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Alle aus einem Stall

Frankreich Die Eliten des Landes sind abgeschottet wie nirgendwo sonst. Daraus schlägt der Front National Profit, ebenso wie die Islamisten

Foto: privat
Michael Hartmann

war bis 2014 Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Seine Schwerpunkte sind Elitesoziologie, Industrie- und Betriebssoziologie sowie Organisationssoziologie.

Frankreich hat innerhalb von vier Wochen zweimal Schlagzeilen gemacht, einmal durch die Attentate in Paris am 13. November und dann durch den Erfolg des Front National bei den Regionalwahlen. Viele Beobachter sehen hier einen Zusammenhang. Das dürfte richtig sein. Ein anderer Zusammenhang wird dabei aber übersehen. Beide Ereignisse haben auch mit der Abschottung der französischen Eliten zu tun: Ihre Rekrutierung ist außerordentlich exklusiv, sowohl was die familiäre Herkunft als auch was die Bildungswege angeht. Sie gelten deshalb als extrem abgehoben.

Wie elitär die Eliten tatsächlich sind, zeigt ein Blick auf die Spitzen der französischen Gesellschaft. Die Wirtschaft ist wie in allen anderen Ländern am exklusivsten. Kommen in Deutschland oder Großbritannien schon vier von fünf Topmanagern aus den oberen vier Prozent der Bevölkerung, bürgerlichen oder großbürgerlichen Familien, so sind es in Frankreich sogar neun von zehn.

Nicht ganz so elitär ist es in der Politik. Neben Staatspräsident Hollande stammen aber sowohl Premierminister Valls als auch vier der sechs wichtigsten Kabinettsmitglieder (Außen-, Finanz-, Wirtschafts- und Innenminister) aus diesem Milieu. Einzig die Ministerin der Justiz und der Verteidigungsminister kommen aus der Normalbevölkerung. Ähnlich sieht es in den oberen Etagen von Verwaltung und Justiz aus.

Schulen für die Elite

Von zentraler Bedeutung für diese sozial hoch exklusive Rekrutierung sind die französischen Elitebildungseinrichtungen. An den berühmten Elitehochschulen, den Grandes Ècoles, hat ein großer Teil der Eliten studiert. Allein an den drei berühmtesten, der ENA, der Polytechnique und der HEC, mit ihren wenigen tausend Studierenden war über die Hälfte der Topmanager.

Im staatlichen Bereich dominiert dabei eindeutig die ENA. Obwohl sie jedes Jahr nur gut 100 Studierende aufnimmt, kommen Präsident Hollande und fast jedes dritte Regierungsmitglied von dort. Von den 42 Kabinettsdirektoren der aktuellen Regierung und ihren Stellvertretern ist sogar jeder zweite ein ehemaliger Absolvent der ENA, ein „Enarque“.

Die Eliteeinrichtungen der öffentlichen Verwaltung, die Grands Corps, werden traditionell ebenfalls von Enarques dominiert. Das gilt auch für die zwei, die der hohen Justiz zuzurechnen sind. So haben von den 50 vorsitzenden Richtern 47 an der ENA studiert. Von den zwölf Kammerpräsidenten (inklusive Präsident und Generalstaatsanwalt) der Cour des Comptes, des obersten Rechnungshofs, trifft dasselbe auf neun zu. Die übrigen waren fast ausnahmslos auf einer der anderen renommierten Elitehochschulen.

Fragen Sie Pierre Bourdieu

Das Auswahlverfahren für die Zulassung an diesen Hochschulen ist sozial sehr selektiv. Das hat schon der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinen Analysen sehr anschaulich beschrieben. An den vier berühmtesten kommt nicht einmal jeder zwölfte Studierende aus den unteren 90 Prozent der Bevölkerung. Die Auswahlverfahren sorgen dafür. Der sicherste Weg an die renommierten Grandes Ècoles führt über an elitären Pariser Schulen gelegene Vorbereitungsklassen, und die entscheidenden mündlichen Auswahlgespräche an den Grandes Ècoles selbst sind stark auf den Habitus der Bourgeoisie zugeschnitten. An all dem hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert, wie auch an der Rekrutierung der Eliten selbst.

Ein erheblicher Teil der französischen Bevölkerung, vor allem in der unteren Hälfte, fühlt sich von diesen Eliten nicht verstanden und naturgemäß nicht repräsentiert. Teile der Arbeiterschaft und, noch stärker, der von sozialem Abstieg bedrohten Mittelschichten fühlen sich angesichts der immer weiter wachsenden sozialen Kluft zudem von den Eliten im Stich gelassen.

Da sich die Spitzenpolitiker der bürgerlichen Parteien und der Sozialisten in ihrer Rekrutierung nur wenig unterscheiden, gehen viele deshalb nicht mehr zu den Wahlen oder wählen aus Protest den Front National, der aus ihrer Sicht nicht zu diesem geschlossenen System gehört. Von den führenden Politikern des Front National haben zwar auch fast alle studiert, bis auf eine Ausnahme war aber niemand auf der ENA oder einer der anderen Elitehochschulen.

Entscheidend für den schnellen Aufstieg der Front National im letzten Jahrzehnt war dabei die Enttäuschung über die beiden letzten Staatspräsidenten. Nicolas Sarkozy hatte seinen Wahlkampf noch unter dem Motto des Bruches mit den alten Eliten geführt, um danach allerdings so eng wie kein anderer zuvor mit den Superreichen des Landes verbandelt zu sein. François Hollande hatte vor seinem Sieg den sozialen Wandel zugunsten der Normalverdiener und der Armen versprochen, um dann als Präsident das Gegenteil zu machen.

Alle aus einem Stall

Da sich die Politiker wenig unterscheiden, gehen viele nicht mehr zur Wahl oder wählen FN

Für viele Franzosen bestätigt das ihren Eindruck: Die da oben kommen alle aus demselben Stall und machen nur Politik für ihresgleichen. Die Konsequenz ist bei einem wachsenden Teil der Arbeiterschaft und der Mittelschichten die Wahl des Front National. Marine Le Pen nutzt diese Stimmung, wenn sie in ihren Wahlkampfreden gegen die „Kaste, die seit 40 Jahren nur ihren Machterhalt pflegt“ oder das „Establishment in Paris“ wettert.

Bislang konnte die Tatsache, dass mit Philippot auch einer ihrer fünf Stellvertreter auf der ENA war, das Bild von der Anti-Establishment Partei nicht trüben. Seine Person ist bei der Parteibasis zwar sehr umstritten und es bleibt offen, ob die von seiner Wahl erhoffte Öffnung zu den bürgerlichen Kreisen wirklich gelingt, geschadet hat es dem Image des Front National bisher aber nicht.

Für einen Teil der Jugendlichen aus den Banlieus, die sich von den Politikern und den anderen Eliten vollkommen vergessen und generell aus der französischen Gesellschaft aus-geschlossen fühlen, ist die Konsequenz eine andere. Sie gehen zwar ebenfalls nicht mehr wählen, radikalisieren sich aber darüber hinaus auch außerhalb des traditionellen parlamentarischen Rahmens bis hin zur verstärkten Anfälligkeit für extreme islamistische Positionen.

Michael Hartmann

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