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wieder gestrichen. „Der Flächenverbrauch ist damit kleiner als von der Wohnungswirtschaft befürchtet“, stellt Behördensprecher Pallgen klar.

„Wir bleiben alle nicht jung, sondern werden älter“

Sprecher Martin Pallgen

Unterstützung bekommt Bausenator Geisel auch von der Opposition. „Es ist richtig, jetzt auf den demografischen Wandel und die Alterung der Gesellschaft zu reagieren“, sagt der baupolitische Sprecher der Grünen, Andreas Otto. Sollten die Baupreise damit weiter steigen, müsse man eben kleinere Wohnungen bauen. Entscheidend seien nicht die Baupreise und die Quadratmeterpreise, sondern es sei der Gesamtpreis einer Wohnung.

Auch die Degewo, immerhin Berlins größte landeseigene Wohnungsbaugesellschaft, will sich der Kritik des Verbands BBU nicht anschließen. „Natürlich stellen uns die Energie- und Bauordnungen vor große Herausforderungen“, sagte Degewo-Sprecher Lutz Ackermann der taz. „Aber dem müssen wir durch intelligente Planung begegnen.“ Schon jetzt ist jede Neubauwohnung, die die Degewo errichtet, nach Angaben von Ackermann barrierearm.

Neben den barrierefreien Wohnungen, die das Unternehmen nun bauen muss, steht der Umbau im Bestand hoch im Kurs. „Es gibt immer wieder Anfragen von Mietern nach einem barrierefreien Umbau der Wohnung“, so Ackermann. Er betont, dass die meisten Mieter, die von einem Handicap betroffen werden, in ihrer vertrauten Umgebung bleiben wollen.

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