Letzte Reste des Kalten Krieges

Erbe Die Alliierten sind lange weg. Ihre Kasernen und Wohnhäuser blieben aber hier. Eine Spurensuche in den ehemaligen Sektoren von Anna Bordel und Anna Maria Graefe

Karlshorst: Hier wohnten mal russische Offiziere mit ihren Familien. Das Haus verfällt. Es ist immer noch im Besitz Russlands Foto: Christian Mang

Spandau, Ortsteil Waidmannlust: Cité Foch, die ehemalige Siedlung der französischen Alliierten, verwahrlost immer mehr Foto: Jürgen Ritter/imago

Noch immer gehören zwei Wohnblocks mitten in Karlshorst Russland. Zuständig ist der russische Botschafter

Französischer Sektor

Stopp, Ausweis bitte: Hier kontrolliert ein Soldat im französischen Sektor, April 1994 Foto: Rolf Zöllner

Einkaufscenter, Hallenbad, Kneipe, Park: Im Norden von Reinickendorf bauten die französischen Alliierten auf 47 Hektar ihr kleines Frankreich, die Cité Foch. Heute sind die Spuren der französischen Besatzung auf Bausubstanz begrenzt. Seit 1994 gehört die Siedlung der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima). Der Behörde gehören die Straßen, die verfallenen öffentlichen Gebäude und die meisten der Wohnhäuser. In Letztere wurde investiert – Leerstand gibt es keinen mehr.

Dennoch: Zu knapp einem Drittel besteht die Cité Foch aus verrotteten Gebäuden wie einem alten Schwimmbad, einer Gendarmerie und einer Abhörstation.

Auf die Frage, warum diese vergammeln, antwortet die Bima: „Aufgrund der besonderen Zweckbestimmung der Gebäude ist keine wirtschaftliche Nachnutzung möglich.“ Für das Schwimmbad könne zum Beispiel kein neuer Betreiber gefunden werden. Die ungenutzten Gebäude wolle man jetzt abreißen, um dort neue Wohnungen zu bauen.

In der Mitte der Siedlung liegt der „Schandfleck“, wie die Bewohner das 15.000 Quadratmeter große Einkaufszentrum nennen. Es ist eingezäunt, die Fenster sind eingeschlagen, die Außenwände überzogen mit Rauchspuren und Graffiti.

„Uns ist inzwischen jeder recht, der das Einkaufszentrum abreißt und dort neu baut“, sagt Thomas Kessler, Mitglied der Initiative Cité Foch, eine Gruppe, die gegen den Verfall in der Siedlung angeht. Und das mit Erfolg, denn nach mehr als 20 Jahren Verfall kaufte ein privater Investor, das Bauunternehmen Artprojektgruppe, den „Schandfleck“. Der Plan: abreißen und neu bauen. 300 Wohnungen, davon 200 Eigentums- und 100 Mietwohnungen, sollen entstehen. Wenn alles gut läuft, könnten die ersten Arbeiten noch diesen Winter beginnen, sagt Martin Lambert (CDU), Baustadtrat von Reinickendorf .

Die Cité Foch ist nicht die einzige französische Wohnsiedlung, die seit dem Abzug der Alliierten schleichend verfällt. Gleich neben dem Flughafen Tegel liegt die Cité Pasteur. Vom Standpunkt der Bima aus ist hier alles in Ordnung. Um die Siedlung kümmere man sich „nach der Schließung Tegels“.

Die Bewohner von Cité Pasteur sehen das anders, die Bima sorge sich seit dem Abzug der Truppen 1994 nur um das Geringste. Zwei Häuser stehen inzwischen komplett leer, ein französisches Gymnasium modert vor sich hin und die Spielplätze verwaisen. „In Prenzlauer Berg hätten sie diese Spielplätze schon längst eingezäunt und als lebensgefährlich eingestuft“, sagt ein Anwohner.

Seit mehreren Jahren fordern die Mieter eine Sanierung. Die Bima erkennt das Problem der Bewohner nicht: „An den Wohnungen werden die notwendigen Maßnahmen zur Gewährleistung des vorhandenen Standards durchgeführt“, heißt es. Trotzdem stehen rund 10 Prozent der Wohnungen leer.

Für die Brachflächen, etwa einem französischen Gymnasium, hat die Bima grobe Vorstellungen: „Auf den zusätzlichen Bauflächen ist Wohnungsbau denkbar.“ Doch so lange alle paar Minuten ein Flieger über die Siedlung fliegt, werden die Bewohner weiter warten müssen.

Amerikanischer Sektor

Auf dem Gelände des Parks Range in Lichterfelde-Süd herrschte von 1953 bis 1994 fast täglich Ausnahmezustand. Noch vor 25 Jahren krachte und dröhnte es hier Tag und Nacht. „Zur Zeit der Besatzung kam es auch schon mal vor, dass ein Alliierter mit seinem Gewehr im Vorgarten lag“, erzählt Gerhard Niebergall, er wohnt seit 35 Jahren in Lichterfelde-Süd. Hier lag der Truppenübungsplatz der Amerikaner.

