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Pumpen am Limit

Öl Der Ölpreis fällt ins Bodenlose – die Fördernationen reagieren panisch. Immerhin gehen die Investitionen zurück, eine Wende ist in Sichtweite

Foto: privat
Manfred Kriener

war langjähriger Ökologieredakteur der taz und Chefredakteur von zeozwei. Er schrieb Mitte der 1990er Jahre seine ersten Berichte über Ölpreis und Peak-Oil und begleitet seitdem die Entwicklung der „Tränen des Teufels“ – so die schönste Metapher für Erdöl.

Niemand hatte einen solchen Erdrutsch für möglich gehalten. Die schlauen Ökonomen am allerwenigsten. Als sich der taumelnde Ölpreis dann innerhalb eines halben Jahres – von Juli 2014 bis Januar 2015 – von 115 auf 57 Dollar glatt halbiert hatte, galt die 50-Dollar-Grenze als eisenharter Boden: Tiefer konnte der Barrelpreis einfach nicht mehr fallen, weil dann selbst mit normal gefördertem Öl – ohne Tiefseeakrobatik oder gar Fracking – nichts mehr zu verdienen wäre.

Dann wurde auch diese Mauer durchstoßen. Jetzt war die 40 Dollar-Marke die nach unten absichernde Grenze. Aber auch die ist vor dreieinhalb Wochen durchbrochen worden, aktuell stehen wir bei knapp 38 Dollar für Brent, 37 Dollar für US-Öl. Und die Banker von Goldman Sachs glauben allen Ernstes, dass der Barrelpreis dieses Jahr auf 20 Dollar sinken wird.

Von 115 auf 20 in zwei Jahren? Damit hätte der wichtigste Rohstoff der Welt rund 85 Prozent seines Werts verloren. Dann würden selbst die rentabelsten Ölfelder Verluste einfahren, denn die glorreichen Zeiten, als die Saudis mit Förderkosten von 1,50 Dollar ihr Öl aus dem Wüstensand holten, sind lange vorbei. Es gibt keine billige Förderung mehr auf diesem Planeten, auch Saudi-Arabien muss immer mehr Ölserviceunternehmen beschäftigen und immer mehr Bohrtürme errichten, um seine Produktion zu halten.

Kaffeesatz-Analysten

Ein Barrel Öl, 159 Liter, für 20 Dollar? Gut, dass Analystenprognosen selten zutreffen, was den Analysten indes nie geschadet hat. In Sachen Öl darf jeder behaupten und prognostizieren, was der Kaffeesatz so hergibt. Immerhin: Der Ölkonzern Total war schlau genug, seine Ölpreisprognoseabteilung aufzulösen, weil sie in etwa so viele Treffer erzielt hatte wie ein Schimpanse im Kölner Zoo. Immer neue politische Krisen und Kriege, unzählige Akteure auf einem hoch spekulativen Markt, auf dem jedes Fass zwölfmal gehandelt wird, bevor es verbraucht wird, dazu die Wirtschaftsflauten und üblichen Börsenturbulenzen – das alles hat den Ölpreis zu einer kaum kalkulierbaren Größe gemacht. Wie entwickeln sich die Lagerbestände in den USA, wie kalt oder warm wird der Winter, was macht die chinesische Wirtschaft, eskaliert der Irankonflikt aufs Neue? Und wie viele Ölfelder kann der IS erobern? Lauter Preisrisiken.

Unvorstellbar war allerdings, dass der Ölpreis so weit nach unten trudeln könnte, dass kein einziges Förderland mehr Geld verdient. Denn mit Kursen unter 40 Dollar kann tatsächlich niemand mehr leben,das bringt gefährliche Instabilitäten. Die Deutsche Bank hat hochgerechnet, welchen Ölpreis Saudi-Arabien, Russland oder auch Nigeria, Norwegen und Venezuela brauchen, um einen ausgeglichenen Etat vorlegen zu können. Die Bandbreite lag bei 90 bis 150 Dollar.

Naiv könnte man nun fragen, warum dann die Förderung nicht runtergefahren wird, um den Preis zu stabilisieren? Warum verkaufen die Förderländer ihre wertvollste Ressource, deren Endlichkeit greifbar ist, nicht nur zu niedrigen, sondern zu ruinösen Preisen? Und zwar alle zusammen? Weil außer Zerstrittenheit und Machtkämpfen längst Panik herrscht. Weil alle versuchen, den Niedergang des Preises durch mehr Förderung auszugleichen. So pumpen alle mit höchstem technischem Aufwand. Das ist ökonomisch suizidal und verstärkt wiederum den Preisdruck.

Die Konsequenzen sind heftig. Während bei uns die Bild-Zeitung jeden zweiten Tag hochrechnet, wie viel Geld „wir“ wieder beim Tanken verdienen und dem Ölscheich abgenommen haben, marschieren Venezuela, Mexiko oder Nigeria auf den Staatsbankrott zu; auch Angola und Russland sind schwer gezeichnet, die britische Ölindustrie ist nah am Kollaps.

Doch die Wende ist zumindest in Sichtweite, das derzeitige Überangebot an Öl könnte bald Geschichte sein. Der Einbruch der Fracking-Industrie in den USA hat nach aktuellen Daten die tägliche US-Förderung um 600.000 Barrel reduziert. Das reicht zwar noch nicht für eine Verknappung am Markt, doch die sich beschleunigende Pleitewelle bei US-Frackern und die Reduzierung der Bohrstellen um bereits zwei Drittel werden die Fördermenge von amerikanischem Schieferöl 2016 noch heftiger absacken lassen.

Unklar bleibt, wie stark und wie schnell Iran nach Aufhebung der Sanktionen seine Förderung erhöhen kann. Alle anderen Förderländer pumpen bereits am Limit. Die durch Injektionen von Chemie, Gas und Wasser mit Gewalt auf Spitzenniveau gehaltene Förderung wird sich allerdings rächen, denn Naturgesetze kann auch die Ölindustrie nicht außer Kraft setzen. Je schneller und rücksichtsloser ein Ölfeld ausgebeutet wird, desto steiler verläuft nach Überschreiten des Peaks die Abwärtskurve. Am Nordseeöl sehen wir prototypisch, wie rasant die Förderung nach Überschreiten des Peaks abstürzen kann.

Öl bleibt in der Erde

Mit Kursen unter 40 Dollar kann niemand leben, er bringt gefähr­liche Instabilitäten

Gibt es auch positive Folgen des Ölpreisverfalls? Ein weltweites Konjunkturprogramm? Die Ersparnisse beim Flug- und Schiffsverkehr, bei Heizöl und Benzin? Nein, die sind eher kontraproduktiv. Sie verstärken den Mobilitäts-, PS- und SUV-Wahn und den naiven Glauben, dass es eher zu viel Öl gibt. Sie versperren den Blick auf die Endlichkeit. So gerät aus dem Blick, dass die konventionelle, also die „normale“ Ölförderung seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts erheblich gesunken ist und immer mehr „technisches“, teures Öl etwa durch Fracking oder aus Teersanden gewonnen werden muss.

Das eigentlich Positive: Das Trudeln des Ölpreises sorgt dafür, dass die Ölkonzerne ihre Investitionen zurückfahren und viele Explora­tionsprojekte wieder aufgeben. Keep the oil in the soil – diese Tendenz verstärkt sich jetzt. Wenn trotz fünffach erhöhter Explorationskosten seit 2004 immer weniger rentierliche Ölquellen neu hinzukommen, dann lohnt sich das Geschäft nicht mehr. Die vergangenen beiden Jahren waren nicht nur Jahre des Ölpreisverfalls, sie waren auch Jahre mit katastrophal wenigen neuen Ölfunden.

Der Jahreswechsel ist die hohe Zeit der Prognosen. Der Schreiber setzt eine Pulle Schampus, dass der Ölpreis zur Jahresmitte deutlich über 50 Dollar liegen wird. Moment: Der Kaffeesatz (Guatemala-Hochland vom Kaffeeröster „Wacker“ in Frankfurt) sagt: 58,81 Dollar. Manfred Kriener

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