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Schreckgeweitete Augen

Ideologie Mit der Inszenierung „Je suis Jeanne d’Arc“ blickt das Gorki Theater mit Schiller nach Frankreich

Diskurs, Aktualität, politische Themen, alles da im Gorki … Foto: Ute Langkafel

von Katrin Bettina Müller

Alles ist besetzt. Jedes Wort, jedes Bild. Es gibt keinen ideologiefreien Raum und keine ideologiefreie Sprache mehr in der jüngsten Inszenierung des Gorki Theaters. Den Auftritten von Marine Le Pen und ihrer Beschwörung französischer Werte im Kulturkampf gegen Muslime gilt die Inszenierung des Pariser Regisseurs Mikael Serre der „Jungfrau von Orleans“, die am Donnerstag Premiere hatte, und ebenso der Sprache des „Islamischen Staates“ aus dem Bekennerschreiben nach den Anschlägen von Paris im November.

Die Jungfrau kniet am Bühnenrand, Marina Frenk spielt sie schmal und hart, verwundert und verwundet. „Rüste dich zum Kampf / Nicht verlassen wirst du lebendig diesen Platz. Sterbe oder siege.“ Anrührend ist sie in diesem Augenblick, die Schauspielkunst auf Empathie geschaltet, obwohl man als Zuschauer in dem Moment nicht weiß, wie die Handlung, wie die Geschichte dazu geführt hat, dass sie jetzt den Märtyrertod wählen will. Warum diese Entscheidung, was ging ihr vo­raus? Ein Engel ist ihr Gegenüber, sanft der Duktus seiner Sprache, aber der Kampf, den er besingt, ist der der Attentäter gegen das Bataclan. Man hat das schon geahnt, durch die Videoprojektion im Hintergrund, Polizisten in einer Pariser Nacht. Traue keinem Schauspiel, es führt dich in die Falle. Wohl ist einem dabei nicht.

Das Gorki Theater ist schnell. Diskurs, Aktualität, politische Themen, alles da. Die Inszenierung steht unter Druck. Die Schauspieler pressen die Texte oft hervor, die von Schiller und die aktuellen Zitate, man kommt da nicht immer mit. Man versteht die Worte zwar, man sieht die Nähe der Denkmuster, man spürt die Ausrufezeichen hinter der Präsentation der Fundstücke, die im Nationalismus, im Stolz auf das Eigene, in den Szenarien der Bedrohung so nahtlos ineinandergreifen.

Schiller verblasst. Bis er Episoden später wieder mitspielen darf, aber eigentlich nicht als viel mehr denn als Lieferant der rhetorischen Munition für die Radikalismen der Gegenwart

Aber was jetzt? Es ist keine Inszenierung, die einen in das Denken mit hineinnimmt. Sie knallt den vorgefundenen Hass auf die Bühne und hastet weiter.

Im Spielzeitheft des Gorki hat taz-Redakteur Daniel Bax einen interessanten Beitrag über Marine Le Pen, ihre Modernisierung der konservativen Werte und ihre Inanspruchnahme der Figur der Jeanne d’Arc geschrieben. Die Aufführung setzt vo­raus, dass man das alles weiß, dass man die Politikerin in der Hintergrundprojektion gleich identifiziert.

Friedrich Schiller und sein Drama über die „Jungfrau von Orleans“, mit diesem Text beginnt die Inszenierung zwar, stößt sich aber bald davon ab. Das geht dann so: Das Stichwort von „Frankreichs Feinden, die über das Meer kamen“ fällt, schon macht einer, nachdem er das historische Kostüm abgelegt hat, Schwimmbewegungen als Personifizierung der vielen Menschen, die jetzt nach Europa wollen und oft im Mittelmeer sterben. Der eben noch den König spielte und den Ertrinkenden nicht gerettet hat, mimt jetzt große Trauer über den Toten für eine Kamera.

… nur Schiller verblasst etwas bei „Je suis Jeanne d’Arc“ Foto: Ute Langkafel

Schiller verblasst. Bis er Episoden später wieder mitspielen darf, aber eigentlich nicht als viel mehr denn als Lieferant der rhetorischen Munition für die Radikalismen der Gegenwart, für die Fanatiker auf allen Seiten. Ein historischer Kontext bleibt außen vor.

Man kann sich vorstellen, wie Schauspieler, Regisseure, Bühnenbildner und die vielen anderen Theaterakteure Schillers Text in die Hand nehmen und die Schrecken der Gegenwart in Figuren und Sprache wiederfinden. Und damit losmarschieren auf die Bühne, ist ja alles gerade wichtig. Aber die kurze Verschaltung ist auch eine Verkürzung. Geschichte und Geschichten bleiben auf der Strecke. Man weidet sich zu sehr am Schock. Das hat auch etwas Obszönes.

Wieder am 27. 12 und 8./14. 1. 2016 im Gorki

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