Spricht die Psyche, spricht der Verstand?

kunst An der Schwelle zwischen Ursprung und Abbildung bewegen sich zwei Ausstellungen in denKunst-Werken von Michael Müller und des portugiesischen Duos João Maria Gusmão + Pedro Paiva

Die Nacht und der Fisch: Stills aus den Filmen von João Maria Gusmão + Pedro Paiva Fotos: Kunst-Werke Berlin

von Sophie Jung

Zwei sich widerstreitende Positionen werden jetzt in den Kunst- Werken zusammengebracht: Da sind die konzentrierten Wirklichkeitsanalysen des Duos João Maria Gusmão und Pedro Paiva und dann ist da die obsessive Suche nach einer künstlerischen Autorschaft von Michael Müller. Orthodox halten sich Gusmão und Paiva mit ihren tonlosen Projektionen vom meist 16-mm-Band an die klassische Technik des Films, während Müller in seinen Installationen, die immer gleich ganze Räume einfangen, die Genres und Medien überschreitet.

Es bedarf eines starken Motivs, um diese zwei sich widerstreitenden Positionen zu verbinden. Gewählt hat dafür die Kuratorin Ellen Blumenstein einen Papagei! In Zeitlupe und mit der charakteristischen Körnigkeit des 16-mm-Films zeigen Gusmão + Paiva den exotischen Vogel in einer dunklen Privatwohnung. Im Hintergrund sieht man ein Käfiggitter, der Vogel schwingt seinen Kopf mit dem mächtigen Schnabel am Kameraobjektiv vorbei, neugierig in der Haltung und zäh in der inszenierten Bewegung.

Ratternde Bildwerfer

Michael Müller vereinbart den Griff in die Mythologie mit einer im Camp angesiedelten Bildsprache

„Glossolalia“, „die Zungenrede“, heißt diese Arbeit. Blumenstein hat sie an der räumlichen Schnittstelle zwischen der Ausstellung mit dem Titel „Papagaio“ des portugiesischen Duos und derjenigen von Michael Müller mit dem Titel „Wer spricht?“ platziert. Der Papagei auf der Leinwand ist eine verbindende Metapher, denn so wie diesem traurig domestizierten Vogel die Fähigkeit zugeeignet wird, reden zu können, obwohl er doch nur Geräusche nachahmt, erkundet die Doppelausstellung die Schwelle zwischen Sprechen und Nachsprechen, Betätigen und Darstellen und schließlich zwischen Ursprung und Abbildung.

Die Apparatur des Films ist zur Architektur der Werkschau von Gusmão + Paiva geworden, die über zwanzig Arbeiten des Duos aus den letzten zehn Jahren versammelt. Gezimmerte Projektionswände bilden einen Parcours in der abgedunkelten Halle des KW, die lediglich von den Lichtkegeln der laut ratternden Bildwerfer erhellt wird. Immer wieder folgen die beiden Künstler in ihren Filmen den gleichen formalen Vorgaben: In Slow Motion und als Loop präsentiert, konzentrieren sich Gusmão + Paiva auf nur ein Motiv: die über das Glas ziehenden Scheibenwischer während einer verregneten Autofahrt, der Galopp eines Packesels in einer anonymen Dritte-Welt-Metropole oder die Windungen eines Fisches, der schnappatmend auf einem Teller liegt. Ganz nah rückt die Kamera an die banalen Momente heran, verzögert und wiederholt sie. Die gewohnte Perspektive wird verlassen und langsam schiebt sich die Poetik des Details in die Betrachtung, in deren Bildschönheit Grausames, Komisches und Triviales auf einer Ebene sind.

Gusmão + Paiva fokussieren, Michael Müller überwirft sich. Seine vielen Kammern und Installationen in den oberen Etagen des KW bilden einen Gang durch kunstgeschichtliche Referenzen, wissenschaftliche Systematiken, psychische Zustände und sein manisches, künstlerisches Tun. In einem Raum präsentiert er das lebenslange Projekt, Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ in eine eigens erfundene Keilschrift zu übersetzen. Die Wände füllt er mit DIN-A4 Blättern einer endlosen Zeichenordnung und bildet damit gleichsam die Endlosigkeit dieses Romanprojekts ab.

Zwei mythologische Figuren wählt Michael Müller als Leitmotive seiner Ausstellung: Hermes, den Gott der Redekunst, und seinen zweigeschlechtlichen Nachkommen Hermaphroditos. Sie sind die Symbole für das Sprechen-Wollen des Künstlers, das sich immer wieder uneindeutige Wege sucht, wie auch die Zwittergestalt des Hermaphroditos geschlechtlich nicht fassbar ist.

Müller vereinbart seinen hohen Griff in die antike Mythologie sogleich mit einer kitschigen, im Camp angesiedelten Bildsprache: Eine große goldene Wippe stellt er mitten in den Raum, ihr gegenüber ist das auf Stoff gezogene Porträt des Hermaphroditen. Später begegnet einem der gehörnte und wippende Hermaphroditos auf einer Videoprojektion mit orchestraler Musikuntermalung wieder. Sie ist das gloriose Finale am Ende der Müller’schen Suche nach der Autorschaft der Kunst, in der er sich selbst stets die Frage stellt, wer eigentlich in den einzelnen Installationen spricht. Ist es die Psyche, wenn er den Hinterhof einer griechischen Landstraßentankstelle als klaustrophobischen Schacht nachbildet? Spricht der Verstand, wenn er eine taxonomische Sammlung aus Tonstücken seiner eigenen Handabdrücke anlegt? Oder spricht ein ungebändigter Schaffenswille, der den Künstler selbst in seinen manischen Zeichnungen überfällt?

Kunst-Werke Berlin: Michael Müller und João Maria Gusmão + Pedro Paiva, Mi.–Mo. 12–19 Uhr, Do. 12–21 Uhr, bis 24. 1. 2016. 31. 12. 2015 geschlossen