piwik no script img

Heimat, wie sie die Grünen sehen

Ortstermin Cem Özdemir, Winfried Kretschmann und Intendant Armin Petras debattieren einen Begriff

Kretschmann und Özdemir beim Landesparteitag im Dezember Foto: dpa

STUTTGART taz | Treffen sich ein grüner, schwäbisch-anatolischer Parteichef, ein grüner Ministerpräsident von der schwäbischen Alb und ein für Stuttgarter Verhältnisse skandalumwitterter Theatermann aus Ostdeutschland zum Talk über Heimat. Das versprach eine muntere Diskussion im Stuttgarter Hospizhof zu werden. Wurde es auch, selbst wenn greifbare Erkenntnisse am Vorabend zum vierten Advent Mangelware blieben.

Die Idee zum grünen Heimatabend hatte der Parteichef Cem Özdemir, der schon als Bub türkische Verwandte und Schwaben damit verwirrte, wenn er Bad Urach seine Heimat nannte. Könnte der Begriff „Heimat“ also nicht etwas sein, das Flüchtlinge, Migranten und jene Deutsche ohne Migrationshintergrund, für die es gar keinen Begriff gibt, verbindet? Er wolle den Heimatbegriff nicht den Rechten überlassen, sagte Özdemir.

Womöglich hatte er sich eine konkretere Analyse mit seinem Parteifreund Winfried Kretschmann und dem Intendanten Armin Petras erhofft. Aber Petras und Kretschmann überboten sich bald im Zitieren von Aristophanes, Cicero, Bloch und Habermas. Özdemir hielt dagegen, sein Vater, der gewiss nie Cicero gelesen habe, habe der Familie immer gesagt: „Wo wir satt werden, da ist unsere Heimat.“

Taugt Heimat also als Integrationsbegriff? Petras fragte, ob Wohlstand als Heimatkit ausreiche. Immerhin stammten die Attentäter von Paris aus europäischen Ländern. Kretschmann konterte, Freiheitsrechte seien das Bindeglied einer vielfältigen Gesellschaft.

Petras nutzte den Heimatbegriff, um Widersprüche der grünen Seele auszuleuchten. Ob es reiche, aus Deutschland ein grünes Musterländle zu machen, wenn das „turbokapitalistische System“ auf der Ausbeutung weniger entwickelter Länder beruhe? Da war er bei dem längst bekehrten Exmarxisten Kretschmann richtig: „Wir müssen uns von der defätistischen These verabschieden, dass das Kapital alles beherrscht“, rief Kretschmann. Als Beweis zog er den Atomausstieg heran: Der sei einem „moralischen Imperativ“ gefolgt. Verzicht könne dem Volk in einer freien Gesellschaft nicht aufgezwungen werden, sagte Kretschmann, außerdem hätten die Grünen damit – Stichwort Veggie-Day – schlechte Erfahrungen gemacht.

Özdemir sprang seinem Parteifreund bei: Nicht an allem Elend seien die früheren Kolonialstaaten schuld: „Niemand wird vom Westen zum Beispiel gezwungen, Frauen von Bildung, Arbeit und aus der Politik fernzuhalten“, sagte Özdemir. Und so blieb der Kapitalismuskritiker Petras allein mit seinen Thesen. Er habe heute gelernt, sagte der Regisseur, dass Politiker trotz Klimawandel und Flüchtlingskrise gute Laune hätten. „Wir am Theater haben nicht so gute Laune.“ Benno Stieber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen