Songfragmente von Kurt Cobain: Gehobene Schätze

Eine Hommage an die Lo-Fi-Ära: Auf dem Album „Montage of Heck“ sind Skizzen und Demoaufnahmen des Nirvana-Sängers zu hören.

Sticker kleben auf einem Fenster. Rechts oben einer „Kurt was here.“

Fragmente eines Grunge-Lebens. Und Kurt ist auch mit dabei (rechts oben). Foto: dpa

Gut 20 Jahre nach dem Ende von Nirvana beginnt jetzt die Solokarriere von Kurt Cobain. Letztlich zum richtigen Zeitpunkt, weil bei seinen ehemaligen Bandmitgliedern ein wenig der Lack ab ist. Der eine, Krist Novoselic, hat sich weitgehend aus dem Musikgeschäft verabschiedet und macht mit Bäuchlein und Halbglatze rockstarmäßig gar nichts mehr her. Und der andere, David Grohl, ist hauptsächlich damit beschäftigt, seine mediokre Stadionrockband The Foo Fighters am Laufen zu halten.

Somit erscheint jetzt das, wie es bei Wikipedia heißt: „einzige Soloalbum“ von Kurt Cobain, der zudem – sämtliche veröffentlichte Bilder und Filmaufnahmen von ihm in den letzten Wochen und Monaten beweisen es – einfach immer noch blendend aussieht.

„Montage of Heck: The Home Recordings“ ist eigentlich der Soundtrack zum Dokumentarfilm „Kurt Cobain: Montage of Heck“, der erst vor Kurzem im Kino lief. Deren Regisseur Brett Morgan sagte zwar, sein Film sei so definitiv, dass nun wirklich alles über den großen Schmerzensmann der Generation X gesagt sei, aber ganz so ernst wollte er dann mit dieser Aussage auch wieder nicht genommen werden.

Für seinen Film hatte er unbeschränkten Zugang zu allerlei Archivmaterial, unter anderem zu über 100 Kassetten, die Cobain noch vor „Nevermind“ (1991) und dem darauf folgenden Wahnsinn auf seinem Vierspur-Rekorder aufgenommen hatte. 200 Stunden Cobain, das meiste davon unveröffentlicht: Dieser Schatz musste einfach gehoben werden!

Auf den Kassetten fanden sich zwar nur unfertige Songs, meist mit der akustischen Gitarre skizziert, aber das änderte nichts an der Bedeutung seines Fundes, glaubte Morgan. Würde man irgendwo unerwartet eine Picasso-Vorstudie von „Guernica“ entdecken, würde man diese ja auch veröffentlichen, gab er der New York Times zu Protokoll – und damit hat der Mann auch wieder so recht.

Leichenfledderei?

Die ersten Reaktionen auf „Montage of Heck – The Home Recordings“ auf Blogs, Nirvana-Fanseiten und in den Feuilletons sind ziemlich einhellig: Leichenfledderei und Geldschneiderei wird der Sache attestiert und ihr ein künstlerischer Wert weitgehend abgesprochen. Stimmt ja auch: Das Album erscheint in tausenderlei De-luxe-irgendwas-Variationen und sogar als Kassette und eine Single-Auskopplung für ein paar Euro extra, nämlich ein Cover des Beatles-Songs „And I Love Her“, gibt es noch obendrauf.

Während einer Nummer läutet gar das Telefon, in einem anderen Song jodelt Cobain sogar.

Andererseits: Im Vergleich zu den Soloprojekten anderer Sänger von großen Rockbands, egal ob Oasis oder Rolling Stones, ist das postume Debüt von Kurt Cobain, der am 5. April 1994 starb, beinahe schon ein großer Wurf. So wie das Album auf der zu empfehlenden, im Vergleich zur normalen Ausgabe über doppelt so langen De-luxe-Version zusammengestellt wurde, als wilde Collage aus Songskizzen und hörspielartigen Momenten, wirkt die Musik wie eine Hommage an die Lo-Fi-Ära, die parallel zur Grungewelle stattfand und mit dieser auch personelle Überschneidungen hatte.

Roh, direkt und unbearbeitet – genau so liebte Kurt Cobain seinen Sound. Und man wird einfach auch gut unterhalten mit „Montage of Heck“. Manchmal ruft Cobain mitten in seine Songs Worte wie „Basspart“, „Chorus“ oder „Solo“, Elemente, die man sich dann selbst hinzudenken kann. Während einer Nummer läutet gar das Telefon, da muss der damalige Nachwuchssänger erst mal ran. Jodeln tut Kurt Cobain an einer Stelle auch noch.

Kurt Cobain: „Montage of Heck – The Home Recordings“ (Universal)

Bei Bob Dylan wird ja noch die Veröffentlichung des allerletzten Bootlegs als Großtat im Sinne der Menschheit gefeiert, da sollte dieses bunte Sammelsurium von Kurt Cobain also auch erlaubt sein.

Bei Bob Dylan wird noch einiges folgen, beim Grunge-König ist jetzt Schluss. Das war‘sjetzt. Andererseits: Hätte Picasso vor der Skizze für „Guernica“ noch eine weitere Vorstufe auf eine Serviette gekritzelt, würde man die nicht auch sehen wollen?

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