: Schutt und Asche im Szeneviertel
Ausschreitungen Selbst die Linkspartei kritisiert den gewalttätigen Protest gegen eine Nazi-Demo in Leipzig
aus Dresden Michael Bartsch
Die „KarLi“, die Leipziger Kulturmeile Karl-Liebknecht-Straße, bietet ein Bild der Verwüstung. Am frühen Samstagabend kam es hier zu den seit Jahren schwersten Auseinandersetzungen zwischen linksautonomen Gruppen und der Polizei. Sie entwickelten sich aus einer Demonstration von etwa 2.500 Menschen, die sich gegen einen Aufmarsch von nur 150 Anhängern der Partei Die Rechte, der Offensive für Deutschland und des Pegida-Ablegers Thügida richtete.
Vermummte errichteten und entzündeten Barrikaden, warfen Scheiben ein und demolierten Autos. Nach Polizeiangaben wurden 69 Polizeibeamte verletzt und 50 Dienstfahrzeuge beschädigt. Über die Zahl der verletzten Demonstranten konnte die Polizeidirektion Leipzig auch am Sonntagmittag noch keine Aussage treffen. In mindestens zwei Fällen wurden aber Rettungswagen angefordert. 23 vorläufig festgenommene Personen sind nach Identitätsfeststellung wieder auf freiem Fuß.
In der seit dem Auftreten des Pegida-Ablegers Legida besonders heftig von Auseinandersetzungen heimgesuchten Stadt handelte es sich am Sonnabend gewissermaßen um Krawalle mit Ansage. Der Neonazi Christian Worch als Anmelder wollte bewusst im linken Szene-Stadtteil Connewitz demonstrieren. Auf Facebook kündigten Kameradschaften an, Connewitz „in Schutt und Asche“ zu legen.
Die Versammlungsbehörde genehmigte diese Provokation aber nicht und gestattete nur eine knapp 600 Meter lange Demo-Route in der Südvorstadt. Die hiesige Antifa mobilisierte unter dem Slogan einer „autonomen Weihnachtsfeier“ zu Gegenprotesten.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) zeigte sich von den gewalttätigen Ausschreitungen ebenso schockiert wie Anwohner und Politiker verschiedenster Lager. Jung sprach von „offenem Straßenterror“. Damit hätten Kriminelle den „so wichtigen friedlichen Protest gegen Neonazis diskreditiert“. Die Linken-Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, die in Connewitz ein Direktmandat gewonnen hatte, distanzierte sich ebenfalls von den Gewalttaten. „Gerade in der Nähe einer Unterkunft für Asylsuchende sind solche Eskalationen mehr als deplatziert“, sagte sie. Ähnliche Verurteilungen sprachen der Linken-Stadtvorsitzende Volker Külow, sein Landeschef Rico Gebhardt, der CDU-Innenpolitiker Christian Hartmann und sein grüner Landtagskollege Valentin Lippmann aus.
Lippmann kritisierte aber wie Nagel auch das Verhalten der Polizei, die eine weiträumige Abschirmungsstrategie verfolgt hatte. Weil sie nicht in Sicht- und Hörweite demonstrieren durften, habe sich die Wut einiger Menschen an anderer Stelle entladen. Auch der Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern sei teilweise unverhältnismäßig gewesen, sagt Nagel.
Linke Aktivisten feierten es derweil auf dem Internet-Szeneportal Indymedia zumindest als Erfolg, dass ein Nazi-Marsch durch Connewitz verhindert worden sei.
Zwischen die Fronten geriet am Samstag einmal mehr der bekannte Jenaer Jugendpfarrer Lothar König mit seinem Lautsprecherwagen. Wegen angeblicher Beteiligung am Landfriedensbruch wurde er schon vor Beginn der schweren Ausschreitungen vorübergehend festgenommen und sein Wagen beschlagnahmt.
Gute alte Bekannte in Uniform seien wieder einmal sehr eifrig gewesen, kommentierte König gegenüber der taz. Der in Dresden bereits einmal vergeblich wegen Landfriedensbruchs angeklagte Pfarrer bedauert, dass offenbar wegen der Gewaltwarnungen „so wenige bürgerliche Gegendemonstranten“ gekommen seien, die mäßigend hätten einwirken können.
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