Der amerikanische Sektor nahm unter den Westmächten mit 21.100 Hektar den größten Platz ein. Die meisten Flächen und Gebäude der Amerikaner sind heute Wohnviertel oder Verwaltungssitze wie etwa die Luxuswohnungen in der ehemaligen Kaserne McNair-Barracks in Lichterfelde.

Der Parks Range, ein 100 Quadratmeter großes Gelände an der Grenze zu Brandenburg, ist heute eine Freifläche, die seit 1994 von der Natur zurückerobert wird. 861 Tier- und Pflanzenarten hat das Umweltamt Steglitz-Zehlendorf gezählt.

„Geisterstadt“ nannten die Berliner diesen Platz, auf dem amerikanische Soldaten durch eine nachgebaute Kanalisation krabbelten und mit Panzern durch Straßen kurvten. Selbst einen extra angelegten U-Bahnhof gab es für die Übungen. Bevor die US-Alliierten 1994 die Stadt verließen, rissen sie die Anlagen ab.

Das Gelände ging an die Deutsche Bahn, die damit nicht viel anzufangen wusste. Nachfolger wurde die österreichische CA Immobilien Anlagen AG. Aus der Idee, einen Golfplatz hochzuziehen, wurde nichts; der Aufbau eines neuen Stadtteils scheiterte. 2012 verkaufte die CA an die Groth-Gruppe, welche in die Pläne der Mauerpark-Erweiterungsfläche in Prenzlauer Berg involviert ist. Der neue Besitzer hat endlich konkrete Pläne. Er will – nach mehr als 20 Jahren Stillstand – Wohnungen bauen.

Stillstand, der im diesem Fall nicht schlecht war, meint Niebergall, der sich im Aktionsbündnis Landschaftspark Lichterfelde-Süd engagiert. Eine so große Freifläche mit einer so vielfältigen Natur gebe es sonst nicht in Berlin. Den Plänen der Groth-Gruppe steht das Aktionsbündnis skeptisch gegenüber. Am Rande des Geländes sollen 2.500 Wohnungen entstehen. Reihenhäuser, Eigentumswohnungen und Mietwohnungen für bis zu 10.000 Menschen, schätzt Annette Mischler, Pressesprecherin der Groth-Gruppe. 60 Prozent des Areals sollen der Natur überlassen bleiben.

Das Aktionsbündnis fordert, dass das Unternehmen 1.000 Wohnungen weniger baut und mehr Rücksicht auf die Natur nimmt. „Wir sind ja nicht gegen Wohnraum, nur soll richtig gebaut werden“, meint Niebergall. Das Richtige für ihn wäre ein Mix aus sozialem Wohnungsraum und öffentlichen Einrichtungen.

Dass keiner Lust hat, vor seiner Tür eine Baustelle zu haben, versteht Sprecherin Mischler. Gerade deshalb überlege sich die Groth-Gruppe ganz genau, was dort entstehen soll. Eines ist aber klar: Bis es zum ersten Spatenstich kommt, wird es noch dauern, denn die Bebauungspläne sind längst noch nicht fertig.

Russischer Sektor

Bilder bleiben übrig: Abschiedsfoto russische Soldaten im Treptower Park, Februar 1994 Foto: Nino Rezende

Heidebüsche und Gräser leuchten in der Dezembersonne, die Baumaschinenlärm dröhnt über das Gelände am Biesendorfer Sand im Osten von Karlshorst. Hier war während der deutschen Teilung das russische Panzerbataillon stationiert. 2013 wurden die letzten Gebäudereste entfernt, um Platz für die Gartenstadt Karlshorst zu machen – eine Einfamilienhaus-Kolonie nach amerikanischem Vorbild.

Nur ein massiver Gebäudeklotz umgeben von alten Eichen steht noch: Der Hochbunker, von der sowjetischen Pioniersschule benutzt, wurde bereits 1932 erbaut und steht unter Denkmalschutz. Seit Kurzem, wie Baustadtrat Wilfried Nünthel (CDU) vom Bezirksamt Lichtenberg mitteilt, gehört der Bunker nicht mehr dem Bezirk, sondern den Erbauern der Gartenstadt Karlshorst, der WPK Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH (WPK).

Pläne für die Nutzung des Hochbunkers gibt es derzeit nicht. „Man werde sich in Zukunft „Gedanken zur Nutzung machen, aber Priorität haben eher andere Sachen“, sagt Hawal Bahjat, Projektleiter der Gartenstadt Karlshorst. Die Denkmalschutzämter müssten in die Planung mit einbezogen werden. Erstmal baue man soweit wie möglich an den historischen Bau heran. Ein Teil der Kolonie ist fertig gestellt: Cremefarbene Ein- und Zweifamilienhäuser, die eines dem anderen gleichen.

„Es ist möglich, dass es mit dem Bunker gar nichts passiert“, sagt Baustadtrat Nünthel. Denn bei einer Sichtung fanden Experten geschützte Fledermausarten. Umbauten würden Tierschützer auf den Plan rufen.

Kurz nach ihrem Einmarsch 1945 errichteten russische Besatzer eine Sperrzone in Karlshorst. 8.000 Menschen mussten von einen Tag auf den anderen ihre Häuser verlassen. Auswärtige konnten den Bereich nur über russische Dienststellen und mit einer spezielle Genehmigung betreten. Spuren dieser Zeit sind hier vielerorts sichtbar.

Noch immer gehören zwei Wohnblocks mitten in Karlshorst Russland. Zuständig ist der russische Botschafter

Im ehemaligen Hauptquartier der russischen Alliierten ist seit 1995 das Deutsch-Russische Museum untergebracht. Aus den Gebäuden der Militäradministration entstand 2012 ein Wohnpark – der Zaun und die erhaltene Architektur verleihen diesem immer noch etwas Kasernenhaftes.

Die Straßenzüge der ehemaligen Sperrzone säumen gut sanierte Mietshäuser mit Vorgärten. Doch an der Ecke Andernacher Straße/Königswinterstraße gibt es einen Bruch. Zwei Häuserblocks verwittern hinter einem Bauzaun. Hier wohnten russische Offiziere. Noch immer gehören diese Wohnblocks mitten in Karlshorst Russland; genau wie zwei Flugzeughallen und ein weiteres Wohnhaus. Das alles geht auf eine Einigung der Bundesrepublik mit der Sowjetunion zurück, sagt Baustadtrat Nünthel. Im Bezirk gebe es Interessenten, wie die WPK, die die Liegenschaften kaufen möchten, zuständig dafür ist der russische Botschafter. „Aber der sagt dem Bezirk nichts, weil wir ja nicht kaufen wollen“, so Nünthel. Und so wittern über 20 Jahre nach Abzug der Truppen Häuser in russischer Hand vor sich hin.

Britischer Sektor

Rote Baracken überall, eine neben der anderen auf dem Gelände der ehemaligen Alexander-Kaserne in Spandau. Bis 1994 waren hier britische Soldaten stationiert, seitdem gehört die Kaserne Alexander Barracks dem Bund. In einigen Gebäuden arbeiten Kfz-Werkstätten und Autovermietungen. Die meisten der denkmalgeschützten Häuser aber stehen leer, die blauen Tore sind verriegelt, die Fenster zugenagelt.

„Früher gab’s hier dreimal so viele Gewerbe“, sagt ein Trödelhändler, der in einer „Baracke“ seinen Laden betreibt. „Aber dem Bund ist alles egal. Er vermietet nicht mehr neu, langsam leert sich hier alles.“ Der Mann klingt bitter, möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Früher, das war vor fünf Jahren, da sei sein Trödelgeschäft noch gut gelaufen. Es kamen viele Leute auf das Gelände. „Wahrscheinlich hat der Bund irgendwelche Pläne, aber keiner weiß etwas“, sagt er.

Für andere Gebäude, die ehemals von den britischen Alliierten genutzt wurden, hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) Lösungen gefunden. In der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Spandau leben seit September Flüchtlinge.

Die Nutzung der etwa 12 Hektar großen Ale­xander-Kaserne – sie steht unter Denkmalschutz – scheint auch 21 Jahre nach der Übernahme nicht klar zu sein. Gebüsch wuchert überall da, wo der Asphalt eine Lücke lässt. Nur das Hauptgebäude ist bewohnt. Babygeschrei tönt aus den offenen Fenstern des mächtigen Backsteinbaus mit den zwei Zinnentürmen. Schuhe stehen auf Fensterbrettern – die Arbeiterwohlfahrt hat hier ein Flüchtlingsheim eingerichtet. In einer Broschüre der Bima wird das Gelände als „voll erschlossenes Gewerbegebiet“ zum Verkauf angepriesen. Die Behörde selbst hingegen streitet jede Verkaufsabsicht ab. Und auf die Fragen nach den Gründen für den Leerstand gibt es keine Antwort.

Ebenfalls in Spandau lottert ein ehemaliges Versorgungsdepot der Briten, die Haig Barracks, vor sich hin. Ein hoher Stacheldrahtzaun sperrt das Areal ab. Der Bund verkaufte das Gelände 2008 an die Gebäudereinigungsfirma Geschwister Topalovic. Eine Anwohnerin sagt: „Ein Gebäudegespenst, das schon seit vielen Jahren leer steht.“ Ein anderer Anrainer vermutet: „Früher hat es hier öfter gebrannt. Die Eigentümer lassen das verrotten, bis es keinen Wert mehr hat.“

Laut Carsten Röding, Baustadtrat in Spandau (CDU), wurden die Haig Barracks bereits ein zweites Mal verkauft. Der neue Eigentümer plane den Bau von 900 Wohnungen – darauf deutet jedoch vor Ort noch nichts hin.