Gott ist ein Amerikaner

PUNKROCK Wir sind hier schließlich nicht im Philosophie-Seminar: Die Antiimp-Urviecher Slime aus Hamburg geben am Freitag und am Samstag jeweils ausverkaufte Konzerte in ihrem Berliner Wohnzimmer SO 36

Leider hat St. Pauli verloren: Slime-Sänger Dirk Jora ballt die Faust Foto: Miguel Lopes

von Ulrich Gutmair

Slime-Sänger Dirk Jora trägt immer noch blondierten Vokuhila. Mit Interview müsse man bis 18.30 Uhr fertig sein, sagt er. Dann spielt St. Pauli, und er hat Backstage eine Liveübertragung organisiert. Eh schon schwierig, dass er hier ist und nicht im Stadion. St. Pauli verliert später 1:2. Auf der Bühne ist Soundcheck. Bassistin Nici spielt den Basslauf zu „Deutschland muss sterben“, Dirk stöhnt. So muss es sich für die Stones anfühlen, immer wieder „Satisfaction“ zu spielen, sagt er. Aber so ganz kann man ihm das nicht abnehmen. Später auf der Bühne erklärt er: „Solange am Hamburger Dammtor noch das Denkmal steht, werden wir diesen Song spielen.“ Auf dem Denkmal steht der Spruch, der Slime 1980 zu ihrem größten Stück inspiriert hat: „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen.“

Das Bundesverfassungsgericht hat den Song 20 Jahre später mit Heines Gedicht über die schlesischen Weber verglichen. Als er dran ist, entert eine Punkfrau mit lila Iro die Bühne und wird von Dirk Jora ans Mikro geholt.

Die Hamburger spielen am Freitag und am Samstag vor ausverkauftem Haus. Jora kann sich nicht erinnern, wie oft Slime in den vergangenen 35 Jahren schon im SO aufgetreten sind, das er „unser Wohnzimmer“ nennt. Wer sich nicht schon während des Gigs der Vorband Guts, einen Platz weiter vorne gesichert hat, muss sich alles von hinten ansehen, was aber nicht weiter schlimm ist. Der Sound ist kompakt, und laut genug ist es auch.

Die Band trägt schwarz

Hinter der Bühne prangt der Slime-Schriftzug in Rot auf gelbem Hintergrund, die Band trägt schwarz. Zusammen ergibt das lustigerweise Schwarz-Rot-Gold. Gebrochen wird das Szenenbild durch das Abba-T-Shirt von Schlagzeuger Alex Schwers. Slime rocken wie eh und je. Sie spielen ein Set mit Songs aus allen Schaffensphasen, und alle haben ihren Spaß, auf und vor der Bühne. Mitgesungen wird vor allem bei den Stücken der ersten drei klassischen Alben aus den frühen Achtzigern. Dann aber mehr oder weniger unisono von 750 alten und jungen Punks. Slime waren die westdeutsche Punkband mit den härtesten Slogans. Die erste EP, „Bullenschweine“ und „Iran“ auf der A-Seite, „Hey Punk“ und „Ich hasse“ auf der B-Seite, erschien Anfang 1980.

Das brutale Vorgehen von Polizisten gegen Anti-Atomkraft-Demos beantworteten Slime mit drastischen Anti-Polizei-Songs: „Mollis und Steine für Bullenschweine“. Die wurden gerne vor, während und nach autonomen Demos gespielt, was unter anderem dazu geführt hat, dass die Musik von Slime oft auf einen Soundtrack zum Straßenkampf reduziert wird, was nicht ganz falsch ist, aber der Sache trotzdem nicht gerecht wird.

Slime haben immer das Denken des linken Mainstreams widergespiegelt, weshalb zu ihrem Repertoire nicht nur Songs gegen Computerüberwachung und die islamische Revolution im Iran, sondern auch Stücke gegen Künstlichkeit und „Discowichser“ sowie anti-imperialistischer Quatsch wie „Yankees raus“ gehören. Letzere so richtig gut zu finden, fällt mir schwer, weil mir antiamerikanische Songs zu deutsch sind und Künstlichkeit nun mal der Modus unseres Daseins ist. Außerdem kommt in meiner ewigen Top Ten Slimes „Deutschland“ gleich hinter Sylvesters „You make me feel (mighty real)“.

Ein Slime-Konzert ist aber auch kein Philosophieseminar, und ein Stück wie „D.I.S.C.O“ trotz allem ein lustiger Song. Und schließlich kann man nachvollziehen, was Slime 1980 mit ihrer Polemik gegen das „artificial life“ meinten. Das Entscheidende ist: Slime wurde von zornigen, jungen Männern als antifaschistische Band in einem Land gegründet, in dem in allen Institutionen alte Nazis saßen. Auf die Frage, warum man Slime heute noch braucht, sagt Gitarrist Michael „Elf“ Mayer, dass viele Stücke ihres Albums „Schweineherbst“, die unter dem Eindruck des rechten Terrors der frühen Neunziger geschrieben worden sind, traurigerweise wie Kommentare zum Tagesgeschehen klingen. „Goldene Türme“ klingt heute fast wie eine Prophezeiung. Er handelt davon, „wie die Leute sich durch nichts aufhalten lassen. Da kannst du Zäune ziehen, das ist völlig egal. Wenn die Menschen kommen, dann kommen sie“, sagt der zweite Gitarrist Christian Mevs.

„Linke Spießer“ widmet Slime-Sänger Jora dem Grünen Anton Hofreiter

Beste deutsche Popband?

Intelligente Menschen sagen einem oft, Slime seien zu platt, um ernst genommen werden zu können. Dabei waren und sind sie eine der besten Popbands aus Deutschland, mit eingängigen Melodien und Texten, die man nicht vergisst.

Simpel zu sein habe die Band immer ausgemacht, sagt Christian Mevs. „Das ist die Gefahr, in die wir uns immer begeben haben, indem wir komplexe Sachverhalte runtergebrochen haben. Das ist der Segen, denn das hat auch funktioniert, das ist aber auch der Fluch. Weil es anders deutbar ist. Aber das ist richtig so. Die Linke müsste das heute wieder machen. Sonst werden ihnen sämtliche Themen von den Rechten weggenommen, und dann ist Feierabend.“ Mayer ergänzt: „Unpolitisch ist das neue Rechts.“ Slime arbeiten gerade an der Themenfindung für ein neues Album.

Aber jetzt werden noch mal die alten Hits gespielt. „Linke Spießer“ widmet Dirk Jora dem „Vogel, der zum Lachen in den Keller geht: Anton Hofreiter“. Bei „ACAB“ tobt das ganze SO 36. Das letzte Stück des Abends ist „Religion“. Wieder singen alle mit: „Behauptet nicht, dass ihr die Wahrheit sagt, weil eure Wahrheit gelogen ist.“ Aber Gott gibt es doch, und er ist Amerikaner. Von allen Alben, die hinter dem Merchandise an der Wand lehnen, fällt eines viermal runter: „Yankees raus“.