piwik no script img

Wirsing zum Tatort

Snacks I Knabbern vor dem Fernseher kann ganz schön dick machen. Zwei Hamburger haben eine gesündere Alternative entwickelt und arbeiten an weiteren Ideen zum Bröseln

von Florian Lucks

Der Geruch von frischem Wirsing zieht einem in die Nase, sobald sich die schwere Tür zum Keller der Firma Heimatgut öffnet. Zwischen kleinen Büros entlanggehend erfährt man am Ende des Ganges schnell den Grund. In der angrenzenden Halle werden täglich vier Tonnen Wirsing verarbeitet – zu Chips. Auf den zwölf Arbeitsplätzen wird der Kohl geteilt, gewaschen, mariniert, gedörrt und verpackt.

„Gesundes und leckeres Essen müssen keine Gegensätze sein“, sagt Maurice Fischer. Der 28-Jährige gründete die Firma im Jahre 2012 zusammen mit seinem Schulfreund Aryan Moghaddam. Auf der Suche nach einem gesunden Snack verzweifelten die beiden in den Supermärkten. „Gemüse- und vor allem Apfelchips fanden wir zwar alle naselang, aber ein richtig leckeres und durchweg gesundes Produkt fehlte uns“, sagt der Geschäftsführer. „Also kauften wir uns einfach selbst einen kleinen, gebrauchten Dörrer, alles an Gemüse, was wir tragen konnten und begannen herumzuprobieren.“

Ihre Versuche mit Wirsing begeisterten sie schließlich. „Er enthält sehr wenig Kalorien“, führt Fischer aus, „gleichzeitig aber viel Vitamin B und C.“ Um die zu erhalten, trocknen sie den Wirsing, anstatt ihn zu backen oder gar zu frittieren. Bis zu 24 Stunden bleiben die Blätter in der Maschine.

Die Familien und Freunde der beiden Erfinder waren so begeistert, dass diese sich bald einen zweiten Dörrer anschafften und ihn selbst optimierten, um die Nachfrage decken zu können. Daraufhin gingen sie mit ihren Chips auch auf die Hamburger Märkte. Für Fischer war das eine wertvolle Zeit: „Durch das direkte Feedback unserer Kunden konnten wir unsere Produkte und Gewürzmischungen immer weiter verbessern.“

Wiederum durch Freunde und Verwandte fanden die zwei einen Keller in einer kleinen Fabrikhalle in Norderstedt. Hier begannen sie ihre erste, eigens für die Chipsproduktion angefertigte Maschine in Betrieb zu nehmen. Der Absatz lief zu dieser Zeit noch zu großen Teilen über den eigenen Onlineshop.

Heute gibt es die Blätterchips in vier Geschmacksrichtungen: Sour Cream & Onion, Sweet Mustard, Cheesy Paprika und Italian Herb. „Bei den Würzungen haben wir uns bewusst an den populären Geschmacksrichtungen orientiert“, sagt Fischer: „Wirsing für sich oder auch nur gesalzen wäre einfach zu langweilig. Erst beim Kochen entwickelt die Pflanze ihren richtigen Geschmack.“

Mit den Chips richten Fischer und Thomas sich besonders an den wachsenden Kreis der Veganer und Vegetarier sowie Kunden, die sich bewusst ernähren wollen. „Auch für Sportler ist der Snack super“, verspricht Fischer. „Durch die Proteine und die besseren Kohlenhydrate sind unsere Chips auch für diese Zielgruppe eine Alternative.“

Besonderen Wert legt das Unternehmen auf Transparenz. „Auf unseren Packungen steht drauf, was auch wirklich drin ist, und nicht einfach nur ‚Gewürze‘ oder ähnliche Sammelbegriffe, hinter denen sich viele Zusatzstoffe verbergen können“, sagt Fischer. Dabei verzichte das Unternehmen gänzlich auf die von der EU zugelassenen und als E-Stoffe bekannten Zusätze.

„Hinzu kommt, dass wir versuchen, möglichst viel mit regionalen Produkten zu arbeiten“, erzählt der Unternehmer. Dies gelinge jedoch nicht immer. Der Wirsing komme je nach Jahreszeit und Verfügbarkeit auch mal aus dem Ausland, ebenso wie etwa die Paprika.

Der große Aufschwung für das Unternehmen kam mit dem Auftritt in der Fernsehsendung „In der Höhle des Löwen“ – einer Show, in der junge Unternehmen ihre Idee präsentieren, um Investoren zu werben. Nachdem der bekannte Unternehmer Jochen Schweizer zunächst Interesse angemeldet hatte, kam es schließlich doch zu keinem Deal. „Wir hatten einfach zu unterschiedliche Vorstellungen davon, wie wir arbeiten wollten“, sagt Fischer.

„Durch die Proteine sind unsere Chips auch für Sportler eine Alternative“

Maurice Fischer, Snack-Entwickler

Doch das Interesse der Zuschauer ging durch die Decke. „Wir konnten uns kaum retten vor Bestellungen. Im August mussten wir schließlich sogar unseren Online-Store schließen“, erzählt Fischer lächelnd. „Drei Monate Lieferzeit waren einfach zu lang.“ Stattdessen konzentrierten sich die Freunde darauf, in den Einzelhandel einzusteigen. Mittlerweile sind die Chips in mehreren regionalen und überregionalen Läden im Sortiment.

Die Nachfrage sei deutschlandweit ungebrochen hoch. Sogar in die Schweiz und vereinzelt nach Österreich exportiere die Firma. „Der Schwerpunkt des Verkaufes liegt in den Städten“, sagt Fischer. Das höhere Durchschnittseinkommen mache sich hier in den Ernährungsgewohnheiten bemerkbar.

Bei allem Erfolg ist das Unternehmen jedoch immer wieder von Problemen geplagt. Momentan vor allem von Luxusproblemen, wie Fischer sie nennt: „Im Augenblick haben wir zehnmal so viele Anfragen wie wir erfüllen können. Wir kommen mit unseren Maschinen einfach nicht hinterher.“

Der Start der neuen Süßkartoffelchips musste verschoben werden, da keine Maschinenkapazitäten frei waren. Im Februar soll es nun soweit sein. „Süßkartoffeln gehören zu den Wurzelgewächsen, deshalb lassen sie sich ebenfalls gut trocknen“, erläutert Fischer. „Mit normalen Kartoffeln ist das nicht möglich, die werden nur altbacken.“ Gleichzeitig zu den Süßkartoffelchips möchte er ein weiteres tropisches Produkt auf den Markt bringen. Hier hält sich der Entwickler jedoch noch bedeckt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen